Alternativen zum Tarifvertrag

Die Anzahl von Arbeitsverhältnissen, die durch miserable
Entlohnung, massive Überstunden, brutale Zeitflexibilität und ein hohes Maß an
Unsicherheit gekennzeichnet sind, hat sich in den letzten Jahren massiv
ausgeweitet. Das war eine der Entwicklungen, die durch die sog. Hartz-Gesetze
ganz gezielt in Gang gesetzt oder beschleunigt wurden. Arbeitshetze und
Existenzängste werden für immer mehr zu alltäglichen Begleitern beim Versuch,
ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Deshalb wird es immer entscheidender,
gewerkschaftliche Strategien zu finden, mit denen wir diese Entwicklung
zunächst stoppen und die ihr in einem zweiten Schritt das Genick brechen
könnten. Ein interessantes Beispiel, die in Schweden praktizierte
„Register-Methode“, stellen wir in diesem Artikel vor.

Wenn in der BRD von geregelten Löhnen und Arbeitsbedingungen
die Rede ist, denkt man unweigerlich an Tarifverträge, denn deren Aushandlung
ist die Art und Weise, wie Gewerkschaften hierzulande ihren Einfluß geltend
machen. Tarifverträge gibt es sogar für weite Bereiche der Niedriglohnsektoren bzw.
diejenigen Bereiche, in denen die Flexibilisierung am weitesten fortgeschritten
ist. In der Zeitarbeitsbranche beispielsweise – einem der klassischen
Niedriglohnbereiche – gibt es gleich mehrere mehr oder weniger flächendeckende
Tarifverträge. Einen Teil hat die DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit (ver.di und
IG Metall) ausgehandelt, den anderen die gelben Phantomgewerkschaften des
Christlichen Gewerkschaftsbundes. Mit tariflichen Stundenlöhnen ab fünfeinhalb Euro
kann man alle getrost als gewerkschaftlich abgesegnete Freibriefe zur
Ausbeutung auf Armutsniveau bezeichnen. Kein Wunder, denn es geht bei diesen
Verträgen ausschließlich darum, die Claims gewerkschaftlicher Einflußnahme in
diesem rasch wachsenden Sektor abzustecken und von den Bossen als tarifwilliger
Verhandlungspartner anerkannt zu werden, und das um nahezu jeden Preis. Ausgetragen
wird der Kampf um die Finanzierung weiterer Funktionärsstellen auf dem Rücken
der Beschäftigten, denn diese verlieren durch diese Tarifverträge ihr Anrecht auf
das gesetzlich garantierte „Equal Pay“, also den Anspruch darauf, als
Zeitarbeiterin den gleichen Lohn wie die festangestellten KollegInnen zu
erhalten.

Zwangsjacke Tarifvertrag

Das kollektive Arbeitsrecht in der BRD ist voll und ganz auf
das Aushandeln von Tarifverträgen ausgerichtet. Streiks und Arbeitskämpfe dürfen
nur zum Ende eines Tarifvertrages stattfinden, ansonsten sind sie durch die
„Friedenspflicht“ untersagt. Dieses Verfahren garantiert den großen
Gewerkschaften Einfluß und den Erhalt ihrer Apparate und dem Kapital nahezu
ungestörte Ausbeutungsbedingungen. Schlechte Zeiten also für kleine
Gewerkschaften, deren Stärke nicht in professionellen Apparaten, sondern bei
ihren kämpferischen Mitgliedern liegt, die keine Lust haben, sich in die Zwangsjacke
von Friedenspflichten stecken zu lassen?

Register statt Tarif

Wie ArbeiterInnen auch mit kleinen, aber entschlossenen und
kämpferischen Gewerkschaften erfolgreich agieren können, zeigt ein aktuelles
Beispiel aus Schweden. Dort hat die syndikalistische Gewerkschaft SAC in den
letzten beiden Jahren eine Taktik entwickelt, mit der sie eine Vielzahl von Konflikten
im Bereich der prekären Arbeit gewonnen hat und z.B. für ArbeiterInnen ohne
legale Aufenthaltspapiere bis zu 30% höhere Löhne durchsetzen konnte, als der Tarifvertrag
der sozialdemokratischen Gewerkschaft LO vorsieht.

Der Fall «Lilla Karachi»

Die Arbeitsbedingungen in Kneipen und Restaurants sind
häufig ebenso miserabel wie die Löhne in der Branche – egal ob mit oder ohne
Tarif. Das ist nicht nur in der BRD so, sondern auch anderswo. Und ebenso wie hierzulande
arbeiten etwa auch in Schweden viele MigrantInnen ohne Papiere als billige und
austauschbare Arbeitskräfte in der Gastronomie. Als im April 2007 das Stockholmer
«Lilla Karachi» den papierlosen Arbeiter Muhammad Riaz feuerte und ihm
ausstehenden Lohn verweigerte, rechnete die Geschäftsführung des in
Politikerkreisen beliebten Nobelrestaurants mit ebensowenig Aufsehen wie in all
den Fällen zuvor. Schließlich nehmen die sozialdemokratischen Gewerkschaften
keine Papierlosen auf und helfen diesen auch nicht bei Arbeitskämpfen. Bei
Muhammad lag der Fall allerdings ein wenig anders. Er ist, so wie viele andere
papierlose ArbeiterInnen auch, Mitglied der syndikalistischen «Sveriges Arbetares
Centralorganisation» (SAC). Im Dezember 2007 forderte die Gewerkschaft die
Geschäftsleitung zu Verhandlungen über den ausstehenden Lohn auf, was diese jedoch
mit dem Hinweis ablehnte, Muhammad habe nie für sie gearbeitet. Darauf verkündete
die SAC die Blockade der Firma bis zur Auszahlung des ausstehenden Lohns. Zeitgleich
wurde mit dem Verteilen großer Mengen Flugblätter im Stadtteil und mit der Organisierung
von Streikposten begonnen. «Lilla Karachi» befindet sich ganz in der Nähe des
schwedischen Parlaments, deshalb verkehren dort viele Abgeordnete aller
Parteien. So war es kein Wunder, dass binnen kurzem in den schwedischen
Tageszeitungen von „Mafiamethoden“ die Rede war. Gemeint war damit nicht das
Management sondern die Gewerkschaft, der man vorwarf, sie setze Unternehmen
„auf die schwarze Liste“. Rechte Politiker schlugen sich demonstrativ im
Restaurant den Bauch voll, um ihre Solidarität gegen die Beschäftigten und die
SAC zu bekunden.

Es half nichts: Wenige Tage später brach der Widerstand der
Geschäftsführung zusammen, nachdem immer mehr Informationen über Schwarzarbeit
und unerträgliche Arbeitsbedingungen für papierlose ArbeiterInnen die Runde
machten. Der Boss zahlte sämtliche ausstehenden Löhne nach, die Blockade hatte
ihren Zweck erreicht.

Der Kampf der Papierlosen

Der Erfolg bei «Lilla Karachi» hatte eine Vorgeschichte und
er war erst der Anfang einer der interessanten Selbstorganisierungen der letzten
Zeit. Im Juni 2006 hatten Papierlose zusammen mit der SAC eine sehr
erfolgreiche Demo unter dem Motto «Die Arbeiterklasse hat keine Nation!»
durchgeführt. Seit Oktober 2007 organisiert die Stockholmer Lokalorganisation der
SAC regelmäßige Treffen für papierlose ArbeiterInnen. Diese haben ein Register
– sozusagen eine «Schwarz-rote Liste» – angelegt, in der Firmen verzeichnet sind,
die papierlose ArbeiterInnen beschäftigen, ihnen aber keine akzeptablen Löhne zahlen.
In einen anderen Teil des Registers werden ArbeiterInnen aufgenommen, die sich
mit ihrer Aufnahme verpflichten, nicht unterhalb eines bestimmten Lohnniveaus
zu arbeiten.

Strategie gegen die «McJobs»

Innerhalb kürzester Zeit traten mehr als 500 ArbeiterInnen
dem Register bei und die SAC begann, einen Erfolg nach dem anderen zu erzielen:
Nur wenige Wochen nach «Lilla Karachi » wurde McDonalds nach einer Blockade gezwungen,
die Lohnforderungen der SAC zu erfüllen. Die Methode ist in Schweden also nicht
nur bei Kleinbetrieben erfolgreich. Die syndikalistische Blockadestrategie ist vielmehr
genau gegen die Firmen wirksam, an denen sich die traditionellen Gewerkschaften
die Zähne ausbeißen – dort wo die Produktion hochflexibel ist und meistens an Subunternehmen
ausgelagert wird.

In Fällen, in denen solche Unternehmen sich weigern, die im
Register festgesetzten Löhne zu zahlen, richtet die SAC ihre Aktionen kurzerhand
gegen deren Auftraggeber und zwingt diese dazu, Druck auf ihre Subunternehmer auszuüben.
Auf diese Weise konnte die SAC selbst die Zeitarbeitsfirma Manpower zum
Einlenken bewegen. Ein anderes Beispiel schildert Torfi Magnusson von der SAC:
„Wir befanden uns in einem Konflikt mit einer Reinigungsfirma, wo viele ArbeiterInnen
ohne Papiere beschäftigt sind. Wir informierten die Firma, dass wir sie wegen
Nichteinhaltung der vom Register geforderten Löhne blockieren werden, aber sie
haben sich einen Dreck darum geschert. Also sind wir geradewegs zu der großen
Hotelkette gegangen, die diese Reinigungsfirma angeheuert hat. Wir haben ihnen
mitgeteilt, dass wir die Arbeit der Reinigungsfirma blockieren werden und zwar
in ihren Hotels. Die haben stinksauer darüber, dass sie in den Konflikt mit
hineingezogen werden, bei der Reinigungsfirma angerufen. Es war ein Sonntag,
innerhalb von sechs Stunden hatten wir eine Einigung.“

Diese Erfolge sprechen sich herum: Im Oktober 2008 zählte
das Register bereits 1.000 ArbeiterInnen, die meisten von ihnen papierlose
MigrantInnen. Bis zum Sommer 2009 sollen es mindestens 1.500 sein.

Der Feind schläft nicht

Die Erfolge der Registerkämpfe haben in Schweden einige
Besorgnis bei den Unternehmerverbänden hervorgerufen. So wird der Ruf nach der
Politik immer lauter, diese solle per Gesetz gegen Arbeitskampfformen vorgehen,
die nicht den gewohnten zahmen Ritualen entsprechen. Mancherorts beginnt die
schwedische Polizei das Arbeitsrecht zu beugen, um die Blockaden als
gewöhnliche Versammlungen behandeln und räumen zu können. Genutzt hat dies
bislang wenig.

Vor Nachahmung empfohlen

In Schweden ist das Register eine scharfe Waffe, die bereits
bis in die 1940er Jahre hinein mit Erfolg von der SAC angewandt wurde, bevor
sie durch die „moderneren“ Tarifverträge der sozialdemokratischen, auf Ausgleich
bedachten Gewerkschaften ersetzt wurde. Bevor jetzt aber auch hierzulande die Register
aus dem Boden sprießen, möchten wir eines zu bedenken geben: Was wir in diesem Artikel
geschildert haben, kann nicht einfach eins zu eins auf die Situation in der BRD
übertragen werden. Die Bedingungen, die zur Entwicklung der Register-Methode geführt
und die sie zu einem aktuell sehr erfolgreichen Kampfinstrument gemacht haben,
sind Ergebnis der Freiräume und Einschränkungen, die das Arbeitsrecht in Schweden
kennzeichnen. Diese unterscheiden sich an einigen zentralen Punkten von den
Bedingungen, mit denen wir hier konfrontiert sind. Das gilt insbesondere dort,
wo es um die Bedingungen von ArbeiterInnen ohne Papiere geht. Dennoch zeigen
die Registerkämpfe Möglichkeiten auf, die auch wir diskutieren sollten und bei
denen wir nach Wegen suchen könnten, sie auf die Situation in der BRD
anzuwenden. Zumindest aber machen sie Lust darauf, nach eigenen Taktiken zu
suchen, mit denen sich die tarifliche Zwangsjacke abstreifen läßt. Wir werden
uns bemühen, in den nächsten Ausgaben der DA weiteres und ausführlicheres
Material für eine solche Diskussion zur Verfügung zu stellen. Auf dem Weg dahin
können wir aber alle LeserInnen schon einmal dazu auffordern, den ersten
Schritt zu tun, der vor allen anderen steht: Nicht jammern, sondern organisieren!

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Bausteine der schwedischen Registermethode

  • Jede Lokalorganisationen der SAC (LS) führt ein Register
    der Löhne, die in einem bestimmten Sektor durchgesetzt werden konnten. Der
    jeweils höchste wird zum Richtwert des Registers, das ständig aktualisiert
    wird.
  • Die LS setzt anhand des Registers einen Preis für die
    Arbeit fest.
  • Die Firma akzeptiert den Preis.
  • Die LS versorgt die Firmen mit Arbeitskräften. Die
    Freiheit des Unternehmens, anzustellen oder zu entlassen, wird damit
    eingeschränkt.
  • Die LS verteilt Jobs u. a. danach, wer am längsten
    arbeitslos ist oder auf den schwarzen Listen des schwedischen Unternehmerverbandes
    steht. Mit dem Register wird das Monopol der staatlichen Arbeitsvermittlung umgangen.
  • Diejenigen, die über das Register angestellt werden,
    wählen ihre VorarbeiterInnen selbst. Der Boss verliert damit das Recht, zu führen
    und die Arbeit zu verteilen.
  • Entweder wird eine Arbeit zu dem Preis ausgeführt, den die
    LS bzw. die ArbeiterInnen bestimmen, oder gar nicht. Verhandlungen über den
    Preis oder die Auswahl der ArbeiterInnen gibt es nicht.
  • Falls eine Firma die Bedingungen der LS nicht akzeptiert, bekommt das Unternehmen
    Sanktionen zu spüren. Diese reichen vom Abzug der ArbeiterInnen durch die
    Gewerkschaft (»Entvölkerung«), über den öffentlichen Aufruf, in dieser Firma nicht
    zu arbeiten, bis hin zur Blockade.

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