Abhängig vom Tabak

In gewerkschaftlichen Kreisen wird Tabak als Produkt bestenfalls mit dem TEKEL-Streik in der Türkei vor sechs Jahren in Verbindung gebracht. Damals wie heute wird selten gefragt, wo und unter welchen Bedingungen der Rohtabak für die Zigarettenproduktion angebaut wird. Gerade in Deutschland wäre dies aber eine wichtige Frage, denn Deutschland ist der weltgrößte Zigarettenexporteur.

Die deutsche Tabaklandschaft

Nach Deutschland werden jährlich 220.000 Tonnen Rohtabak importiert. Daraus werden 205 Mrd. Zigaretten produziert, von denen 160 Mrd. Stück ins Ausland verkauft werden. Alle multinationalen Zigarettenkonzerne haben hier Niederlassungen: Philip Morris (Marlboro) produziert in Berlin-Neukölln, Japan Tobacco (Benson & Hedges) hat seine Präsenz in Trier, British American Tobacco (Lucky Strike) hat sein weltgrößtes Werk in Bayreuth und Imperial Tobacco, der Mutterkonzern von Reemtsma (Gauloises), in Hamburg. Außerdem ist die deutsche Körber AG aus Hamburg der Weltmarktführer für Produktionsmaschinen zur Zigarettenherstellung. Und nicht zuletzt bietet die Stadt Dortmund der Tabakindustrie mit der Inter-tabac Messe die weltgrößte Plattform dieser Art. Tabak ist ein großes Geschäft, Deutschland ist tobacco country.

Neben den vier genannten multinationalen Zigarettenkonzernen sind unter den wesentlichen Akteuren auf dem globalen Tabakmarkt noch die beiden größten Rohtabakhändler, Alliance One International und Universal Corporation, zu nennen. Während die Gewinne des lukrativen Zigarettengeschäfts nach Europa, Japan und in die USA fließen, zahlen die Menschen im Globalen Süden die Zeche in Form von sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Schäden.

Tabakanbau weltweit

Weltweit wird Tabak auf 4,3 Mio. Hektar Land angebaut. Mehr als 90% der jährlich 7,5 Mio. Tonnen Rohtabak werden im Globalen Süden produziert. Dorthin verlagerte die Tabakindustrie die Anbauflächen seit den 1960er Jahren, um die Produktionskosten für die arbeitsintensive Monokultur zu senken und den Mangel an Regelungen zu Arbeitsverhältnissen und Gesundheitsschutz auszunutzen.

Tabak wird zumeist in kleinbäuerlichen Strukturen angebaut. Wie bei anderen profitablen Anbaupflanzen auch, werden im Tabakanbau große Mengen Pestizide und chemische Dünger eingesetzt, deren Folgen – z.B. die Vergiftung von Wasserläufen – alle Menschen in der Umgebung von Tabakfeldern tragen müssen. Tabakanbau unterscheidet sich aber von Kaffee, Tee oder Baumwolle in drei wesentlichen Dingen: Erstens benötigt die Auftrocknung des Virginia-Tabaks, der in üblichen Filterzigaretten die Hälfte des Tabaks ausmacht, große Mengen Feuerholz. Weltweit werden für die Erzeugung von Rohtabak jährlich ca. 200.000 Hektar Wald abgeholzt.Zweitens ist die Tabakpflanze giftig. Das Nikotin aus den grünen Tabakblättern wird direkt durch die Haut aufgenommen und führt vor allem während der Erntezeit zur Grünen Tabakkrankheit, einer starken Nikotinvergiftung. Pro Erntetag nehmen Tabakarbeiter_innen pro Person den Nikotingehalt von ca. 50 Zigaretten auf. Drittens machen die aus Tabak gefertigten Produkte süchtig und sind für die Konsument_innen äußerst gesundheitsschädlich.

Sortieren von Burley-Tabak in MalawiMalawis Exportgut Nummer Eins

Neben Virginia-Tabak enthalten Filterzigaretten außerdem Burley-Tabak als typische Beimischung. Dieser Tabak kommt vor allem aus Malawi in Südostafrika. Das Land ist etwa so groß wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen und ist der weltgrößte Exporteur von Burley-Tabak. Als wichtigstes Exportgut erwirtschaftet Tabak etwa 50% der staatlichen Exporterlöse und 23% der nationalen Steuereinnahmen. Malawi ist vom grünen Gold abhängig. Deutschland importiert als zweitgrößter Abnehmer ca. 10% dieses Tabaks, nur Belgien importiert mehr (25%).

In Malawi wird Tabak in kleinbäuerlichen Betrieben und im Pachtsystem auf Plantagen angebaut. Thangata, das Pachtsystem, hat seinen Ursprung in der britischen Kolonialzeit und basiert auf mündlichen Verträgen zwischen landlosen Pächter_innen und Plantagenbesitzer_innen. Diese werben zu Beginn der Anbausaison im August/September Pächter_innen an, meist zusammen mit ihrer Famile. Häufig haben diese schon die vorherigen Jahre dort gearbeitet. Ihnen wird ein Stück Land für den Tabakanbau zugewiesen. Dazu erhalten sie auf Kredit Pestizide, Düngemittel, Saatgut und Werkzeug sowie Nahrungsmittel. Im Gegenzug müssen sie die komplette Tabakernte an den/die Plantagenbesitzer_in verkaufen. Am Ende der Saison wird abgerechnet: vom Erlös aus dem Rohtabak werden die Kredite für Inputs und Nahrungsmittel abgezogen. So bleibt von den erwirtschafteten Einnahmen kaum etwas übrig und es entsteht ein starkes Abhängigkeitsverhältnis. Allerdings sind die Plantagenbesitzer_innen, die häufig Mitglieder der politischen Elite sind, nicht die alleinigen Profiteure. Beim Verkauf der Ernte auf Auktionen sind sie den Preisabsprachen der multinationalen (Roh-)Tabakkonzerne ausgeliefert. Die staatliche Tabakkommission, die den Handel regulieren soll, greift dabei kaum ein.

Armut, Hunger und Kinderarbeit

In Malawi, wo etwa 70% der Bevölkerung von weniger als 1,15 Euro pro Tag leben, sind Hunger und Armut eine direkte Folge des Tabakanbaus. So sind die Lebensbedingungen auf den Plantagen vom steten Mangel geprägt: Trinkwasserquellen sind unsicher und müssen manchmal mit dem Vieh geteilt werden. Die Nahrungsmittel reichen nicht aus, um die Menschen zu sättigen, und sind außerdem sehr einseitig. Die Pächter_innen haben kein Material zum Hausbau, so dass sie in grasgedeckten Lehmhäusern leben. Und schließlich fehlt die medizinische Versorgung. Unter diesen Bedingungen leiden vor allem Kinder, deren körperliche Entwicklung dadurch sehr beeinträchtigt wird. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2013 zeigte, dass Kinder aus Tabak anbauenden Familien in Malawi häufiger an Unterentwicklung leiden als Kinder aus Familien, die keinen Tabak anbauen.

Nicht nur die ungesunden Lebensumstände beeinträchtigen die Kinder in ihrer Entwicklung, sondern auch ihre Mitarbeit auf den Feldern. Auf den Tabakplantagen in Malawi arbeiten mindestens 78.000 Kinder. Der Grund dafür liegt im System: Die stete Verschuldung bewirkt, dass die Pächter_innen keine Arbeiter_innen für den arbeitsintensiven Anbau bezahlen können. So sind sie gezwungen, ihre Kinder als Arbeitskräfte einzusetzen. Die meisten dieser Kinderarbeiter_innen gehen nicht oder nur zeitweise zur Schule. Sie verlieren dadurch ihre Zukunft, denn ohne Bildung bleibt ihnen kaum eine Einkommensmöglichkeit jenseits des Tabakanbaus. Die beinahe kostenlose Arbeitskraft der Kinder garantiert der Tabakindustrie hohe Gewinne. Die Konzerne leugnen dies nicht und stellen Kinderarbeit als allgemeines Problem in Ländern des Südens dar. Mit sporadischen Maßnahmen wie der Finanzierung von Schulbauten verbessern sie ihr Image, ohne die Ursachen der Kinderarbeit tatsächlich zu benennen oder gar zu beseitigen.In allen Phasen des Tabakanbaus sind Kinder an den notwendigen Arbeitsschritten beteiligt: Saatbeete vorbereiten, Felder anlegen, Pestizide und Düngemittel aufbringen, Unkraut jäten, Schädlinge absammeln sowie grüne Tabakblätter ernten, bündeln, trocknen und sortieren. Kinderarbeit im Tabakanbau ist in jedem Fall ein Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention, die in Artikel 32 sämtliche möglicherweise gefährlichen Arbeiten für Kinder unter 18 Jahren verbietet. Es ist einsichtig, dass der Umgang mit Pestiziden und chemischen Düngern gefährlich ist. Doch häufig wird vergessen, dass die Tabakpflanze giftig ist und die Grüne Tabakkrankheit verursacht. Wenn ein fünfjähriges Kind Tabak erntet, nimmt es genauso wie jede erwachsene Person täglich den Nikotingehalt von ca. 50 Zigaretten auf. Auch beim Bündeln und Sortieren der Tabakblätter gelangt Nikotin durch die Haut in den Körper. Der malawische Tabak steht deshalb bei der US-Administration auf der Liste der mit Kinder- und Zwangsarbeit produzierten Güter.

Aussichten für den Tabaksektor

Im malawischen Tabaksektor vertritt die Tabakpächter-Gewerkschaft TOAWUM (Tobacco Tenants and Allied Workers Union Malawi) die Belange von Tabakarbeiter_innen und Pächter_innen. Eine Kernforderung ist die Einführung eines Pachtarbeitsgesetzes, das wesentliche Elemente der Beziehungen zwischen landlosen Pächter_innen und Plantagenbesitzer_innen regeln soll. Seit 1995 gab es mehrere Versuche den Gesetzesentwurf, die Tenancy Labour Bill, ins Parlament einzubringen. Zuletzt forderte dies der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung angesichts der angespannten Ernährungslage im Land und der Strukturen des Tabaksektors im Juli 2013. Knapp zwei Wochen später zog das Justizministerium den Entwurf zurück, bevor er das Parlament erreichte. Dieses Vorgehen unterstreicht die politischen Eigentums- und Machtverhältnisse im Land des grünen Goldes. Seit Frühjahr 2015 bringen die Gewerkschaft und die malawische Organisation Center for Social Concern das Gesetz erneut in die öffentliche Debatte. Im Pachtsystem müssen die Lebensbedingungen auf den Plantagen verbessert und eine rechtliche Absicherung der landlosen Pächter_innen bewirkt werden.

Gleichzeitig ist derzeit im Tabaksektor eine Tendenz zu Direktverträgen zwischen den multinationalen (Roh-)Tabakkonzernen und kleinbäuerlichen Betrieben zu erkennen. Eine tatsächliche Verbesserung ist davon nicht zu erwarten, wie Erfahrungen aus Kenia und Brasilien zeigen. Dort führten die Verträge zu hoher Verschuldung der Betriebe und damit zur Schuldknechtschaft gegenüber den Konzernen.Für landlose Pächter_innen wie für kleinbäuerliche Betriebe bietet aber vor allem der Ausstieg aus dem Tabakanbau eine Perspektive. Landlose können beispielsweise im Fairhandelssektor auf Teeplantagen wie in Kawalazi Estate ihr Einkommen unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen verdienen. Kleinbäuerliche Betriebe können sich in Kooperativen wie der Mchinji Area Smallholder Farmers Assocation organisieren und fair gehandelte Produkte wie Erdnüsse produzieren und vermarkten.Um die Verhältnisse im Tabaksektor zu verbessern und den Menschen in Malawis Landwirtschaft Alternativen zum Tabakanbau zu bieten, braucht es vor allem politischen Willen.

Sonja von EichbornUnfairtobacco.org

 

Diesen Artikel veröffentlichte Unfair Tobacco, eine NGO, die sich den Ungerechtigkeiten des Tabaks einsetzt. Dementsprechend fehlt eine anarchosyndikalistische Betrachtungsweise auf das Thema. Da die Linke das Thema Tabakanbau und -handel kaum kritisch diskutiert, ist es vielleicht nötig überhaupt auf dieses Thema hinzuweisen, was auch die starke Bezugnahme auf staatliche und überstaatliche Organisationen angeht. Darum bittet die Redaktion Globales die LeserInnen, sich auch mit den Gedanken und der Finanzierung von unfairtobacco auseinanderzusetzen.

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