Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt drin um

Debatte Pro-Contra-Betriebsräte

In der darauf folgenden Ausgabe (März/April 2008) erschien eine kritische Antwort auf diesen Beitrag: Etwas Besseres als einen Betriebsrat… – Einige notwendige Überlegungen zum Verhältnis von Gewerkschaft und Betriebsrat

Immer wieder erhitzen sie die Gemüter
in der Diskussion um den Wirtschaftsstandort Deutschland: die
Betriebsräte (BR). Für die DGB-Gewerkschaften sind sie ein
wichtiger Faktor für die betriebliche Mitbestimmung und sichern
außerdem den gewerkschaftlichen Einfluss in den Unternehmen. Ein
wichtiger Schritt also hin zu einem demokratischen Sozialismus und
einer Wirtschaftsdemokratie, wie sie schon seit den Zwanzigerjahren
von reformistischen Gewerkschaftern und Sozialdemokraten vertreten
wird. Auch die Arbeitgeber sehen hier einen Schritt zum Sozialismus.
Die Betriebsräte und die Gewerkschaften hätten zu viel Einfluss,
würden versuchen, die Marktwirtschaft in eine Planwirtschaft
umzufunktionieren und damit erreichen, dass ein wahres
Unternehmertum, das dem Wohl der Allgemeinheit dient, sich nicht
richtig entfalten könne. Daher müsse ihr Einfluss gesetzlich
beschränkt werden. Und dann gibt es da noch, allerdings in der
allgemeinen Diskussion überhaupt nicht beachtet, die Position der
Anarcho-Syndikalisten. Die Menschen in den Betrieben müssten sich
selbst organisieren. Es dürfe keine Stellvertreterpolitik betrieben
werden, da durch solche Gremien, die außerdem dazu neigen, sich zu
verselbständigen, genau dies verhindert würde. Wichtig und richtig
sei daher nur der Aufbau unabhängiger Betriebsgruppen. Sehen wir uns
dieses System der „betrieblichen Mitbestimmung“ doch einmal etwas
genauer an.

Die deutsche Demokratie an der Wiege

Geschaffen wurde es in den Grundzügen
im Jahre 1920, einer Zeit des Umbruchs und der Revolution. Direkt
nach dem Ersten Weltkrieg, als in der Arbeiterbewegung, selbst in den
sozialdemokratisch dominierten Zentralverbänden, der Ruf nach einer
Sozialisierung der Großbetriebe und der Bergwerke immer lauter
wurde. In einer Zeit, als Zechen und Stahlwerke, ganze Gemeinden gar,
besetzt und diese Aufstände von Freikorps und regulärem Militär
blutig niedergeschlagen wurden, um die Ordnung im Reich wieder
herzustellen. Die Sozialdemokratie, eben erst an die Macht gekommen,
wusste, dass sie die Arbeiterbewegung, der sie ja gerade diese Macht
verdankte, nicht alleine mit Gewalt in den Griff bekommen konnte.
Hier waren auf Dauer subtilere Methoden wesentlich wirksamer. Es war
notwendig, ihr zumindest zu suggerieren, dass sie an dieser Macht
beteiligt sei und sie in ihrem ureigensten Bereich, den Betrieben,
das behalten könne, was sie sich erkämpft hatte, nämlich Räte –
„Betriebsräte“ eben. So wurde also ein Gesetz gegen die soziale
Revolution auf den Weg gebracht, das fälschlicher Weise den Titel
„Betriebsrätegesetz“ erhielt. Der Zweck dieses Gesetzes war von
Anfang an, einen so genannten „Wirtschaftsfrieden“ zu schaffen,
um die am Boden liegende, von amerikanischen Krediten abhängige
Wirtschaft hochzupäppeln und den Rätegedanken zu schwächen. Eine
ArbeiterInnendemonstration gegen dieses „Betriebsrätegesetz“,
wurde – wenige Tage vor der Abstimmung – mit Maschinengewehren
„aufgelöst“. 42 Menschen verloren dabei ihr Leben.

Der NS-Diktatur löste selbst diese
Betriebsräte, wie sonstige Arbeiter-Institutionen auch, auf. Nach
der Niederlage des Nationalsozialismus und der Gründung der
Bundesrepublik Deutschland kam es erneut zu Auseinandersetzungen über
die Struktur der Mitbestimmung der Beschäftigten in den Betrieben.
Wurde vor Gründung der Bundesrepublik noch allerorten eine
„Sozialisierung der Bergwerke und der Großindustrie“ gefordert
(selbst die CDU sprach in ihrem Ahlener Programm 1949 noch von
„Sozialismus“), schlug man nun doch wieder leisere Töne an.
Trotz größerer Proteste und Demonstrationen wurde 1952 das neue
„Betriebsverfassungsgesetz“ verabschiedet, welches, ähnlich wie
das Betriebsrätegesetz von 1920, der Ruhigstellung und Einbeziehung
der Gewerkschaften und ihrer betrieblichen Funktionäre in die neu
entwickelte „Sozialpartnerschaft“ dienen sollte. Dieses Gesetz
ist, 1972 grundlegend überarbeitet und 2001 in einigen Punkten
modernisiert, bis heute Grundlage für die Arbeit der Betriebsräte
und auch der Gewerkschaften in den Betrieben.

Wie wichtig heute? Betriebe ohne BR

Vom Grundsatz her gilt das
Betriebsverfassungsgesetz in allen Betrieben, in denen mindestens
fünf Menschen beschäftigt sind und die nicht dem Öffentlichen
Dienst angehören (hier gelten eigenständige Regelungen, die sog.
Personalvertretungsgesetze) – oder kirchliche Träger haben, wie
zum Beispiel viele Krankenhäuser oder Kindergärten. Diese
Einrichtungen sind ausdrücklich vom Geltungsbereich des BetrVG
ausgenommen, die Kirchen als „Arbeitgeber“ haben sich hierfür
eigenständige Regelungen geschaffen. In der Realität sieht es
jedoch so aus, dass es in 89 Prozent der Betriebe der
Privatwirtschaft gar keinen Betriebsrat gibt. In diesen Betrieben
arbeiten 52 Prozent der Beschäftigten in Westdeutschland, in
Ostdeutschland sind es sogar 62 Prozent. In größeren Betrieben ist
der Deckungsgrad allerdings wesentlich höher als in Klein- und
Mittelbetrieben, hier gibt es also in der Regel auch einen
Betriebsrat. Allerdings existiert in etwa einem Viertel der Betriebe
mit 100 bis 200 Beschäftigten kein Betriebsrat. In der Mehrheit
dieser Betriebe gilt übrigens auch kein Tarifvertrag. Teils handelt
es sich bei diesen betriebsratslosen Unternehmen um Firmen aus den
Bereichen der Informationstechnologie oder auch der Weiterbildung.
Firmen also, in denen hochqualifizierte, zum Großteil junge Menschen
arbeiten, die ihre Selbstverwirklichung oft in exzessiver Arbeit
suchen. ArbeiterInnen, die sich dadurch nicht ausgebeutet fühlen und
für die andererseits Gewerkschaften und betriebliches Engagement ein
altmodisches und miefiges Image haben. Zum anderen Teil versuchen
Unternehmer, in ihren Firmen die Gründung von Betriebsräten zu
verhindern oder bestehende Gremien gezielt zu zerschlagen. Bekannt
geworden sind hier besonders Ketten wie McDonald’s oder auch die
Discounter LIDL und Schlecker. Sie beschäftigen zum Teil spezielle
Einsatzkommandos, deren Aufgabe es ist, Initiativen zur Organisierung
oder zur Gründung von Betriebsräten im Keim zu ersticken – oft
mit illegalen Methoden. Es werden für Unternehmer und Personalchefs
aber auch Seminare angeboten, wie man ein Unternehmen „In Zukunft
ohne Betriebsrat“ führen kann. Hier werden dann Kniffe und Tricks
geschult, wie die Wahl eines Betriebsrates mit legalen Mitteln
verhindert werden oder aber ein bestehender Betriebsrat, abhängig
von den Persönlichkeitsstrukturen der handelnden Personen, entweder
an das Unternehmen gebunden oder aber mit unnützer Arbeit
überfrachtet werden kann – bis er nicht mehr weiß, wo ihm der
Kopf steht. Wahlanfechtungen, Arbeitsgerichtsprozesse, das Anbieten
gut dotierter Stellen, die Aufspaltung von Unternehmen, das
Repertoire der Möglichkeiten ist ziemlich breit, mit denen auf
Betriebsräte und einzelne Betriebsratsmitglieder Einfluss genommen
werden kann.

Mit Kanonen auf Spatzen? Kritik am
BR

Es zeichnet sich nun bereits recht
deutlich ab, welchen Schwierigkeiten sich Betriebsratsmitglieder in
der Regel tagtäglich ausgesetzt sehen. Eingebunden in ein System,
das ihnen recht wenig Spielraum oder gar „Mitbestimmung“ lässt.
Das Betriebsverfassungsgesetz als Grundlage, das die Befriedung einer
aufständischen Arbeiterschaft zu Zweck hatte, dessen Einführung
blutig durchgesetzt wurde und das später neu geschaffen wurde mit
dem ausdrücklichen Ziel, Betriebsrat und auch die Gewerkschaften zu
einer „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ mit dem Unternehmer zu
verpflichten und die „Sozialpartnerschaft“ in den Betrieben zu
zementieren. Umgeben von Kolleginnen und Kollegen, die
verständlicherweise erwarten, dass ihre Rechte von dem Gremium
Betriebsrat vertreten und auch durchgesetzt werden. Konfrontiert
entweder mit Unternehmern, die versuchen, ihre Arbeit gezielt zu
unterlaufen und, zum Großteil sogar mit unfairen bis illegalen
Mitteln, zu verhindern oder aber die einzelnen Betriebsratsmitglieder
zu vereinnahmen. Manchmal geschieht dies ganz offen durch Korruption,
Geld, Reisen, sonstige Vorteile. Die Boulevardpresse freut sich dann
regelmäßig darüber und wir können mehr oder weniger
unappetitliche Details über die Verfehlungen dieser „Kollegen“
(es handelt sich wohl immer um Männer) aus den Vorständen der
Gewerkschaften nachlesen. Dies sind aber Ausnahmen. Was vor Ort
passiert, ist das, was Kurt Tucholsky in „Die kleine, gelbe Blume
des Verrats“ sehr anschaulich geschildert hat: Die kleinen Erfolge,
die man erringt. Probleme, die man mit dem Chef regeln kann, unter
der Hand. Das Verständnis, das man Entscheidungen des „Arbeitgebers“
entgegenbringt. Genau hier liegt die Wurzel der kleinen, gelben Blume
des Verrats…. und eines Tages wird sie ihr Köpfchen aus dem Gras
stecken! Mit dieser Problematik befasste sich im Jahre 1921, ein Jahr
nach Inkrafttreten des Betriebsrätegesetzes, auch ein Artikel in der
ersten Ausgabe der Zeitung „Der Syndikalist“, dem Organ der kurz
zuvor gegründeten „Freien Arbeiter-Union Deutschlands“. Sehr
anschaulich wird hier geschildert, wie viele der neu gewählten
„Räte“ über die Köpfe der ArbeiterInnen hinweg für diese
entscheiden und Nutzen für sich selbst aus ihrer Arbeit und ihrer
neuen Position ziehen. Der Artikel gesteht aber auch zu, dass es
„innerlich so festverankerte Charaktere“ geben könnte, die ihre
Tätigkeit für das Allgemeinwohl, für den Syndikalismus einsetzen
und nicht zu neuen Herren werden könnten.

Den Vorstoß wagen? Warum?

Es scheint nun durchaus angebracht,
einmal zu überlegen, welche Möglichkeiten die Arbeit der
Betriebsräte bietet und welche Möglichkeiten die Beschäftigten gar
nicht haben, die etwa in Betrieben ohne Betriebsrat arbeiten.
Natürlich wird niemand erwarten, dass Betriebsräte mit ihren
sämtlichen „Beteiligungsrechten“ und den ganzen gesetzlichen
Vorschriften die Welt oder auch nur die Arbeitswelt verändern
können. Aber sie bieten gewisse Möglichkeiten, Chancen, die in
Betrieben, in denen es keinen Betriebsrat gibt, einfach nicht
bestehen. Chancen, die durchaus genutzt werden können bei der
Etablierung einer kämpferischen Gewerkschaft. Betriebsratsarbeit
kann eine Möglichkeit sein, die Menschen zu erreichen, über unsere
Ideen zu informieren und Vertrauen aufzubauen. Dies setzt allerdings
voraus, dass aktive ArbeiterInnen und Gewerkschaftsmitglieder über
etwas mehr als nur Grundkenntnisse der vorgegebenen Bedingungen wie
Gesetze und wirtschaftliche Zusammenhänge verfügen. Deshalb wird an
dieser Stelle etwas genauer auf die Passagen des BetrVG eingegangen,
die gewöhnlich immer dann bemüht werden, wenn aufgezeigt werden
soll, dass Betriebsratsarbeit von Grund auf reformistisch sei.

Ein wichtiger Punkt ist zunächst
einmal das Zutrittsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb. Gleich in
§ 2 legt das BetrVG fest, dass dies den Gewerkschaften zusteht,
die im Betrieb vertreten sind, also Mitglieder haben. Beauftragte der
Gewerkschaften können den Betrieb betreten, auch an
Betriebsversammlungen und, auf Einladung eines Viertels der
Betriebsratsmitglieder, an Sitzungen des Betriebsrates teilnehmen.
Allerdings machen die Gerichte den Begriff „Gewerkschaft“ an der
so genannten „Tarifmächtigkeit“ fest. Demnach gilt eine
Arbeitnehmervereinigung nur dann als Gewerkschaft, wenn sie mächtig
genug ist, Tarifverträge durchzusetzen und diese auch schon
abgeschlossen hat. Nach neueren Urteilen haben aber auch sonstige
Vereinigungen von abhängig Beschäftigten ein Zutrittsrecht, um sich
darzustellen und Mitglieder zu werben. Außerdem kann davon
ausgegangen werden, dass nicht alle Unternehmen mit diesen Feinheiten
des Gesetzes und dessen Auslegung allzu vertraut sind.

Betriebsratsarbeit – das geht auch
anders!

Außerdem eröffnet das Gesetz
ausdrücklich die Möglichkeit, „zusätzliche Vertretungen, die die
Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitnehmern erleichtern“
zu schaffen (§ 3 BetrVG). Es wäre also durchaus möglich,
Betriebsgruppen, die bereits bestehen oder neu gegründet werden, in
dieser Weise zu „legalisieren“, so dass sie wie bisher
eigenständig arbeiten könnten, aber auf einer wesentlich breiteren
Basis. Und auch ohne vom Betriebsrat abhängig zu sein und
bevormundet zu werden. Genauso interessant ist in dieser Hinsicht der
§ 28a, der erst bei der Novelle des BetrVG im Jahre 2001 eingefügt
wurde: Es ist nun möglich, dass der Betriebsrat bestimmte Aufgaben
an Arbeitsgruppen überträgt. Die Mitglieder dieser Arbeitsgruppen
müssen nicht, wie bei den bisher schon möglichen Ausschüssen,
gleichzeitig Mitglied des Betriebsrates sein. Liegt zum Beispiel in
einer Abteilung ein Problem an, könnten alle Beschäftigte in dieser
Abteilung in eine Arbeitsgruppe benannt werden. Sie könnten nun
gemeinsam dieses Problem lösen und auch selbständig mit dem
Arbeitgeber regeln. Ähnlich könnte dann auch bei
Arbeitszeitplanung, Arbeitssicherheit oder vergleichbaren Themen
verfahren werden. Die Betroffenen regeln ihre Angelegenheiten
selbständig, direkt vor Ort. Gute Beispiele machen meist Schule.
Diese Art von Arbeits- oder Betriebsgruppe könnte sich recht schnell
in Betrieben etablieren.

Betriebsratssitzungen sind nicht
öffentlich und die Mitglieder des Gremiums unterliegen einer
Geheimhaltungspflicht. Dies sind Regelungen (§ 30 und § 79 BetrVG),
auf die die Geschäftsleitung nur zu gerne immer wieder hinweist.
Würde man ihrer Interpretation folgen, dürften die
Betriebsratsmitglieder kaum noch miteinander reden, der Betriebsrat
würde zum Geheimrat verkommen. Genau betrachtet geht es eigentlich
um Selbstverständlichkeiten, nämlich persönliche Angelegenheiten
von Beschäftigten auf der einen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
auf der anderen Seite. Hierbei handelt es sich dann um den Schutz von
Erfindungen, neuen Arbeitsverfahren, Insiderwissen, das an die
Konkurrenz verkauft werden könnte, etc. Also, auch wenn viele
„Geheimräte“ das nicht gerne hören: Ein Betriebsrat hat das
Recht und auch die Pflicht, die Beschäftigten über alles zu
informieren, was er im Rahmen seiner Arbeit erfährt und was diese
betrifft! Möglichkeiten wären hier regelmäßige Aushänge im
Betrieb, Flugblätter, eine Betriebsratszeitung oder natürlich
Betriebsversammlungen, die mindestens einmal im Vierteljahr vom
Betriebsrat durchgeführt werden müssen. Hier besteht auch die
Möglichkeit, wie oben bereits erwähnt, Beauftragte der
Gewerkschaften einzuladen. Der Unternehmer muss hierbei einmal im
Jahr einen Bericht über die Lage des Betriebes abgeben und Rede und
Antwort stehen. Hier haben die Beschäftigten und damit natürlich
auch Betriebsgruppen, die Möglichkeit, die Geschäftsleitung und
auch den Betriebsrat zu ihrer Arbeit zu befragen und ihre Schlüsse
zu ziehen.

Ein Brückenkopf gibt
Handlungsspielraum

Oft wird der § 74 zitiert, wenn es
darum geht, dass der Betriebsrat weder zum Streik aufrufen noch
politisch tätig werden darf. Dass der Betriebsrat praktisch dazu
verpflichtet sei, mit dem Arbeitgeber Hand in Hand zu arbeiten. Bei
genauerem Hinsehen wird allerdings schnell klar, dass lediglich
„Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und
Betriebsrat“, dem Gremium Betriebsrat nicht zulässig sind. Die
einzelnen Mitglieder des Gremiums können natürlich als Mitglieder
einer Gewerkschaft zu Streiks und anderen Aktionen aufrufen. Und
untersagt ist ihnen lediglich die parteipolitische Betätigung im
Betrieb. Die „Behandlung von Angelegenheiten tarifpolitischer,
sozialpolitischer, umweltpolitischer und wirtschaftlicher Art“ ist
sogar im Gesetzeswortlaut ausdrücklich erlaubt.

Ebenso wichtig wie die gemeinsame
Koordination der Beschäftigten ist die Information über das
Unternehmen. Der Wirtschaftsausschuss, der in Unternehmen mit über
100 Beschäftigten zu bilden ist, bietet die günstige Gelegenheit,
wichtige Informationen über den Betrieb zu bekommen und diese dann
auch zu verbreiten. Dieser Ausschuss des BR muss von der
Geschäftsleitung über alle wirtschaftlichen Angelegenheiten
unterrichtet werden. Es muss ihm Einsicht in alle wichtigen
Unterlagen gewährt werden. Er hat also Möglichkeiten, zu erkennen,
wohin Gelder fließen, wie die Rationalisierung voranschreitet, wohin
das Unternehmen steuert. Kurzum, es besteht für die Mitglieder des
Gremiums die Möglichkeit, auf Kosten des Unternehmers die
Betriebsführung zu üben. Wer später einmal Betriebe übernehmen
möchte, sollte auch wissen, wie diese funktionieren und
aufrechterhalten werden können! Relevant wird der
Wirtschaftsausschuss wahrscheinlich aber schon eher, wenn es nämlich
darum geht, Firmenstrategien frühzeitig auszumachen und die
Verteidigung der Arbeiterinteressen vorzubereiten.

Bei tief greifenden Betriebsänderungen,
Umstrukturierungen oder gar Betriebsstilllegungen, besteht die
Möglichkeit, dass der Betriebsrat mit der Geschäftsleitung einen
Interessenausgleich und Sozialplan abschließt. Einfluss auf diese
Änderungen hat der Betriebsrat als Gremium allerdings nicht – er
kann den Boss rechtlich nicht zwingen, dass zum Beispiel ein Betrieb
nicht stillgelegt wird. Aber er kann wenigstens erreichen, dass
Abfindungen gezahlt werden bei Kündigungen oder Fahrkostenausgleiche
bei Versetzungen oder dass KollegInnen in andere Betriebsteile
versetzt werden. Ein Sozialplan kann aber nur mit dem Betriebsrat
abgeschlossen werden. Wo es also keinen Betriebsrat gibt, gibt es in
den dargestellten Fällen für die Beschäftigten nichts. Ihnen
bleibt dann nur der immer riskante Arbeitskampf. Immerhin, damit
ließe sich eine Stilllegung auch verhindern. Das zeigten die
ArbeiterInnen des Bosch-Siemens-Hausgerätewerks (BSH) in
Berlin-Spandau im Herbst 2006 beispielhaft.

Ende offen

Wo es Betriebsräte gibt, haben die
ArbeiterInnen durchaus mehr Rechte als in betriebsratslosen
Betrieben. Der Arbeiterkampf bei BSH in Spandau zeigte aber auch,
dass die gewählten VertreterInnen wirksam kontrolliert werden
müssen, damit sie wirklich für die Interessen der Lohnabhängigen
geradestehen. Diese Kontrolle kann nur eine organisierte, aktive und
erfahrene Belegschaft ausüben. Der Schritt zum Sozialismus ist dann
doch etwas größer als ihn Arbeitgeber und Zentralgewerkschaften
sich vorstellen mögen.

Aber aufrechte „Charaktere“ können
als Betriebsräte ihren Teil dazu beitragen, dass sich die
KollegInnen einer Belegschaft organisieren und darin bereits vor „der
letzten Schlacht“ notwendige Erfahrungen sammeln. Solche
BR-Mitglieder haben die Gelegenheit, ihre Position im Sinne der
Beschäftigten zu nutzen, ihnen Informationen zu besorgen,
Hintergründe deutlich zu machen, ohne sich selbst zu korrumpieren.
Umso leichter fällt ihnen das, wenn sie eine anarchosyndikalistische
Gewerkschaftsgruppe im Rücken haben und dort Hilfe wie Kritik
finden. So kann Kontakt entstehen zwischen kämpferischen
SyndikalistInnen und Menschen, die mit den herrschenden Zuständen
zwar nicht zufrieden sind, denen aber jahrelang Sozialpartnerschaft
und Stellvertreterpolitik eingebläut wurde. Durch fundierte
Informationen und entsprechend positive Beispiele seitens der
Gewerkschafts- und Betriebsratsmitglieder, seitens einer aktiven
Basis in der Belegschaft sollte es möglich sein, die KollegInnen
dazu zu bringen, über diese Zustände und auch über Alternativen
nachzudenken. Viele Menschen in den Betrieben sind kritischer
geworden, aber auch offener für „neue“ politische Ideen.

FAU Ortsgruppe Neustadt a.d.Wstr.

Das Thema in der DA:

  • (BSH-Streik) Wir können stolz sein, Du
    nicht. Die IG Metall gewinnt den Streik, die Streikenden verlieren
    ihre Jobs. In: DA 178 (November/Dezember 2006)
  • Fisch ohne Wasser. Die Stellung der
    FAUD zu Betriebsräten, Kollektivverträgen und Streikkassen. In: DA 175 (Mai/Juni 2006)
  • Betriebsräte. Das Beispiel Frankreich. DA 171 (Sept./Okt. 2005)
  • Zwischen Reform und Revolution. Die
    Stellung der FAUD zur Betriebsrätefrage. In: DA 157
    (Mai/Juni 2003)


Kurt Tucholsky: „Die kleine, gelbe Blume des Verrats“
Na, Verräter eigentlich nicht. Ein Verräter ist doch ein Mann, der hingeht und seine Freunde
dem Gegner ausliefert, sei es, indem er dort Geheimnisse ausplaudert, Verstecke aufzeigt, Losungsworte preisgibt……und das alles bewusst. Nein, Verräter sind diese da nicht. Die Wirkung aber ist so, als seien sie welche.
Kitt ist eine Sache, die bindet nicht nur; sie hält auch die Steine auseinander. Zehn Jahre Gewerkschaftsführer; zehn Jahre Reichtagsabgeordneter; zehn Jahre Betriebsratsvorsitzender – das wird dann fast ein Beruf. Man bewirkt etwas. Man erreicht dies und jenes. Man bildet sich ein, noch mehr zu verhüten. Und man kommt mit den Herren Feinden ganz gut aus, und eines Tages sind es eigentlich gar keine Feinde mehr. Nein. Ganz leise geht das, unmerklich. Bis jener Satz fällt, der ganze Reihen von Arbeiterführern dahingemäht hat, dieser infame, kleine Satz: „Ich wende mich an Sie, lieber Brennecke, weil Sie der einzige sind, mit dem man zusammenarbeiten kann. Wir stehen in verschiedenen Lagern – aber Sie sind und bleiben ein objektiver Mann…..“ Da steckt die kleine, gelbe Blume des Verrats ihr Köpfchen aus dem Gras – hier, an dieser Stelle und in dieser Stunde. Da beginnt es.

Position der FAUD zu Betriebsräten:
Im Februar 1920 wurden die gesetzlichen Betriebsräte aufgrund des Betriebsrätegesetzes gewählt als Vertreter der Arbeiterschaft. Da ist es an der Zeit, dass sich die organisierten Arbeiter die Frage vorlegen:
Welchen Nutzen hatte die Arbeiterschaft aus der Tätigkeit ihrer „Räte“? Denn die Arbeiter versprachen sich gar viel aus dieser neuen „Machtposition“.
Ein Teil der „Räte“ kümmerte sich bald nicht mehr darum, dass sie nur die Beauftragten ihrer Wähler sein sollten. Sie verhandelten selbständig mit den Unternehmern und verhandelten dabei fast regelmäßig die Interessen der Arbeiter an das Ausbeutertum. Selbst aber schuf man sich eine möglichst gesicherte Position. Aus den „Arbeiterräten“ wurden allmählich richtiggehende Kartoffel- und Gemüsehändler und Kurzwarenschieber.
Die Vertretung der Arbeiterinteressen überließ man Regierung und organisiertem Ausbeutertum. In den Betriebsversammlungen aber redeten die „Räte“ große Töne. Wenn ein Arbeiter das Gebiet der Politik betrat in seinen Ausführungen, dann schnitt ihm sein „Rat“ das Wort ab: Die Belegschaften haben sich nur mit wirtschaftlichen Fragen zu beschäftigen, politische Angelegenheiten gehörten nicht hierher. (…) Heute schimpfen die Betriebsräte in Versammlungen auf die Gewerkschaftsbonzen, morgen sind sie selbst Gewerkschaftsbeamte. Und die Mitglieder dürfen wieder höhere Beiträge zahlen. Die soziale Frage für eure gewählten Interessenvertreter ist wieder mal gelöst. Arbeiter ! Seht euch eure Vertreter genau an. Und wenn ihr wieder
einmal „Räte“ wählt, dann prüft sie vorher auf Herz und Nieren, ob sie
innerlich so festverankerte Charaktere sind, dass sie nicht zu euren
Herren werden können, sondern dass sie ihre Tätigkeit einsetzen für das
Allgemeinwohl, für den Syndikalismus!


Der Syndikalist, Nr. 1, Februar 1921

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