Jungbusch und Neckarstadt-West sind die beiden Mannheimer Stadtteile, die früher Mal als proletarisch galten, heute als „asozial“. Dabei wandelt der Jungbusch sein Gesicht gerade unter dem berüchtigten Aspekt der Gentrifizierung: Nachdem Xavier Naidoo 2003 hier seine Popakademie gebaut hat und nebenan ein modernes Studierendenwohnheim aufgezogen wurde, ersetzten hippe Bars das Rotlichtmilieu, und beim jährlichen „Nachtwandel“ fallen bis zu 20.000 BesucherInnen in das ehemalige Hafenviertel ein. Trotzdem ist der Jungbusch noch einer der Stadtteile, die deutlich migrantisch geprägt sind.
Mannheim ist eine der Städte, in denen ein hoher Zuzug aus Osteuropa zu verzeichnen ist, insbesondere aus Bulgarien und Rumänien. Die offiziellen Schätzungen liegen bei 7.000 südosteuropäischen BewohnerInnen. Dass das Probleme mit sich bringt, liegt weniger am Zuzug als vielmehr an dem Umgang mit den „NeubürgerInnen“: Kleine Mietwohnungen werden überfüllt, die VermieterInnen zocken gleich mehrfach ab. So ist z.B. im Jungbusch ein Fall bekannt geworden, in dem ein Vermieter gleich dreimal kassierte: Für das bezogene Zimmer, für eine Meldeadresse und für eine vorher bewohntes Zimmer, das angeblich nicht ordnungsgemäß gekündigt wurde. Die BewohnerInnen werden oftmals nicht angemeldet, so dass es an allem fehlt: Müllcontainer, Strom, Wasser. In mindestens einem Haus im Jungbusch ist das Wasser gesperrt, weil der Vermieter die an ihn gezahlte Wasserrechnung nicht an die Stadtwerke (MVV) weitergegeben hat.
Mannheim unattraktiv gestalten
Im November 2012 skandalisierte der SWR eine vermeintliche „Kapitulation“ der Kommunalpolitik vor „Zuwanderern aus Bulgarien“. Alarmistisch wurde über illegale Prostitution und „organisierte Kriminalität“ berichtet, die sich ausbreite „wie ein Krebsgeschwür“. Prompt sprang die Neonazi-Szene auf diese Klischees an: Am 16. Februar 2013 versuchten sie eine Kundgebung in Neckarstadt-West. Unter dem Motto „Sicherheit für Recht und Ordnung“ konnten sich allerdings nicht einmal 10 Nazis unter der Blockade der AnwohnerInnen versammeln.
Ein Jahr später erbarmt sich der Bundespräsident höchstpersönlich, die Lage vor Ort anzuschauen. Die Ereignisse um den Besuch von Joachim Gauck veranschaulichen den Umgang mit den zugereisten OsteuropäerInnen sehr deutlich: Für den hohen Staatsbesuch wurde ein weiträumiges Parkverbot verhängt, PKWs wurden abgeschleppt, Müllcontainer beiseite geräumt. Das alles aber tatsächlich nur an den Wegen, die der Bundespräsident auch nahm – die Hinterhöfe und Seitenstraßen sahen aus wie immer. Und nicht nur das: Nach der Abreise des Präsidenten wurde schlicht alles stehen- und liegengelassen. Die Müllcontainer kehrten nicht zurück an ihren Standort, dafür blieben die – nun ignorierten – Parkverbotsschilder. Offenkundiger kann man sein Desinteresse kaum ausdrücken. Das ein Jahr zuvor präsentierte „Grundlagenpapier“ der AG Südosteuropa der Stadt Mannheim findet eine deutliche Sprache und deutlich rassistische Maßnahmen: Von einer „Überschwemmung“ der Neckarstadt und des Jungbuschs ist hier die Rede, vorgeworfen werden den MigrantInnen Kriminalität, Schwarzarbeit, Müll und „Transferleistungsmissbrauch“. Die Gegenmaßnahmen lassen sich zusammenfassen als Plan, das Alltagsleben so schwer wie möglich zu gestalten, der „Durchmarsch durch die Institutionen“ – gemeint sind die notwendigen Amtsgänge – soll „erschwert“ und „unattraktiv gemacht“ werden: „Keine sofortige Wohnungsanmeldungen ermöglichen“ heißt es im Papier, bzgl. Gewerbeanmeldungen wird die Formulierung wiederholt. Das formulierte Ziel: „Mannheim für Massenzuwanderung durch diese Gruppen in den nächsten Jahren unattraktiv gestalten“.
Ganz normaler Antiziganismus
Das klingt ganz anders als die Integrationsbeteuerungen der PolitikerInnen aller Parteien und der oftmals betonte Stolz auf die multikulturelle Arbeiterstadt. Die Doppelzüngigkeit wurde auch im Umfeld des Gauck-Besuchs deutlich: Sechs Tage nach der öffentlichkeitswirksamen Integrationsshow führte die Polizei mit 100 Beamten Razzien in der „südosteuropäischen Kneipenszene“ durch. Denn auch die Mannheimer Polizei hat eine „Aufbauorganisation Südosteuropa“, die Besuch von zwei bulgarischen Kollegen hatte, mit denen die Razzien durchgeführt wurden. Einen Grund für die Maßnahme gab es nicht, es reichte das Wissen um eine „südosteuropäische Szene“ – racial profiling also: Verdachtsmoment Herkunft.
Dementsprechend wurden bei den Razzien kaum Gesetzesverstöße entdeckt, aber darum ging es auch gar nicht: „Es ging uns vor allem darum, Präsenz zu zeigen“ gibt der Leiter der „Aufbauorganisation“, Horst Wetzel, offen zu.
Den Vogel allerdings schießt in diesem Zusammenhang der bulgarische Botschaftsrat Georgi Nenov ab: Er entschuldigt sich bei den MannheimerInnen dafür, dass es unter den MigrantInnen auch „eine bestimmte Volksgruppe“ gäbe, die für die Deutschen „ein Kulturschock“ sei. Dass er die bulgarischen Roma meint, ist offenkundig. Es ist mittlerweile nichts neues mehr, dass durch ganz Europa eine frappierende Welle von Antiziganismus rollt. Man wundert sich aber dennoch immer wieder, für wie „normal“ es offenbar Politiker und Medien, die so etwas unkommentiert drucken, halten, Roma als die kulturell so „Anderen“ zu bezeichnen, so dass in jeder Silbe der ganze rassistische Ballast mitschwingt. Das macht einem einen verhinderten Naziaufmarsch gallig, denn offenbar braucht es keine Neonazis für die politische Rolle rückwärts.
Torsten Bewernitz