Kulturen
lassen keine Freiräume. Wer meint, sich künstlerisch abgrenzen,
ausdrücken, davon rennen zu können, ist schon auf dem Weg zur
Psychose. Mit ihrem Artikel macht Lena Sömme, Kunststudentin und
Aktivistin der antifaschistischen „anti art action group“, den
Anfang zu einer kleinen kulturkritischen Serie, die ihr in den
nächsten Ausgaben immer auf der linken Kulturseite der DA finden
werdet.
Louis
XIV., seine Majestät der Sonnenkönig, hat für die europäische
Kultur Unglaubliches geleistet. Durch seinen exzentrischen
Absolutismus gelang es, die Kunst zu politisieren. Und das ist
ausschließlich negativ zu verstehen. Kulturschaffende fanden
Geschmack am Anbiedern an die weltlichen Machtideologien, im
Gegensatz zum immer brotloser werdenden Gewerbe des Speichelleckens
in kirchlichen Kreisen. Die Identifikationsmöglichkeiten setzten
viel „kreatives“ Potenzial frei, schließlich wurde das Wesen des
Staates in einem bestimmten Typus Individualität verortet: „L’État,
c’est moi“. Die Gesellschaft sollte sich im Wesen des Herrschers
ausdrücken, und dieses drückte sich über die pompöse Kunst,
Musik, Architektur und Mode seiner Epoche aus. Wer Kunst als Handwerk
zwecks Lebensunterhalt betrieb, musste zwangsläufig in der Identität
der Herrschenden aufgehen. Wer sich hingegen selbst durch die Kunst
ausdrücken wollte, konnte nicht mit wirtschaftlicher Anerkennung,
sondern wohl eher mit Kerker rechnen.
Ohnehin:
Wer in der expressiven Emotionalität eines künstlerischen Ausdrucks
die pure Individualität vermutet, kann nur bemitleidet werden. Denn
irgendwann kommt zwangsläufig der harte Moment, in dem diesen armen
Menschen klar wird, dass abertausende andere selbsternannte
„Individuen“ im Prinzip genau das gleiche produzieren wie mensch
selbst, aber genauso über die Einzigartigkeit ihrer Werke
fabulieren. Die gesellschaftlichen Verhältnisse drücken sich in
jedem ihrer Mitglieder aus, und auch – wenn nicht gerade dort –
in den Gefühlen und somit in der Kunst. Auch ohne Hofmalerin oder
königlicher Modeschöpfer beim Sonnenkönig zu sein, gibt es aus
diesem Dilemma keinen Ausweg. Es wird vielmehr noch verschlimmert:
Anstatt einer klar abgesteckten Aufgabe, bei der der künstlerische
Akt als Tätigkeit her vergleichbar ist mit jeder anderen
Auftragsleistung (Schuhe putzen, Rohre verlegen, Wertpapiere
verwalten oder was auch immer), versuchen sich die nicht
marktkonformen „Selbstverwirklicher“ an einer Arbeit an ihnen
selbst. Diese wird aber zum einen niemals gesellschaftliche
Anerkennung erfahren, und zum anderen letzten Endes zu dem
zurückführen, vor dem die Kunst Fluchthilfe geben sollte, nämlich
zum Totalitätsanspruch der herrschenden Verhältnisse über das
Individuum. In diesem Augenblick ist die/der KünstlerIn gescheitert
und unendlich allein.
Individualität
als postmoderne Ideologie: Vereinzelt rennen die Ratten besser
Trotz
diverser Standort- und Produktionsmodelle im Zeichen des „Creative
Society“-Wahns auf der einen Seite, und dem sich kulturkritisch
gebenden hedonistischen Kunstfetischismus auf der anderen: Freiheit
und Kreativität werden in der Marktwirtschaft wie beim Trabanten in
der DDR je nach Antrag bewilligt und verteilt. Das Wesen des
spätkapitalistischen Menschen liegt gerade mit steigender Betonung
der gesellschaftlichen Freiheiten in der Masse. Denn nur Leistung und
Erfolg erscheinen als tatsächlich gelungene Selbstverwirklichung,
als Erreichen des persönlichen Ziels, und damit ist nicht der
Prototyp des seelenlosen Bänkers, sondern insbesondere die
kulturelle Tätigkeit gemeint. Wenn die Leistungsgesellschaft
kreatives Schaffen anerkennt, ist diesem Menschen das Höchstmaß an
zu erwartenden Sonderkonditionen zu teil geworden. Nach exakt solchen
Privilegien strebt die Kunstwelt. Sie steht quasi sinnbildlich für
das herrschende Prinzip: Selbstverwirklichung durch Anpassung. Obwohl
gesellschaftlich gefordert, wird Leistung als persönliches Merkmal
wahrgenommen, und gleichzeitig ermöglicht sie Teilhabe am zentralen
Sinn der Welt, an einem übergeordneten Ziel. Der Sonnenkönig hat
heute viele Gesichter: Er ist ein millionenschwerer Rapstar, er ist
eine renommierte Polittalkerin, ein ausgeflippter
Computerspielproduzent, eine weltweit gefeierte Buchautorin. Sie alle
können von sich sagen: „L’état, c’est moi! Und ich habe mich
zu dem gemacht, was ich jetzt bin.“ Sie leben die Inszenierung
einer angeblichen Wertschätzung individueller Kreativität; die
verborgenen gesellschaftlichen Bedingungen solcher Karrieren aber
werden kaschiert. Es gibt keinen Blick auf die Briefings, die
Kulturmanagement-Agenturen, die WerbevertreterInnen, die
Programmdirektion. Und so sind gerade die mit kultureller Arbeit
Erfolgreichen die stärksten RepräsentantInnen des Aberglaubens an
die Gesellschaft der unbegrenzten Möglichkeiten, für die in
Wahrheit gilt: Freiheit durch Anpassung, Anpassung durch Leistung.
KünstlerInnen aber, die aus dieser Funktionalisierung herausfallen,
blüht ein schreckliches Schicksal.
„Anders“-sein
wird nur gut geheißen, solange es nicht „fremd“ bedeutet
Das
historisch gewachsene Bild der Andersartigkeit von KünstlerInnen,
das ursprünglich auf den einfachen Umstand zurückzuführen war,
dass Kunst keinem normalen Produktionsbetrieb entspringt, sondern
sich lediglich im Gefallen oder nicht Gefallen legitimieren kann,
mutiert in der „befreiten Gesellschaft“ des Neoliberalismus zur
Todesdrohung. Denn diese Andersartigkeit gilt nur dann als
erstrebenswertes Ideal, solange sie als Faktor zur Wertsteigerung des
eigenen Produkts eingesetzt wird, sie bedeutet lediglich: Dieser
Mensch verkauft sich anders. Ansonsten bedeutet Andersartigkeit vor
allem ein Herausfallen aus der Gesellschaft, sie fungiert als
Konstrukt für die Zuschreibung von Abartigkeit, Wahnsinn, Krankheit.
Kunst ohne Einkommen bedeutet nicht bloß einen notdürftig
akzeptierten Job bei Penny an der Kasse. Den Kunstschaffenden wird
zwangsweise unterstellt, dass sie immerzu doch noch auf den Erfolg
hoffen; dass sie sich selbst als verkannte Genies verklären und
verbittert den Tag herbeisehnen, an dem ihnen Ruhm und Ehre zu Teil
werde. Wer nicht zumindest egozentrisch die eigene „Kreativität“
über die partypoppige Lifestyle-Identitätsmaschine zum Konsum
anbietet, ist suspekt.
Kunst
besitzt entgegen aller Beteuerungen in dieser Gesellschaft keinen
Selbstzweck. Nein, gerade die Instrumentalisierung des Images
„Anders“ zu sein („Sie/Er ist eben KünstlerIn“) bedeutet den
Zwang, dieses spezielle „anders“ im Sinne der Gleichmacherei
auszulegen, das Rollenklischee perfekt zu erfüllen. Als StudentIn im
Milieu der Kreativ- und Drogenexzesse Streetart zu entwerfen und
diese sowohl vermummt wie bekifft an die Wände der Stadt zu
kleistern, ist trotz des möglichen Polizeistresses nur bedingt als
subversiv anzusehen. Schließlich sind sie in der gesellschaftlichen
Wahrnehmung nicht nur sachbeschädigende Kleinkriminelle, sondern
auch die Helden der Polylux- und Banksy-Generation. Sie sehnen sich
kollektiv nach den kleinen Abenteuern, die neuerdings in den
persönlichen Lebenslauf ihrer sozialen Schicht gehören. Da sie dem
gesellschaftlichen Konsens über Kreativität und Individualität
entspricht, darüber hinaus aber konsequenzlos bleibt, fällt auch
die hedonistische Adaption der gesellschaftlichen Möglichkeiten zur
„Selbstverwirklichung“ nicht aus dem gängigen Produktionsschema.
Hier finden sich diejenigen zusammen, die materiell und vom
gesellschaftlichen Ansehen her das Recht zugesprochen bekommen haben,
sich genauso zu verhalten. Die Gesellschaft reduziert die
Möglichkeiten zu einem „Anders“ auf einen für sie akzeptablen
Gegensatz zur bürgerlichen Prüderie, und spaltet dies dann je nach
sozialer Schicht. Kids, denen mit allen Mitteln ihre „türkische
Herkunft“ konstruiert wird, die also nicht in der Türkei, aber in
einem „Problemviertel“ einer deutschen Großstadt geboren wurden,
dürfen sich von der Gesellschaft in Form von platten,
gewaltverherrlichenden Rap-Texten abgrenzen, sich auf diese Weise
„selbst verwirklichen“ – denn schließlich wird in ihnen
ohnehin das gesehen, was den Inhalt des Raps à la Aggro Berlin
ausmacht. Und eine deutsche Studentin aus der Mittelschicht kann
ruhig auch mal Rudi Dutschke oder gar Andreas Baader auf eine Wand
malen; die meisten guten Bürger ab 60 waren früher ja auch mal so.
Wenn aber der prekarisierte Jugendliche aus dem für Deutsche ach so
„türkischem“ Viertel mit dem Gefasel von gesellschaftlichem
Umbruch und Revolte anfängt, wird’s unbequem. Einen deutschen Pass
gibt es dafür sicherlich nicht. Malt unsere linksradikale Studentin
mit 60 immer noch subversive Bilder, ohne damit auch nur einen Cent
zu verdienen, ist es auch für sie mit dem Verständnis vorbei:
bestenfalls gilt sie noch als „Sozialschmarotzerin“, die ihrem
Wohltäter, dem Staat, auch noch in den Rücken fällt.
Wahrscheinlich aber wird sie als nachweislich geisteskrank,
drogensüchtig, asozial gelten. Die bürgerlichen Vorstellungen
materialisieren sich durch Ausgrenzung und nackte Gewalt.
Die
Frage, was „kritische Kunst“ ist bzw. sein könnte, ist noch nie
ausreichend beantwortet worden
Dass
Kunst „provozieren“, „wachrütteln“, „zum Denken anstiften“
soll, ist so tief im gesellschaftlichen Konsens verankert, dass diese
vereinnahmende Forderung eigentlich nur mit „dann erst recht nicht“
beantwortet werden kann. Der Dadaismus reagierte einst auf die
unausstehlichen Gegebenheiten seiner Zeit mit einer Art konstruktiver
Verweigerung; versuchte, die Absurdität der Gegenwart und des
eigenen Schaffens in ihr zum Ausdruck zu bringen. Auch heutzutage
gäbe es eigentlich mehr als genug Angriffspunkte, den kreativen
Köpfen dieses Landes ihre Verlogenheit und Hörigkeit vor Augen zu
führen. Schließlich sind sie in den letzten Jahren in unfassbarem
Tempo im „Du bist Deutschland“-Trend aufgegangen, der modernen
und deutschen Übersetzung des berühmten Satzes des Sonnenkönigs:
„L’État, c’est moi.“
Lena
Sömme
für die anti-art-action group [aaag]