Das
Streben nach solidarischen Betrieben ist immer berechtigt – auch im
Kapitalismus. Fraglich allerdings ist, wie wirksam Alternativbetriebe
gegen den Kapitalismus sein und was sie zu seiner Überwindung
beitragen können. Auch die alte Genossenschaftsbewegung des frühen
20. Jahrhunderts erhob ebenso wie die Bewegung der Alternativökonomie
der 70er/80er Anspruch auf einen ökonomischen Systemwandel. Beide
Bewegungen scheiterten in dieser Hinsicht, weil sie der hegemonialen
und absorbierenden Struktur des Kapitalismus nichts entgegensetzen
konnten. Eine heutige Debatte über das transformatorische Potential
solidarischer Ökonomie kommt deshalb nicht darum herum, neue
strategische Konzepte zu entwickeln, die kapitalistische
Wirkmechanismen wirkungsvoll ausbremsen.
In
Brasilien, einer Hochburg solidarischer Ökonomie, haben sich nun
Teile der Bewegung an den Aufbau einer Art Parallelwirtschaft
gemacht.1 Dies ist nicht der erste Versuch einer solchen.
Alternativbetriebe haben immer wieder versucht, sich gemeinsam zu
strukturieren (z.B. in Form von Netzwerken).2 Bisher
vermochten diese Strukturen jedoch nicht, das große Potential aus
ihnen herauszukitzeln. Sogar der Syndikalismus hat seine Geschichte
im Bereich der Alternativbetriebe und hat sich mit dem Aufbau
parallelwirtschaftlicher Strukturen beschäftigt. Auch dies blieb in
den Ansätzen stecken. Der Versuch, die strategische Rolle von
Alternativbetrieben im Syndikalismus neu zu überdenken, hat heute
mehr denn je seinen Reiz und soll an dieser Stelle gestattet sein.
Wirtschaftliche
Projekte der alten Schule
In
der klassischen syndikalistischen Theorie kommt den Gewerkschaften
neben dem alltäglichen Kampf um bessere Lebens- und
Arbeitsbedingungen die Rolle zu, die Übernahme des
sozio-ökonomischen Organismus vorzubereiten, um schließlich die
gesamte Produktion in Form von industriellen Föderationen zu
organisieren. Diese arbeiten dabei Hand und Hand mit Arbeitskammern,
die die Bedürfnisse der Bevölkerung feststellen und den Konsum
organisieren.3 Die Bewegung soll dabei schon in der
Gegenwart so organisiert sein, wie es die neue Gesellschaft und
Wirtschaft erfordert. Idealtypisch wird davon ausgegangen, dass die
Übernahme in Folge einer revolutionären Krise und/oder eines
sozialen Generalstreiks vonstatten geht.4
Real
wurde dieses Revolutionsmodell in der Spanischen Revolution 1936, als
die CNT große Teile der Wirtschaft kollektivierte und in
industriellen Föderationen organisierte.5 Bedingt trifft
dies auch auf die Entwicklungen 1919/20 im Ruhrgebiet zu, wo
ArbeiterInnen zahlreiche Betriebe in Selbstverwaltung übernahmen.6
Beide Großversuche – die andeuten, wie ein syndikalistisches
Wirtschaftsmodell funktionieren kann – scheiterten letztlich an den
politisch-militärischen Machtkonstellationen. Und an beiden
Beispielen zeigen sich auch die Defizite dieses idealtypischen
Modells: Die Übernahme wird so doch nicht als revolutionärer
Prozess gedacht. Bei aller Vorbereitungsarbeit, wie sie z.B. den
Arbeiterbörsen zugedacht wurde,7 die Aufbauaufgaben in
der Gegenwart bleiben spärlich und der Übergang ein abrupter Akt,
der heftige Verwerfungen mit sich bringen wird. Vom alten
Wobbly-Prinzip, „die neue Gesellschaft in der Schale der alten
aufzubauen“, bleibt so nicht viel übrig.8
Tatsächlich
gab es auch Ansätze, wo das „Aufbau-Prinzip“ wörtlicher
genommen wurde, wobei alternativen Betrieben eine Schlüsselrolle
zugedacht wurde.9 Helmut Rüdiger prägte in diesem
Zusammenhang das Schlagwort vom „konstruktiven Sozialismus“.
Umgesetzt wurde dies begrenzt in der Spätphase der FAUD, in der von
1929-33 Genossenschaftsprojekte existierten, die u.a. in der „Freien
wirtschaftlichen Arbeiterbörse“ zusammengeschlossen waren.10
Auch die IWW wagten während der 1960er/70er einen ähnlichen Versuch
in den USA und organisierten mehrere Dutzend Kooperativen in ihren
Reihen.11 Beiden Versuchen war nur wenig Erfolg
beschieden. Neben verschiedenen Gründen scheint ausschlaggebend
gewesen zu sein, dass zum einen diese Projekte i.d.R. nur als
„Experimente der Selbstverwaltung“ oder soziale Auffangbecken
angegangen wurden und zum anderen der Einbezug in die revolutionäre
Gewerkschaftspraxis nur formell war. So mangelte es stets an einer
klaren Strategie, in der diese Betriebe hätten eine Rolle spielen
können. An diesem Punkt gilt es anzusetzen.
Grundzüge
einer syndikalistischen Wirtschafsföderation
In
Zeiten von Firmenpleiten und -abwanderungen entfaltet die Idee
selbstverwalteter Betriebe einen besonderen Reiz. Auch die Tatsache,
dass immer mehr Leute in eine Art „Freiberuflichkeit“ gedrängt
werden, lässt viele häufiger an Kollektivbetriebe denken. Nicht
zuletzt sehen viele Lohnabhängige darin eine Option, sich zumindest
der schlimmsten Unterwerfung entziehen zu können. Dass es heute viel
einfacher ist, ein solches Projekt anzugehen als z.B. in Zeiten des
Frühkapitalismus, komplettiert die Gründe, weshalb ein moderner
Syndikalismus an dem Einbezug alternativ-ökonomischer Projekte nicht
vorbeikommt. Das Konzept einer Wirtschaftsföderation – als Pendant
der Gewerkschaftsföderation – kann ein Ansatz sein, diesen Bereich
für eine syndikalistische Transformationsstrategie nutzbar zu machen
und von dem alle Beteiligten ganz konkret profitieren.
Die
Annahme liegt nahe, dass föderierte Alternativbetriebe sich
gegenseitig stärken. Als Verbund führen sie kein isoliertes
Einzeldasein innerhalb der kapitalistischen Konkurrenz. Durch
überbetriebliche Koordination kann der Marktdruck etwas gedämpft
werden. Je mehr Betriebe sich aus verschiedenen Branchen anschließen,
umso mehr steigt die Fähigkeit, sich zu ergänzen und Produkte und
Dienstleistungen auszutauschen, wird die Abhängigkeit von
kapitalistischen „Partnern“ gemindert. Voraussetzung ist, dass
die Föderation nicht nur Netzwerkcharakter trägt, sondern sich
verbindliche Strukturen des Wirtschaftens gibt. Z.B. müssten
Kommissionen regelmäßig den Bedarf der Betriebe feststellen und den
Austausch des auch tatsächlich Vorhandenen planen.12 Auch
eine Art Fonds, in den die Betriebe einzahlen (z.B. Gewinnanteile),
kann solidarisch dafür genutzt werden, Betrieben in Problemlagen zu
helfen oder Projekte zu finanzieren, womit eine gewisse
Unabhängigkeit vom gängigen Kreditwesen geschaffen würde.
Da
jede Form des Wirtschaftens gesellschaftlich wichtig ist, der
Kapitalismus jeder aber einen anderen Wert zurechnet, sind
Alternativbetriebe in verschiedenen Branchen unterschiedlich
lukrativ. Diese Spaltung kann überwunden werden, indem ein
Transfersystem organisiert wird, innerhalb dessen gewisse
Umverteilungen stattfinden. Dies ist besonders wichtig, da die Löhne
in der Föderation tendenziell ausgeglichen werden und nicht manche
in Selbstausbeutung arbeiten müssen. Selbstredend hat
Betriebsegoismus in solch einer Struktur keinen Platz.
Hinzu
käme eine Aufbauarbeit, die von der Föderation geleistet werden
kann. Als Organisation mit gesellschafspolitischem Anspruch liegt es
nahe, nicht nur die Interessen der bereits vereinigten Betriebe zu
wahren, sondern auch an einer Ausweitung der Parallelwirtschaft
interessiert zu sein. Hierfür könnten u.a. Fördertöpfe
eingerichtet werden, mit denen in Gründung befindlichen Betrieben
unverzinste Kredite oder Fördergelder gezahlt werden, wenn sie
festgelegte Kriterien erfüllen. Auch der Austausch von Know-How und
andere wichtige Hilfestellungen (hierfür könnten spezielle
Sekretariate existieren) ist dabei wichtig. Mit solch einer Struktur
im Rücken wird ein Alternativbetrieb viel leichter gegründet oder
ein insolventer Betrieb in Selbstverwaltung überführt.
Mittelfristig ist die Ausweitung der Föderation im Interesse aller
beteiligten Betriebe.
Das
Verhältnis zur Gewerkschaft
Der
große Clou an einer solchen Wirtschaftsföderation besteht in der
Kopplung mit der klassischen Gewerkschaftsstruktur. Durch die Bindung
an die Gewerkschaft und im Rahmen einer allgemeinen
Transformationsstrategie wird der Charakter einer entpolitisierten
Wirtschaftsorganisation vermieden. So entsteht auch die Möglichkeit,
die Konkurrenz zu ArbeiterInnen in der „Normalwirtschaft“
aufzuheben; auftretende Probleme diesbezüglich können in den
gemeinsamen Strukturen geregelt werden.
Wesentlich für den vollen
Synergieeffekt und die Integrität der Akteure sind gewisse
organisatorische Voraussetzungen: Generell sind Wirtschafts- und
Gewerkschaftsföderation in zwei Zweige zu trennen, da sich
Wirtschaftsorganisation und soziale/ökonomische Kampforganisation
(Syndikate) zwar ergänzen, die alltägliche Arbeit in beiden Zweigen
jedoch vollständig unterschiedlich ist. Die Kopplung sollte deshalb
in Form von Schnittstellen hergestellt werden (z.B. gemeinsame
Ausschüsse der jeweiligen Lokal- und Regionalföderationen), während
beide Organisationen das gleiche Föderationsmodell widerspiegeln.
Darüber hinaus müssten die Betriebsmitglieder auch Mitglieder des
zutreffenden Syndikates sein. Dies ist vor allem in Hinblick darauf
wichtig, dass die jeweiligen Gewerkschaften über festzulegende
Lohnstandards mit zu entscheiden haben und die Grundlagen für eine
gewerkschaftliche Kontrolle der Kollektivbetriebe existieren, die
jederzeit der Gefahr einer Hierarchisierung sowie
Vermarktwirtschaftlichung und damit einhergehender Konflikte
ausgesetzt sind.
In
der Praxis profitieren beide Organisationszweige voneinander: So
könnten z.B. die Gewerkschaftsmitglieder dazu angehalten sein,
vorzugsweise die Angebote der föderierten Betriebe zu konsumieren.13
Der in der Gewerkschaft existierende Bedarf kann an den
entsprechenden Schnittstellen der Föderationen festgestellt und
weitergegeben werden. Auch wären bestimmte Betriebe sogar in der
Lage, Arbeitskämpfe zu unterstützen, entweder durch materielle
Hilfsleistungen oder gar durch geschäftlichen Druck (falls
entsprechende Beziehungen bestehen).
Überdies
interessant sein dürfte die Durchkreuzung des kapitalistischen
Arbeitsmarktes, indem erwerbslose Mitglieder in den Betrieben
untergebracht werden, wo Stellen frei sind. Hierbei könnte der
betreffende Betrieb z.B. seinen Bedarf gegenüber der lokalen
Gewerkschaft anmelden, und dieses wählt, nach den Kriterien der
Bedürftigkeit, unter interessierten und qualifizierten Personen aus.
Offene
Fragen
Mit
einem solchen Modell gehen selbstverständlich auch offene Fragen und
Probleme einher. In erster Linie sind natürlich die rechtlichen
Schranken auszuloten, die das jeweilige Rechtssystem vorgibt und die
Möglichkeiten basisdemokratischer Kollektive mit geteilter
Verantwortung beschränken. Hier ist zu klären, wie solche Barrieren
durch eigene interne Strukturen und Verbindlichkeiten ausgehebelt
werden können. Auch die Kriterien für Betriebe, die solch einer
Föderation angehören dürfen, sind eine heikle Frage, ebenso wie
das Verhältnis zu Alternativbetrieben bestimmt werden muss, die
nicht der Föderation angehören.
Die
zentrale Frage lautet natürlich, wie groß das transformatorische
Potential einer Wirtschaftsföderation sein kann. Es ist mehr als
fraglich, ob der Kapitalismus sich durch den Aufbau einer
Parallelwirtschaft ablösen lässt. Als Teil einer allgemeinen
Transformationsstrategie besteht aber Anlass zur Hoffnung, dass solch
ein Projekt wesentlich zur Entfaltung emanzipatorischer Kräfte
beitragen kann. Dazu gehören nicht nur die so häufig angesprochenen
Erfahrungswerte, die in funktionierenden Einheiten einer
Parallelwirtschaft gesammelt werden können, sondern ebenso das
illustrative Beispiel, das Menschen von der Machbarkeit anderer
Wirtschaftsmodelle überzeugt.14
Der
größte Effekt allerdings dürfte in der konkreten gegenseitigen
Befruchtung bestehen. Eine alternativ-ökonomische Organisation, die
in die alltäglichen Kämpfe einer vitalen Bewegung involviert ist,
entwickelt einen wesentlich größeren Wirkungsradius und entfaltet
so erst richtig ihren anti-kapitalistischen Charakter.15
Ebenso nutzen diese Strukturen den Akteuren auf dem Kampfeld der
kapitalistischen Wirtschaft, die durch die Nutzung der Vorteile einer
verbündeten Wirtschaftsföderation auch die Autonomie in ihrem Leben
und Handeln erweitern können.
All
diese Überlegungen seien zur Diskussion gestellt.
Holger
Marcks
Anmerkungen:
[1]
Siehe Artikel »Alternativen praktisch denkbar machen« in derselben Ausgabe.
[2]
Siehe z.B. Flieger u.a., Gemeinsam mehr erreichen, Bonn 1995.
I.d.R. waren diese Versuche jedoch nur darauf ausgerichtet, sich in
der kapitalistischen Konkurrenz gegenseitig zu unterstützen.
[3]
Siehe Döhring, „Eine runde Sache: Die Arbeiterbörse – Netzwerk
des Syndikalismus“, DA Nr. 181 (2007).
[4]
Sehr illustrativ geschildert in Emile Pougets Roman Das letzte
Gefecht, Berlin 1930.
[5]
Siehe dazu Gerlach & Souchy, Die soziale Revolution in
Spanien, Berlin 1974.
[6]
Siehe Marcks & Seiffert (Hg.), Die großen Streiks,
Münster 2008, S. 19-46.
[7]
Siehe Barwich, Die Arbeiterbörsen des Syndikalismus, Berlin
1922.
[8]
Nicht zuletzt können solche historischen Extremsituationen nicht zur
alleinigen Bedingung gesellschaftlicher Veränderung gemacht werden.
[9]
Hier sei noch auf den mit Syndikalismus verwandten Gildensozialismus
verwiesen, der sich als Konzept zum praktischen Aufbau des
Sozialismus verstand.
[10]
Siehe Rübner, Freiheit und Brot, S. 178-83.
[11]
Siehe Thompson & Murfin, The I.W.W., Chicago 1976, S.
208-9.
[12]
Produkten und Leistungen aus föderierten Betrieben ist dabei immer
Vorzug zu geben. Natürlich müsste sich die Föderation dabei auf
eigene Tauschformen einigen.
[13]
Ein sicherer Konsumentenstamm mit erhöhter Identifikation mit den
Betrieben stellt schon mal die „halbe Miete“ für diese dar.
Natürlich müssten die konsumierenden Mitglieder preisliche Vorteile
genießen.
[14]
Siehe dazu auch den Artikel »Alternativen praktisch denkbar machen« in derselben Ausgabe.
[15]
Statt nur unbemerkt von der Öffentlichkeit auf dem Markt ums
Überleben zu ringen.