Nach
den Beiträgen der anti-art-action-group sowie des Straßenmusikers
Lukas Johannsen gibt es in dieser Ausgabe eine Besprechung der
Rauminstallation “Bilbao’s Rent Collection Courtyard“ des
chinesischen Künstlers Cai Guo Quiang, sowie eine Betrachtung des
Guggenheimmuseums in Bilbao und seinem Verhältnis zur Wirklichkeit.
Es
passt kaum in diese enge, staubige, laute Stadt, der unverändert
noch der proletarische Charakter einer Industriemetropole aus dem
frühen 20. Jahrhundert anhaftet. Glitzernd und blendend ragen die
gewölbten Wände und Dächer an einem der wenigen großzügigen
Plätze Bilbaos empor, die extravagante Architektur wirkt beinahe
feindselig gegenüber den riesigen Mietskasernen und halbverfallenen
Wohnhäusern, in denen die überwältigende Mehrheit der Menschen
Bilbaos ihr Dasein fristet. Es ist in vielerlei Hinsicht geradezu
paradox, dass ein dermaßen fehlplatziert erscheinender Bau als das
Wahrzeichen der Stadt überhaupt gilt. Das Guggenheim Museum Bilbao
ist ein Symbol der saturierten Avantgarde-Kunst, ein Anziehungspunkt
für Touristen des Bildungsbürgertums und als Teil der Stiftung des
Industriemagnaten Guggenheim von vornherein sozial verankert in der
globalen Oberschicht. Die hier ausgestellten, unbezahlbaren Werke des
abstrakten Schaffens medial gehypter KünstlerInnen stehen in einem
direkten Gegensatz zur Subkultur der Straßen Bilbaos. Hier ist die
linksradikale Szene nicht bloß von einem anderen Ansatz getrieben
als im übrigen Spanien, sie ist auch um ein Vielfaches präsenter,
radikaler in ihrer Erscheinungsform und ihrem Auftreten. An allen
Ecken sind die zahlreichen Gefangenen der Stadt auf Bildern zu sehen.
In den schmutzigen Gassen werden Zorn und kämpferische Energie
spürbar, wenn sich der bunte Menschenwirrwarr in der Hässlichkeit
der Stadt sein eigenes kulturelles Lebensumfeld schafft. Im
Guggenheim dagegen treten die BesucherInnen kühl und diszipliniert
auf, machen schlaue Gesichter, genießen die Ruhe vor dem Dreck und
den Menschen einer Stadt, die sie nur vorgeben zu besuchen.
Tatsächlich flanieren sie durch die Galerien des bourgeoisen New
York, Paris, Tokyo.
Mao,
die Kunst und das Geld
Welchen
Charakter kann nun die Kunst in einer solchen Situation annehmen?
Tatsächlich erwecken einige Werke des Guggenheim den Eindruck,
Auftragskunst im Sinne der sich selbstbeweihräuchernden,
globalisierten Oberschicht zu sein. Exemplarisch etwa die hohen
Reklametafeln, die „Liebe und Hoffnung“ in verschiedenen Sprachen
proklamieren, und dem naiven, lebensfremden Pazifismus und
heile-Welt-Nimbus reicher VorstädterInnen aus der Seele sprechen.
Doch es wäre fatal, einen kulturkritischen Blick ausschließlich aus
einer Klassenperspektive zu begründen und so per se alles in dieser
Ausstellung als dekadenten Kitsch abtun zu wollen. Der derzeitige
Schwerpunkt des Guggenheim Museum Bilbao liegt auf den Werken des
chinesischen Raumgestalters und Experimentalkünstlers Cai Guo Qiang
und hat einige Überraschungen zu bieten. Im Zusammenhang mit der
befremdlichen Stimmung im Guggenheim und dem Verhältnis dieses Ortes
zum industriellen Bilbao sticht dabei vor allem das Werk Bilbao’s
Rent Collection Courtyard ins Auge, eine weiträumige
Installation mit mehren Tonfiguren, die in der zweiten Etage des
Museums untergebracht ist. Es ist quasi ein Remake eines bis auf den
Stadtnamen gleichlautenden Werkes, das 1965 in Chongqing unter der
Protektion Maos erstellt wurde. Dieses Original, das Cai Guo Quiang
als Vorlage diente, zeigt geknechtete, schuftende chinesische
Landarbeiter, die von den Gutsbesitzern unter Peitschenhieben zur
Arbeit angetrieben werden, bis die Volksbefreiungsarmee die Armen
befreit und die Ausbeuter bestraft. Die Darstellung wurde mit zu den
bedeutendsten Kunstwerken Chinas während der Kulturrevolution und
von Mao persönlich gewürdigt. Cai Guo Quiang besetzt die
ideologische Bedeutung der Vorlage in seiner Version mit einer
Reflexion über das Wesen der Kultur, um Fragen nach der Freiheit von
Kunst, der Vergänglichkeit von Ideen und der Totalität
gesellschaftlicher Zwänge. Schon die Hinzufügung Bilbaos zum
ursprünglichen Namen des Werkes macht deutlich, dass es sich hier
nicht um eine belehrende Darstellung des Maoismus handelt, sondern
einen Bezug zum Hier und Jetzt besitzt.
Zerfall
und gesellschaftlicher Wandel
Das
prägnanteste Mittel Cai Guo Quiangs in dieser Installation ist das
Material. Der grobe Ton, mit denen die ausdrucksstarken Figuren
geschaffen wurden, ist porös, an vielen Stellen aufgebrochen. Wie
klaffende Wunden zerbröseln die Kunstwerke vor sich hin. Was in
China unter Mao für die Ewigkeit geschaffen wurde, zerfällt mit
Dauer der Ausstellung in Bilbao, bis nur noch die Gerippe der
Holzgestelle übrig bleiben. Jeder Figur ist ein Foto des Originals
beigelegt, so dass der Kontrast zwischen der stählernen, grimmigen
Konstruktion aus der Kulturrevolution und der zerbrechlichen, bald
verschwundenen Installation im Guggenheim sichtbar wird. Der Effekt
wird auch ohne die Erläuterungen Cai Guo Quiangs deutlich, die die
BesucherInnen durch ihre Audiogeräte zu hören bekommen. Kunst ist
durch die sie umgebende Wirklichkeit determiniert, und zerfällt der
gesellschaftliche Kontext, geht auch die Kunst in ihrer Bedeutung mit
unter. In einem Museum wie dem Guggenheim entfaltet solch ein Werk
mit seiner Botschaft eine eigene Dynamik. Die meist bewusst abstrakt,
und so angeblich unpolitisch, gar ungesellschaftlich gehaltenen
Kunstobjekte werden auf ihren sozialen Kern zurückgeworfen. Was
werden sie noch wert sein, wenn diese Gesellschaft einmal nicht mehr
ist? Wie werden zukünftige Generationen die heutige Gesellschaft und
vor diesem Hintergrund auch die Kunst des Guggenheim bewerten? Cai
Guo Quiang sagt ganz offen, dass er die Bedeutung von Politik und vor
allem Geld in der Kunst als Zwang empfindet, den er durchaus mit dem
im maoistischen China vergleichen würde. Er fragt, ob „wir heute
manipuliert werden? Haben wir oder die KünstlerInnen der
Kulturrevolution einen stärkeren Bezug zur Kunst? Auch wenn ihr Weg
ein tragisches Ende nahm, die Menschen der damaligen Zeit glaubten an
eine neue Welt und an ein Ideal der Menschlichkeit.“ Sowohl in
China, das gegen die Installation sogar vor internationale Gerichte
zog, wie auch in der zeitgenössischen Kunstszene wird ihm für solch
einen ideologiekritischen Ansatz Verrat und Diffamierung vorgeworfen.
Zurück
in die Wirklichkeit
Ob
sich die BesucherInnen des Guggenheim Museum Bilbao durch dieses Werk
in ihrer Weltsicht verunsichern lassen, kann niemand wissen. Dass Cai
Guo Quiang sein Werk, das gesellschaftliche Kämpfe thematisiert,
offensiv auf Bilbao bezieht, holt die Realität der Stadt letzten
Endes doch in das unwirkliche Gebäude hinein. Der Zufluchtsort vor
der Realität wird ein Stück weit beschnitten. Draußen, auf den
Straßen der Stadt, kann die Botschaft des Werkes Bilbao’s Rent
Collection Courtyard täglich erlebt werden.
Karoline
Rother & Marcus Munzlinger