Im
Iran hat eine neue Ära begonnen. Die Massenproteste nach den
Wahlfälschungen im Juni 2009 haben die sozialen und politischen
Rahmenbedingungen derart umgestürzt, dass eine Rückkehr zu alten
Zuständen unmöglich erscheint. Doch die Wurzeln der Proteste liegen
nicht nur im Ausgang der Wahlen, sondern zu weiten Teilen in der
wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der letzten Jahre.
Trotz
der Einnahmen aus der Ölförderung ist die Schere zwischen Arm und
Reich im Iran noch weiter auseinander gegangen. Das Regime versuchte
– wie so oft – die aus der Ungleichverteilung sozialen Reichtums
entstehenden Konflikte mit Repression einzudämmen. So wurde
beispielsweise die Zensur verschärft und die Unterdrückung
nicht-persischer Minderheiten intensiviert. Willkürliche
Verhaftungen, Folter und Ermordung von SystemkritikerInnen waren an
der Tagesordnung. Die Schlinge um den Hals der Bevölkerung zog sich
immer enger.
Die
jetzigen Massenproteste vergleichen viele IranerInnen daher mit einem
Vulkanausbruch, die Wut hatte sich lange aufgestaut und brach mit
einem Mal heraus. Und der Aufstand flaut trotz Repression von Seiten
der Regierung nicht ab. Dabei hat sich die Dynamik der Proteste
deutlich verändert, inzwischen wird im Iran fast täglich irgendwo
gestreikt, auch sind die Forderungen der Protestierenden radikaler
geworden. Inzwischen wird nicht mehr nur das Wahlergebnis
angefochten, sondern das System an sich in Frage gestellt. Aufgrund
des Massencharakters und der Spontanität sind die Kämpfe nicht
unter Kontrolle zu bekommen, auch wenn sie durch die Präsenz der
Repressionsorgane und Milizen aus unserer medialen Öffentlichkeit
verschwinden und im Iran selbst als vom Ausland aus angezettelte
Verschwörung diffamiert werden.
Prekäre
Arbeitsbedingungen
Die
eigentliche Ursache des Aufstands zeigt sich in der desolaten Lage,
in der die Mehrheit der Bevölkerung lebt. Im Iran sind
Arbeitsverhältnisse extrem prekär, oft gibt es keine schriftlichen
Verträge, feste Arbeitszeiten oder Stundenlöhne. Zudem sind die
meisten ArbeiterInnen TagelöhnerInnen, die z.B. in der
Landwirtschaft oder auf dem Bau arbeiten und von den Bossen tageweise
angestellt werden. Gezahlt wird auch tageweise, die Zukunft der
ArbeiterInnen bleibt dadurch ungewiss und sie selbst in umso größerer
Abhängigkeit von der Willkür der Bosse.
Die
Situation der ArbeiterInnen im wichtigen staatlichen Sektor, der
neben der Verwaltung, Gesundheit und Bildung auch z.B. Industrie und
Bergbau umfasst, sieht auch nicht viel rosiger aus. LehrerInnen
müssen Zweitjobs annehmen, um ihre Miete zu bezahlen, während sie
in einer Klasse bis zu fünfzig SchülerInnen betreuen. Verträge und
feste Löhne gibt es dort immerhin. In vielen Betrieben werden
Lohnzahlungen auch komplett verschleppt, das ist der häufigste Grund
für Streiks im Iran. Dennoch sind Jobs in Staatsbetrieben aufgrund
der hohen Arbeitslosigkeit sehr begehrt. Zudem müssen BewerberInnen
sich ideologischen Prüfungen und Kontrollen auf ihre Regimetreue hin
unterziehen.
Die
Gegenwehr ist schwierig, weil jede Art von unabhängiger Organisation
im Iran verboten ist. Außerdem arbeiten viele IranerInnen isoliert
oder nur kurzzeitig an der gleichen Stelle. In Staatsbetrieben
unterliegen Beschäftigte der Kontrolle durch offizielle
“ArbeiterInnenorganisationen”
wie dem Dachverband der islamischen Arbeiterräte “khaneye karegar”
(Haus der Arbeiter), die Aufdeckung von Organisationsversuchen kann
Kündigung, Knast oder Folter zur Folge haben. Nichtsdestotrotz haben
sich auch unabhängige Gewerkschaften bilden können, die sogar
kleinere Siege erkämpft haben.
Diese
Bedingungen haben sich in den letzten Jahren verschärft, seit die
traditionelle Landwirtschaft durch die fortschreitende
Industrialisierung und den Import billiger Agrarprodukte aus dem
Ausland weitestgehend zerstört wurde. Deshalb suchen jetzt viele
LandbewohnerInnen in der Stadt Arbeit, was die dortige Jobknappheit
noch weiter verschärft hat. Auch aus der voranschreitenden
Privatisierung resultiert eine immer ungleichere Verteilung von
Reichtum. Das hat zu teils heftigen Protesten geführt, die sich vor
allem gegen Lohndumping und Entlassungen richteten. Der Höhepunkt
dieser Proteste waren die letztjährigen Protestmärsche,
Autobahnblockaden und Streikversammlungen in der Region Haft Tape,
einem Zuckerrohranbaugebiet. Daran beteiligten sich nicht nur die
ArbeiterInnen, sondern fast alle BewohnerInnen dieser Gegend.
Es
liegt auch an uns
Unter
diesen Bedingungen ist es wahrscheinlich, dass sich in nächster Zeit
verschiedene Arbeitskämpfe zusammenschließen und weitere
ArbeiterInnen sich solidarisieren. Mittlerweile steht sogar wieder
die Möglichkeit eines Generalstreiks im Raum. Ein solcher hat auch
1979 das Schahregime in die Knie gezwungen. Das harte Vorgehen der
jetzigen Regierung gegen die aktuellen Proteste, die Kontrollen in
den Betrieben und die Repression von AktivistInnen scheinen vor
diesem Hintergrund auch zur Verhinderung eines Generalstreiks zu
dienen.
Die
antikapitalistischen Kräfte im Iran sind innerhalb dieser
Massenproteste äußerst präsent, sie wollen sich aus diesem
riesigen Knast in der Größe eines Landes befreien. Wichtig dabei
ist unsere Solidarität. Beispielsweise hat die FAU im Februar 2006
Geld für streikende Busfahrer in Teheran gesammelt. Eine andere
Möglichkeit sind öffentlichkeitswirksame Solidaritätsaktionen. In
jedem Fall ist es wichtig, dass die sozialen Bewegungen in der BRD
mit denen im Iran solidarisch sind.
Adel
Moradi, Maria Hoffmann