Zeitarbeit
als Branche, die Arbeitsverhältnisse extrem prekarisiert, ist schon
länger ein Thema. Durch die Liberalisierung des europäischen
Arbeitsmarktes wird die Ausbeutung von ArbeiterInnen auf Zeit auch
über Staatsgrenzen hinweg zu einem zunehmenden Problem. Nach dem
Arbeitsunfall eines polnischen Zeitarbeiters in Holland haben
anarcho-syndikalistische Organisationen in beiden Ländern nun eine
Kampagne dagegen gestartet.
Michal,
der in diesem Fall Betroffene, war von der in Polen ansässigen
Zeitarbeitsagentur Groen Flex für 78 Wochen an die holländische
Eurocontract Zeeland BV vermittelt worden. In Polen war von Arbeit in
einem Gewächshaus die Rede. In Holland stellte sich jedoch heraus,
dass er im Hafen von Vlissingen in einer Werft Schiffe reinigen
sollte. Ohne irgendeine Schulung zur Arbeitssicherheit begann er zu
arbeiten: Da er weder Niederländisch noch Englisch beherrscht, war
er noch nicht einmal in der Lage, etwaige Sicherheitshinweise zu
lesen. Schutzkleidung gab es nicht. Den Reinigungschemikalien derart
ausgesetzt, verlor er schließlich bei der Arbeit das Bewusstsein und
musste für einen Tag ins Krankenhaus. Wieder aus der Klinik
entlassen, gab es angeblich keine Arbeit mehr für Michal. Nach nur
sechs Arbeitstagen kehrte er nach Polen zurück – wo sich
herausstellte, dass Groen Flex und Eurocontract die
Krankenversicherung, die Teil der Vertragsvereinbarung war, und deren
Kosten vom Lohn abgezogen werden sollten, überhaupt nicht bezahlt
hatten – sodass keinerlei Versicherungsschutz bestand. Michal, der
nun auf einer Krankenhausrechnung von über 2000 Euro sitzt, wandte
sich an die ZSP (Związku Syndykalistów Polskich), um eine
Entschädigung von den Arbeitgebern zu erkämpfen.
Die
ZSP startete daraufhin in Zusammenarbeit mit der AGA (Anarchistische
Groep Amsterdam) eine Kampagne, in deren Rahmen es am 14. März 2009
zeitgleich in Polen und in Holland zu Aktionen kam. Im holländischen
Overzande suchten am frühen Morgen Mitglieder der AGA ein Hotel auf,
in dem viele von Groen Flex vermittelte Arbeiter untergebracht sind.
Sie verteilten Flugblätter mit Forderungen an die Arbeitgeber und
versuchten in Gesprächen mehr über die Situation der ArbeiterInnen
herauszufinden. Ebenso wandten sie sich an die Arbeiter in der Werft
in Middelburg, wo Michal zu Schaden gekommen war.
Zugleich
wurde im polnischen Opole das Büro von Groen Flex besetzt und der
dortige Chef dazu gebracht, sich vor den laufenden Kameras der
interessierten Presse in Widersprüche zu verstricken. Er versprach
einerseits, Groen Flex werde die Krankenhausrechnung übernehmen,
andererseits verwies er darauf, dass dies eine Entscheidung sei, die
eigentlich von der Firma Eurocontract in den Niederlanden getroffen
werden müsse. Dort wiederum fühlt man sich plötzlich nicht mehr
zuständig, der Geschädigte könne ja klagen, wenn er wolle.
Der
Einzelfall hat System
ArbeiterInnen
wie Michal werden mit falschen Versprechungen über Löhne,
Arbeitseinsätze und Unterkunftsbedingungen nach Holland gelockt.
Dort werden sie mit von der Zeitarbeitsfirma „vermittelten“,
teilweise miserablen Unterkünften konfrontiert, die sie von dem
ohnehin schon geringen Lohn bezahlen müssen. Betroffene berichten
von Türschlusszeiten in der Unterkunft sowie der Durchsuchung ihrer
Habseligkeiten. Auch die Arbeit, die in Holland angeboten wird, hat
häufig nichts mit der ursprünglichen Vereinbarung zu tun. Verstöße
gegen die Arbeitssicherheit sind normal. Es gab etliche Fälle, in
denen ZeitarbeiterInnen deutlich früher als vereinbart nach Polen
zurückgeschickt wurden, oder über Tage – unbezahlt – ohne
Arbeit waren.
Doch
gegen den vermeintlichen Vertragsbruch mit den polnischen
Vereinbarungen gibt es keinerlei rechtliche Handhabe, da vor Gericht
ausschließlich der Vertrag gilt, der in Holland abgeschlossen wurde.
Auch wenn es zum Bruch mit den in Holland getroffenen Vereinbarungen
oder zu allgemeinen Verletzungen der Sorgfaltspflicht des
Arbeitgebers kommt, ist der Gang vor Gericht schwer. Laut EU-Recht
ist eine Firma in dem Land zu belangen, in dem sie ihren Sitz hat. Um
sich hier der Angreifbarkeit zu entziehen, verwirren Firmen wie Groen
Flex mit komplizierten Rechtsstrukturen,denn mit Eurocontract wird
eine zweite juristische Entität ins Spiel gebracht. Obwohl beide
Firmen auf der niederländischen Website zusammen auftreten und Groen
Flex laut holländischer Handelskammer der einzige Anteilseigner an
Eurocontract ist, wird diese Identität durch die Herausgabe zweiter
Verträge verschleiert. Die Unklarheit, welche der Firmen mit Sitz in
welchem Land nun der juristische Gegner ist, wird zu einem zentralen
Mechanismus, um sich gegenüber den Arbeitenden in Vorteil zu
bringen, und ist, so betont eine Aktivistin der ZSP Warschau, „auch
bei vielen anderen transnational agierenden Firmen gängige Praxis“.
Durch
das immer noch bestehende Lohngefälle zwischen alten und neuen
EU-Mitgliedsländern entsteht mit der Liberalisierung der
Arbeitsmärkte ein weites Feld für Zeitarbeitsfirmen, die in der
Vermittlung von Arbeitskräften zwischen den Ländern ein neues
Tätigkeitsfeld erschließen. Zwar gibt es seit 2008 eine bindende
EU-Direktive, welche die Gleichbehandlung von ZeitarbeiterInnen mit
Festangestellten vorschreibt. Sie kann jedoch mit dem Verweis auf
eventuelle zusätzliche Tarifverträge der Leihfirmen mit den
Vermittlerfirmen außer Kraft gesetzt werden. Damit ist miesen
Arbeits- und Lohnbedingungen für ZeitarbeiterInnen Tür und Tor
geöffnet. Dass diese sich im fremden Umfeld, das sie ohnehin bald
wieder verlassen wollen, ernsthaft organisieren werden, um bessere
Arbeitsbedingungen zu fordern, ist kaum zu erwarten. Auch wenn einige
der großen Gewerkschaften aktiv werden, um dem Lohndumping, das
durch die Konkurrenz der ZeitarbeiterInnen droht, entgegenzuwirken,
bleibt die Situation der Zeitarbeiter doch prekär. Gerade vor diesem
Hintergrund ist die Kampagne, die Michal mit seiner Bitte um
Unterstützung vonseiten der anarchosyndikalistischen Organisationen
ausgelöst hat, ein wichtiger Schritt. Hier können die Gruppen und
Gewerkschaften genauso flexibel und grenzüberschreitend agieren wie
die sich internationalisierende Zeitarbeitsindustrie. Und dazu
ermuntert Michal auf einem von der ZSP nun eingerichteten Beschwerde-
und Beratungsblog auch seine polnischen ZeitarbeitskollegInnen –
nicht nur in Holland auf. Sein Geld hat er noch nicht wieder. Aber
auf weitere Aktionen werden die Firmen nicht lange warten müssen.
Linde
Müller