Aktiv gegen scheiß’ Zustände

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Über
Scheiße spricht man nicht. Über die Arbeitsbedingungen in der
Behindertenassistenz, wo Löhne um die 6,50 Euro netto, befristete
Arbeitsverträge oder die Nichtexistenz von Nachtzuschlägen zum
Standard gehören, spricht man auch nicht. Um das zu ändern, haben
Berliner AssistentInnen im April dieses Jahres mit dem Scheißstreik
eine öffentliche Aktion gestartet, die auf ihre prekäre Lage
hinweist. Die persönliche Assistenz hat nun zwar nicht
hauptsächlich, aber eben auch mit Scheiße zu tun und Tabubrüche
bringen zudem die notwendige Aufmerksamkeit. Deshalb riefen die
OrganisatorInnen mit dem Scheißstreik dazu auf, mit Scheiße oder
optisch ähnlichen Substanzen befüllte Kotröhrchen an die für die
miesen Arbeitsbedingungen Verantwortlichen in Betrieben,
Wohlfahrtsverbänden und Politik zu schicken.

Konkret
begann die Aktion mit einer Kundgebung am 27. April vor der Berliner
Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales, wo die ersten Kotröhrchen
in einem symbolischen Toilettenhäuschen befüllt und verschickt
wurden. Die bürgerliche Presse zeigte reges Interesse an der Aktion
und vor allem in Behindertenaktivistenkreisen schlug die Kundgebung
und die diesbezügliche Berichterstattung weite Wellen. In
Internetforen erklärten einzelne User, dass die Aktion pubertär
wäre und die Behindertenassistenz aufs „Arsch abwischen“
reduzieren würde. Interessant ist dabei die Tatsache, dass kurz nach
der Scheiß-Streik-Kundgebung verschiedene Behindertenorganisationen
genau am selben Ort ebenfalls eine Kundgebung durchführten. Sie
forderten medienwirksam mehr Geld für die persönliche Assistenz und
beklagten den Mangel an qualifizierten AssistentInnen, der angesichts
der Arbeitsbedingungen in der Branche nicht sehr verwunderlich ist.
AssistentInnen waren zu der Kundgebung nicht eingeladen.

Die
Beteiligung am Scheiß-Streik blieb, zumindest laut der
Versendungsdokumentation im Internet, eher mäßig. Zum einen kann
das am rein symbolischen Charakter der Aktion liegen, denn das
Versenden eines Kotröhrchens hat natürlich keine direkten
Auswirkungen auf die eigenen Arbeitsbedingungen. Und dass sich
PolitikerInnen nicht sonderlich von vereinzelten Kotröhrchen
beeindrucken lassen dürften, liegt ebenfalls auf der Hand.
Stattdessen wäre Aktivismus direkt im Betrieb mit klar zu bennenden
Verantwortlichen, also den Geschäftsführungen, wesentlich
greifbarer als Appelle und Proteste, die politischen Druck aufbauen
sollen. Andererseits sollte der Scheiß-Streik neben der
Öffentlichkeitswirkung allein durch seine Durchführung den nicht
gerade organisierungswütigen AssistentInnen auch die Möglichkeit
geben, und sei es nur auf symbolischer Ebene, ein erstes Mal gegen
die miesen Arbeitsbedingungen zu protestieren bzw. diesen Zustand
überhaupt erst als Problem zu erkennen. Ob der Scheiß-Streik dieses
Ziel erfüllt hat bleibt abzuwarten, aber immerhin wurden die
Arbeitsbedingungen in der persönlichen Assistenz auf einer breiteren
Ebene in der Presse thematisiert.

 Daniel Colm

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