Kolumne Durruti

kolumne_durruti-ps.jpgDas Umland von Jena hatte für mich etwas Exotisches. Anders lässt sich nicht erklären, warum ich mit Freunden häufiger in die bedrückende Thüringer Peripherie fuhr, wo wir uns in einem verfallenen und noch bedrückenderen Bauernhof einquartierten. Von dort aus unternahmen wir Expeditionen in andere Dörfer – unseres bestand nur aus wenigen Häuschen, in denen angeblich Leute wohnen sollten –, um Konzerten mit Cover-Bands, Dorffesten mit Cover-Bands und Vereinsfeiern mit Cover-Bands beizuwohnen. Zum festen Inventar dieser Veranstaltungen gehörte scheinbar auch eine größere Horde von Menschen, die für jeden erkennbar der Gattung der Neonazis angehörten. Die Feste verliefen immerhin friedlich – es gab schließlich keine „fremdartig“ Ausschauenden, deren Anwesenheit belästigte. Auch in der breiten Masse gab es keine Anwandlungen sozialer Abweichung. Den Nazis gegenüber war man wohlwollend.

Wer hier outfittechnisch durch das „Zecken“-Raster fällt, kann erfahren, wie erstaunlich schnell Nazis zutraulich werden. In sogenannten Unterhaltungen muss man lediglich das Banalstmögliche sagen. Zustimmung ist garantiert. Eine kleine Legende – ich bin (deutscher Name) aus (entfernte deutsche Stadt; für die ganz Selbstbewussten kommt die Schlesien-Nummer in Frage) und gerade zu Besuch, stolzer Deutscher, besorgt um die Heimat etc. – und die Kumpanei beginnt. Man erfährt etwas über den Thüringer Heimatschutz, lernt unkonventionelle Ansichten zur Geschichte kennen und erhält verblüffend simple Lösungsvorschläge für die Probleme der Gegenwart.

Diese Gespräche verlaufen allesamt nach Schema F. Ich weiß, wovon ich rede. Mein Vater, selbst ein Knecht an der Maschine, aber in erster Linie Chauvinist, hatte, als ich jünger war, mit neonazistischen Einstellungen nicht gegeizt. Man muss ihm zugutehalten, dass er heute Menschen nur noch in zweierlei Kategorien unterteilt: in Arschlöcher und größere Arschlöcher, wie er sagt. Die Schimpfe auf „Kanaken“ hat er aufgegeben. Er hat festgestellt, dass er selbst nur ein armer Tropf im Räderwerk ist. Viele machen heute jedoch die umgekehrte Entwicklung. Hochzeiten in der Provinz sind dafür ein guter Indikator: Am Tisch wird viel geredet, vorwiegend geschwallt: all das, was man von den Thüringer Festzelten her kennt. Und zwischen zwei Schluck Bier wird präventiv festgestellt, dass man das doch wohl noch sagen werden dürfe. Aus den Herren spricht nämlich die „Lebenserfahrung“, wie sie betonen.

Nun wäre die Welt sicherlich ein besserer Ort, wenn Lebenserfahrung wirklich zu mehr Weisheit unter den Menschen führen würde. Männer, wohlgemerkt vom Typus Ringer, die frequentiert ausländerfeindliche Sprüche vor sich her rülpsen, den allgemeinen Stresspegel durch Pöbeleien erhöhen, um dies in chauvinistischen Schunkelliedern kulminieren zu lassen, zeugen nicht gerade davon. Es sei hiermit davor gewarnt, diese Kulmination ihrer Lebenserfahrungen anzufechten, sei es mit Worten oder einem Bierkrug. Der Mahnende gerät schnell in die Rolle des Outlaws, und je nach Verlauf werden dann auch mal Fantasien geäußert, in denen der Störenfried am Galgen hängen soll.

Es ist schon ein verdrehtes Kreuz, dass der Nazi von heute mit seiner Identität zu tragen hat. Er kreiert sich ein Feindbild, das er bezichtigt, ungebildet, unzivilisiert und gewalttätig zu sein und zeigt sich selbst meist in Gestalt eines bildungsresistenten „Asi“, der seine Mitmenschen animalisch bekeift und immer öfter auch traktiert. Warfen nicht schon die Nazis der alten Schule ihren jüdischen Feinden vor, herrschsüchtig, asozial und hinterhältig zu sein, nur um selbst nach der Weltmacht zu greifen, Menschenmassen für sich arbeiten zu lassen und sie und ihre wehrlosen Kinder niederträchtigst zu ermorden? Als ob sie auf andere projiziert hätten, was sie selbst in sich trugen. Und so ist womöglich auch das blühende Feindbild des „Kanaken“ nur ein Spiegel der deutschen Seele selbst.

Pasqual Schänke

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