Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt

Nach einem Dreivierteljahr scheint der Konflikt der GDL mit
der Deutschen Bahn zu Ende zu gehen, sollte nicht noch das von der Bahn
geforderte Kooperationsabkommen zwischen den drei Hausgewerkschaften zum
Knackpunkt werden. Das ist allerdings nicht gerade unwahrscheinlich, bietet
sich doch darin für die Bahn und die beiden anderen Gewerkschaften (Transnet,
GDBA) ein Hebel, die GDL unter Druck zu setzen. Nichtsdestotrotz, jetzt, wo die
Verhandlungsergebnisse allmählich ebenso bekannt werden wie die Einzelheiten
gewerkschaftsinterner Abläufe, lichtet sich ein wenig der Nebel, der die
Debatten um die GDL und ihren Konflikt begleitete, und die Ereignisse
erscheinen in einem klareren Licht. So tappte der eine oder die andere etwas zu
frohen Mutes durch den Dunst und findet sich nun in einer ernüchternden
Position wieder. Nicht viel blieb letztlich übrig von dem Heldentum und dem
Edelmut, den man der Lokführergewerkschaft andichtete. Andere wiederum sehen
sich in ihrem Weg bestätigt: der Charakter der GDL als falsches
Gewerkschaftsprojekt habe sich nun endgültig erwiesen. Ohne Frage: die GDL
gewinnt an Fragwürdigkeit. Aber was heißt das für den Kampf des Fahrpersonals?

Rechenspiele

Noch im Sommer wies die GDL-Führung ein Angebot der Bahn
zurück, das sich auf Basis des Abschlusses mit den beiden anderen
Bahngewerkschaften bewegte, die sich bei 4,5 % geeinigt hatten. GDL-Chef
Manfred Schell zeigte sich entrüstet: Er werde keinen Arbeitskampf „für eine
Tankfüllung mehr im Monat“ führen. Schell präsentierte sich konsequent und
erklärte, wenn die Bahn schon immer behaupte, die GDL wolle 31% mehr (bei den
Einstiegsgehältern), dann werde man diese jetzt auch zusätzlich zu einem
eigenen Tarifvertrag fordern.

Dann, nach Monaten sympathischer Bockbeinigkeit und
schwergewichtiger Drohungen der Gewerkschaft, ging im Januar auf einmal alles
recht flott – mit einigen Zugeständnissen der Gewerkschaft. Der eigenständige
Tarifvertrag der GDL, nun beschränkt auf die Berufsgruppe der Lokomotiv- und
Triebwagenführer, sieht bis zum September eine 11-prozentige Lohnerhöhung vor.
Unterm Strich also doch nur ein Kampf für zwei Tankfüllungen?

Nun gut, die sind eingebrochen, da war doch mehr an heißer
Luft dahinter, als ursprünglich gedacht, mag manch eine sagen. Aber immerhin:
11% ! Das müssten die DGB-Gewerkschaften erst mal nachmachen. Doch auch diese
Rechnung scheint nicht aufzugehen. An der GDL-Basis kursieren durchgesickerte
Details aus dem Vertragsentwurf. Danach werden die Lokführer in Zukunft keine
Leistungszulage, kein Urlaubsgeld und nur noch halbes Weihnachtsgeld erhalten.
Es scheint so, als habe man einfach die Sonderzahlungen auf das
Monatstabellenentgelt umgelegt, um so eine ansehnlichere Lohnerhöhung
herbeizurechnen. Bei den LokführerInnen wurden denn auch Befürchtungen laut, dass
sich die GDL-Gremien ihren eigenständigen Tarifvertrag mit wenig mehr als einer
tendenziellen Nullrunde erkauft und die Mitglieder für blöd verkauft haben.

Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Kritiker, die im
Vorgehen der GDL eine egoistische, von eigenen Machtinteressen geleitete
Spaltungspolitik witterten, die die Verhandlungsmacht der Bahnbeschäftigten
schwäche. Wenn der eigene Tarifvertrag der GDL wenig hermacht, lässt sich das
nur schwer entkräften.

Aus dem Nähkästchen

Auch in anderer Hinsicht bricht das Trugbild GDL zusammen.
Spätestens seit Januar zeigte sich allmählich Unmut an der Basis. Zum einen
wurde dabei die Verhandlungstaktik kritisiert, was damit im Zusammenhang stand,
dass die Führung per Ultimatum mit unbefristetem Streik ab dem 7. Januar
drohte, falls bis zum 5. Januar kein verhandlungsfähiges Angebot vorliege. Der
unbefristete Streik blieb aus. Es stellte sich also die Frage, was für ein
Angebot denn vorliege, das diese Inkonsequenz rechtfertigen würde. Dies führte
dann – zum anderen – zu einer Kritik der Informationspolitik. Denn so gut wie
nichts erfuhren die Mitglieder von ihrer eigenen Gewerkschaftsführung. Von der
Wiederaufnahme der Verhandlungen hörten sie durch die Medien, über den
konkreten Verhandlungsgegenstand überhaupt nichts.

Befürchtungen machten sich breit, die Führung werde den
Willen der Mitglieder nicht länger berücksichtigen. An den örtlichen GDL-Chefs
vorbei wurden nun außerordentliche Mitgliederversammlungen einberufen.
GDL-Funktionäre beklagten, solches Verhalten der Basis sei „Anarchie“. Gerüchte
kursierten, dass sogar eine eigenständige Aktion von Lokführern möglich sei.

Auch nach der Einigung und während der Ausarbeitung des
Vertrages sickerten kaum Informationen durch. Die GDL-Führung warb für
Verständnis und begründete dies strategisch damit, dass sie unter einem enormen
politischen Druck stehe. Auf die Frage, was denn mit dem Druck der Basis sei,
entgegnete der künftige GDL-Chef Weselsky nur zynisch, dass damit fertig zu
werden „noch die einfachste Übung“ sei.

Am Ende eines Arbeitskampfes steht in der BRD meistens eine
Urabstimmung. Spätestens bei dieser wird sich die GDL-Führung vor ihren
Mitgliedern verantworten müssen. Und momentan sieht es nicht so aus, als ob
diese die Abläufe und Ergebnisse mit Begeisterung quittieren werden, auch wenn
die Satzung lediglich eine Zustimmungsquote von 25% vorsieht. Da könnte es der
Führung durchaus bequem sein, auf eine Klausel aus der Satzung des Deutschen
Beamtenbundes (DBB), dem die GDL angeschlossen ist, zurückzugreifen, die ein
Streik-Ende durch simplen Beschluss der Spitzengremien vorsieht. Während sich
also die DGB-Gewerkschaften zumindest ein kleines Quorum für eine Urabstimmung
aufgelegt haben und damit zumindest einen Hauch von Demokratie gewährleisten,
ist in der GDL jederzeit der „gewerkschaftliche Notstand“ möglich. Ein
aussagekräftiges Beispiel für den Charakter dieser Gewerkschaft.

Zweigleisige Lektionen

Mieses Ergebnis, miese Gewerkschaft – haben sich etwa so
viele in der GDL getäuscht? Selbstverständlich! Und zwar deshalb, weil sie den
Charakter des Konflikts mit dem der Gewerkschaft gleichgesetzt haben.
Basiswille wurde mit Führungswille verwechselt und Klasseninteressen mit
Eigeninteressen. Der Kampf der Lokführer, daran gibt es nichts zu rütteln, war
wichtig und notwendig. Er wirkt geradezu subversiv auf die deutsche
Gewerkschaftslandschaft. Die Potentiale, die in diesem Konflikt gerade mal
angedeutet wurden, haben vielen die Erstarrung der etablierten Gewerkschaften
vor Augen gehalten und ihnen den Mut für offensives Handeln, der ihnen durch
diese genommen wurde, wiedergegeben. Die Wirkung stellte sich sofort ein, und
die DGB-Gewerkschaften werden in nächster Zeit gehörig unter Zugzwang geraten.

Damit – nicht mehr und nicht weniger – wird die GDL wohl
ihren Dienst getan haben. Die von machen gehegte Vorstellung, die GDL werde zur
neuen kämpferischen Gewerkschaftsbastion, war von Anfang an eine Illusion. Die
Kampfbereitschaft, die die GDL zeigte, resultierte ja daraus, dass es
kurzzeitig eine gewisse Synthese von Mitgliederinteressen und den
Machtinteressen der Führung gab, die sich aus Legitimationsgründen profilieren
musste. Die Forderung nach 31 % mehr Lohn diente dabei lediglich als
Mobilisierungsfaktor und Ass im Ärmel bei den Verhandlungen. Mit dem
eigenständigen Tarifvertrag, um den es der Führung in erster Linie ging, ist
das nun hinfällig und die Mitgliederinteressen können wieder hinten angestellt
werden.

Sich nun darüber zu empören, dass die GDL nicht wirklich
Interesse und Wille der Basis berücksichtigt, ist nicht weniger naiv, als dies
von den Zentralgewerkschaften zu erwarten. Die FAU, als einzige
Basisgewerkschaft in Deutschland, befindet sich in der vorteilhaften Situation,
sich nicht über solche Machenschaften und Augenwischereien selbstmitleidig oder
scheinheilig beschweren zu müssen. Sie kann ihre Anklage gegen solche Praktiken
selbstbewusst erheben und auf ihren prinzipiellen Charakter verweisen, ohne
sich dabei selbst zu parodieren. Ob die Beschäftigen bei der Bahn von Transnet
oder von der GDL verarscht werden, ob diese oder jene den Betriebsfrieden
herstellen, ist allenfalls eine Frage, wie das in den Ohren klingt.

Der GDL können wir aber dennoch in zweifacher Hinsicht
dankbar sein: Zum einen hat sie Bewegung in die gewerkschaftliche Erstarrung
gebracht und Impulse gegeben (wenn auch unbeabsichtigt und von vielen falsch
verstanden). Zum anderen hat sie mit eigenem abschreckenden Beispiel
verdeutlicht, dass eine echte gewerkschaftliche Alternative her muss. Darin
besteht die ganze Dialektik dieses Arbeitskampfes.

Holger Marcks | robot

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