Editorial

Dass ein Kapitalismus ohne Krisen nicht möglich ist, haben
wir in dieser Zeitung immer wieder aufgezeigt. Dennoch deutet einiges darauf
hin, dass wir es dieses Mal mit weitaus mehr als dem ständigen „Krisenbusiness
as usual“ zu tun haben. Denn anders als Politik, Talkshows und ATTAC uns
glauben machen wollen, haben wir es nicht mit einer „Finanzkrise“ zu tun, die
jetzt bösartiger Weise ein wenig auf die brave „Realwirtschaft“ überschwappt.
Diese Krise ist nicht in irgend etwas Reales und irgend etwas Fiktives
aufzuteilen – die Krise der Finanzmärkte ist die unmittelbare Folge davon, dass
das Kapital sich seit Jahrzehnten nicht mehr ausreichend in der Produktion
verwerten kann und deshalb andere, gewinnträchtigere und dafür instabilere
Anlageformen suchen musste. Diese Klemme, die nicht zuletzt wir als
ArbeiterInnen mit unseren Ansprüchen dem Kapital beschert haben, ist kein Grund
zum Jammern. Sollen doch andere versuchen, das Kapital wieder einmal zu retten,
wir können uns etwas ganz anderes, besseres auf den Ruinen von Börsen und
mancherlei Fabriken vorstellen.

Vielleicht liegt in der Krise ja auch die Chance, wieder einmal
darüber zu reden, wie wir eigentlich gemeinsam leben und arbeiten wollen.
Angesichts der fassungslosen Gesichter der Politiker und der Panik der
professionellen „Wirtschaftsexperten“ drängt sich jedenfalls der Gedanke auf,
dass es höchste Zeit dafür sein könnte. Dabei gibt es aber keinen Automatismus
und „von nichts kommt nichts“. Mehr dazu im Leitartikel. Wie es mit dem
Neoliberalismus überhaupt soweit kommen konnte, wird ausführlicher bei
Zeitlupe“ beschrieben. „Hintergrund“ wiederum bietet einen vertiefenden Blick
aus der Vogelperspektive auf die Geschichte und Gegenwart von Privatisierung
und Verstaatlichung.

Dagegen hilft direkte Aktion: In Griechenland plündern
AktivistInnen immer wieder Supermärkte und verteilen die Beute in Robin- Hood-Manier.
Stolz können wir auf die CNT Sevilla sein, die durch eine Serie erfolgreicher
Arbeitskämpfe immer weiter wächst. In Mexiko wird die Gewerkschaftslandschaft
noch vorwiegend von kapitalismusfreundlichen und gelben Gewerkschaften
dominiert, in Portugal hält die AIT-SP schon wacker dagegen.

Dass eine Kooperativenbewegung nicht zwangsläufig etwas
Gutes hervorbringen muss, zeigt der Fall des baskischen Konzerns Mondragon bzw.
Fagor
– während die meisten einheimischen Beschäftigten Anteile besitzen und
sich über vermeintlich prima Arbeitsbedingungen freuen, beuten sie kollektiv
ihre polnischen Kolleginnen und Kollegen brutal aus.

Lassen sich das internationale Lohngefälle und die daraus
resultierende Arbeitsmigration überlisten? In der schwedischen SAC organisieren
sich migrantische Arbeitskräfte ohne Arbeitserlaubnis, um Mindeststandards für
illegale Beschäftigung zu setzen. Ob sich so etwas auch in Deutschland umsetzen
lässt, wird in dieser DA zur Diskussion gestellt.

Kaum zu glauben, aber wahr: In Deutschland sind noch über 70
alternative, politische Buchläden übrig. Vielleicht finden diejenigen von uns,
die sich dem Weihnachtsterror nicht ganz entziehen können, dort ein paar nicht
komplett bescheuerte Geschenke? Tun wir das, solange wir noch Zeit haben:
Obwohl wir schon über das Maß des Erträglichen hinaus auf unsere scheinbar
einzig wichtigen Funktionen reduziert werden, nämlich Waren und
Dienstleistungen zu produzieren und konsumieren, sollen wir künftig noch länger
arbeiten. Der 65-Stunden-Woche und den psychischen Folgen von Arbeit ist eine
Doppelseite gewidmet. Widerstand, wie der gegen das geplante Kohlekraftwerk in
Mainz/Wiesbaden
, wird durch den resultierenden Zeitmangel zunehmend zum Luxus.

Umso wichtiger ist es, Widerstand effizienter zu gestalten. Die neuen
Statuten der FAU sind klarer und verbessern unsere Handlungsfähigkeit als
Gewerkschaft
. Hoffen wir also, dass wir künftig noch häufiger über erfolgreiche
FAU-Arbeitskämpfe wie den bei der Young Internet GmbH in Berlin berichten
können.

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