Italiens Abschied vom Kündigungsschutz?

Die Lage in Italien bleibt weiterhin prekär: Während in anderen europäischen Ländern die Jugendarbeitslosigkeit, wenn auch langsam, zurück geht, ist in Italien keine Besserung in Sicht. Aber anstatt die überbordende Korruption zu bekämpfen und die Macht der reichen Wirtschaftsmogule Italiens zu brechen, sucht sich die Regierung lieber die vermeintlich Schwächeren aus – natürlich die ArbeiterInnen und Angestellten. Die Regierung Renzi will dabei eine historische Errungenschaft der italienischen Arbeiterschaft abschaffen: Der Kündigungsschutz, der ArbeiterInnen vor ungerechtfertigten Entlassungen in Betrieben mit über 15 Beschäftigten schützt, soll nach leichten Veränderungen in den Vorjahren1 vollständig aufgeweicht werden. Ab jetzt soll dieser erst ab drei Jahren Anstellung greifen. Auch weitere Veränderungen innerhalb dieser „Reform“ erinnern an die hierzulande bekannte Agenda 2010. Glaubt man Renzis Worten, sollen im Zuge des Vorhabens eine allgemeine Arbeitslosenversicherung eingerichtet und viele derzeit existente prekäre Arbeitsverträge zukünftig unterbunden werden. Zusätzlich ist die Schaffung einer Arbeitsagentur vorgesehen, um eine aktivere Arbeitsmarktpolitik zu ermöglichen. Also analog dem hier in Deutschland berühmt-berüchtigten „freundlichen“ Kundendienst für Arbeitslose. Die Regierung erhofft sich dadurch eine Senkung der Arbeitslosigkeit zu bewirken oder zumindest mehr Sozialabgaben für den Staat zu generieren. Obwohl die geplante de-facto-Abschaffung des Kündigungsschutzes dergestalt rechtlich extrem problematisch sein dürfte, ist hier zu betonen, dass auch das bisherige Gesetz nicht wirklich über die Gesetze anderer Länder hinausgeht.2

Dabei ist das italienische System wesentlich krasser, als dies in Deutschland der Fall ist: Es gibt in Italien kein vergleichbares Sozialsystem. Italienische Arbeitende sind nur versichert, wenn sie einen Job haben. Da Italien aber im Besonderen ein Problem mit einer extrem hohen Jugendarbeitslosigkeit hat, hatten viele Menschen bisher noch keine Arbeit. 44,2% der unter 25-Jährigen sind arbeitslos, noch 79% der unter 30-Jährigen müssen zu Hause leben, das durchschnittliche Alter für finanzielle Unabhängigkeit beträgt 35!3 Da das italienische Sozialsystem vom Ansatz her immer noch im 19. Jahrhundert verwurzelt ist, wird hier auf die Großfamilie gesetzt: Kein Hartz IV, kaum weitere Sozialleistungen, nur ein pauschales Elterngeld – doch die gesamte Struktur der italienischen Gesellschaft ist eben heute eine ganz andere. Für die Zukunft steht zu befürchten, dass es die Arbeitsverhältnisse in Italien noch schlimmer prekarisieren wird: Vielleicht werden mehr Menschen Arbeit finden, aber zu extremen Bedingungen, bei denen der kleinste Fehler eine Kündigung bedeuten kann, gegen die man sich gerichtlich nicht wehren kann.

Aufrufe zu Generalstreiks

Die Gewerkschaften Italiens reagieren auf den Job Act Renzis. Die großen Gewerkschaftsverbände CGIL, CISL und UIL beließen es hierbei zunächst nur bei schroffen Worten. Der erste Verband, der zu einem allgemeinen Streik aufrief, war der Verband der Basisgewerkschaften „Unione Sindacale di Base“ (USB), ein Verband, der aus der links-kommunistischen Vergangenheit Italiens kommt (Stichwort „Eurokommunismus“). Seinem Aufruf zum 24. Oktober folgten immerhin über eine Million Beschäftigte. Betroffen waren vor allem der Flug- und Eisenbahnverkehr sowie der Schulbetrieb. Den Auftakt machten SchülerInnen und StudentInnen, die zu Beginn des Streiktags landesweit in allen Regionalhauptstädten Protestkundgebungen gegen den Zustand des Bildungswesens ausrichteten. Für den 14. November haben nun weitere Gewerkschaften einen Generalstreik ab acht Uhr morgens für acht Stunden angekündigt. Mit dabei Gliedgewerkschaften des größten Verbandes CGIL.

Die USI ruft ebenfalls zu Streiks in Mailand und Florenz auf. Die Schwerpunkte richten sich hierbei auf ihre Sympathisanten im Dienstleistungs- und Industriesektor sowie die Beschäftigten in Pflege- und Krankenhäusern.

Michael Rocher

[1] Seit 2012 können die Unternehmer den ungerechtfertigt Entlassenen auch eine Entschädigung zahlen, zuvor gab es nur die Option, die Gekündigten wieder einzustellen.

[2] Fr-online vom 30.09.2014 www.fr-online.de/politik/italien-renzi-macht-sich-neue-feinde,1472596,28575866.html

[3] Die Zahlen stammen aus dem Artikel: www.opendemocracy.net/can-europe-make-it/jamie-mackay/matteo-renzi%E2%80%99s-jobs-act-is-affront-to-italy%E2%80%99s-youth

Quellen und Literatur

iz3w 334: Antiziganismus – Vergangenheit und Gegenwart
www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/iz3w334.pdf

Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer
www.dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/015/1801528.pdf

Klaus-Michael Bogdal, Europa erfindet die Zigeuner – Eine Geschichte von Faszination und Verachtung, Suhrkamp, 2011

Reinhard Marx. Serbien, Mazedonien und Bosnien – sichere Herkunftsstaaten? Zusammenfassung eines Rechtsgutachtens im Auftrag von ProAsyl:
www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/NEWS/2014/Zusammenfassung_des_Rechtsgutachtens.pdf

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