30 Jahre Asphaltkultur!

Die RAK stach in den späten 70'ern in die widerständige See

„Traue keinem über 30!“ So lautet
ein Motto, welches dem amerikanischen Free-Speech-Aktivisten Jack
Weinberg zugeordnet wird und das es als Alltagsfloskel und
Binsenweisheit in die meisten Jugendbewegungen der Welt geschafft
hat. Dieses Motto stand auch symbolisch für das euphemistisch
genannte „Erwachsenwerden“ der Grünen, als der Parteivorstand
zum Jubiläum eine Lederjacke mit eben diesem Slogan darauf geschenkt
bekam. Erwachsenwerden steht hier für eine Abkehr von den alten
Idealen, wie z.B. dem Antimilitarismus oder sozialer Gerechtigkeit.
Selbst Koalitionen mit den einstigen Lieblingskontrahenten der FDP
und der CDU sind kein Tabu mehr und was einst aus den neuen sozialen
Bewegungen, der Anti-AKW-Bewegung etc. entsprang, ist heute in der
politischen Mitte angekommen. Traue keinem über 30 – a
self-fulfilling prophecy!

Es geht aber auch anders!

Im gleichen zeitlichen und politischen
Kontext entstand jedoch auch ein loses Bündnis politischer Straßen-
und KleinkünstlerInnen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die
Straße und den öffentlichen Raum zur politischen Aufklärung zu
nutzen. Was als Idee auf einem Bundeskongress der Bürgerinitiativen
gegen Atomkraft 1978 begann, entwickelte sich fortlaufend zu einem
immer größer werdenden Bündnis – die Rotzfreche Asphaltkultur
(RAK) war geboren.

Die RAK sah sich von Beginn an als
unkommerziell und in Opposition zur Massenkonsumkultur und dem
Mainstream. Davon lebt sie bis heute. Hauptaugenmerk war schon immer
der kontinuierliche Austausch von Stücken, Erfahrungen und
Aktionsformen, denn die meisten KünstlerInnen haben ihre Kunst schon
immer mit politischen Kämpfen verknüpft. Bei vielen war eine
gewisse Praxisnähe zu dem, was sie sangen unverkennbar. So gab es in
der Vergangenheit immer mal mehr und mal weniger regelmäßige
Treffen, auf denen dieser Austausch in Form von Workshops,
Diskussionen und gemeinsamen politischen Aktionen gepflegt wurde. Im
Zuge solcher RAK-Treffen kam es dann oft zu gemeinsamen politischen
Aktionen vor den Toren von AKWs, in Einkaufszentren, vor Kasernen
etc. Mit diesen Aktionen wurden meistens regionale politische Kämpfe
in der Veranstaltungsstadt unterstützt oder weitergeführt.

Die Inhalte der einzelnen Gruppen
bewegten sich schon immer stark zwischen den großen politischen
Themen, wie Krieg und Frieden, Rassismus, Umwelt, Ausgrenzung,
Unterdrückung, etc., und den kleinen Alltagsgeschichten, wie
Vereinzelung und Anonymität, Konsumverhalten in der
Überflussgesellschaft, Arbeit, Utopien und Träume, Liebe etc. Die
meisten Lieder hatten keinen festen Stil – aus Rock, Pop, Folk,
Antifolk, Ballade und sogar Volksmusik war alles vertreten. Gesungen
und gespielt wurde jedoch fast ausschließlich auf Deutsch, denn ein
großes Anliegen war es, die Inhalte simpel und einfach
zutransportieren. Was nützt ein Bob Dylan, der von Frieden singt,
ein Donovan, der für gerechtere Arbeitsbedingungen singt, wenn deren
Lieder in deutschen Fußgängerzonen kaum als politisch verstanden
werden, da keiner so schnell den Text übersetzt?

Wichtig für das Selbstverständnis der
RAKis war von jeher die Nähe und Barrierefreiheit zum Publikum. Auf
der Straße gibt es keine erhöhte Bühne und kein festes Publikum,
jeder kann zuhören wie es ihr oder ihm beliebt. Ein harter, aber
auch dankbarer Job! Zudem wird ein Publikum erreicht, welches kaum
auf politische Konzerte, Diskussionen oder Veranstaltungen gehen
würde. Schwellenängste können auf behutsame Weise abgebaut werden.

-RAK Heute-

2009 kam es nach Funkstille innerhalb
der RAK zu einem Revival-Abend in Braunschweig, auf dem sich mehrere
Generationen von Kulturschaffenden aus der Rotzfrechen Asphaltkultur
trafen – vor allem sich selbst zu feiern. Es war ein schöner,
vielfältiger und bunter Abend, der jedoch einen politischen Anspruch
vermissen ließ. Kein Wunder, denn viele Alt-RAKis haben sich aus dem
politischem Aktivismus verabschiedet. Trotzdem gab es dort auch eine
nicht gerade geringe Anzahl an jüngeren, derzeit aktiven Gruppen. So
zeichnete sich schon dort ab, dass man sich bald wieder treffen
wollte. Ein solches Treffen, so wurde sich gewünscht, sollte aber
wieder mehr zum gegenseitigen Austausch beitragen, bzw. mehr sein als
ein bloßes Happening. Und so wuchs die Idee von einem neuen
RAK-Treffen 2010 in Kiel.

Heute gehören Gruppen und MusikerInnen
wie Revolte Springen, Früchte des Zorns, Bambule, Teds’n Grog,
Schall und Rauch, Yok, Geigerzähler u.v.m. zum aktiven RAK-Umfeld.
Genau lässt es sich nicht sagen, wie viele Gruppen es derzeit gibt,
da vieles auf einem Zusammengehörigkeitsgefühl beruht.

Der Gala Abend des diesjährigen Treffens in und vor der Hansa 58 in Kiel war ein unerwartet großer Erfolg-RAK Treffen Kiel-

In der Zeit zwischen dem 27.und dem 30.
Mai reisten an die 40 MusikerInnen und KleinkünstlerInnen aus ganz
Deutschland in die Fördestadt, um sich gemeinsam auszutauschen und
zu vernetzen. Die Stimmung im viel zu kleinen Vorbereitungskreis war
bis zum Eintreffen der ersten KünstlerInnen am Donnerstag schon ein
bisschen angespannt: „Es war einfach schwer abzuschätzen, was da
genau auf uns zukommen würde“, beschreiben die KielerInnen ihre
leichte Nervosität vor dem Treffen. „Zum Teil hing ja vieles bis
fast alles an nur einer Person“ – also die Einladungen, die
Ankündigungen per Plakat, die Finanzierung, die Unterbringung der
Künstler und Künstlerinnen, die Verpflegung und vieles mehr. „Wir
haben uns dann immer, bevor das Gefühl ‚Das Schaffen wir nie‘
aufkam, gesagt: Hey, das ist ein selbst organisiertes DIY-Festival,
das von den Teilnehmenden selbst gestaltet wird. Was wir in der
Vorbereitung nicht schaffen, das machen die MusikerInnen und
KünstlerInnen dann schon selber. Schließlich soll ja gerade das
dieses Treffen ausmachen.“ Und genau so kam es dann auch.

Noch am Donnerstagabend glich das
RAK-Treffen eher einem musikalisch-familiären Zusammenkommen guter
Freunde als einem bundesweiten Treffen und Festival. In den Räumen
der „Alten Meierei“ trudelten so um die 15 Leute, unter ihnen
z.B. Revolte Springen oder Konny aus Berlin, ein und planten und
musizierten bei Vokü und ein paar kühlen Bieren zusammen bis spät
in die Nacht. So kamen die Unterstützenden aus Kiel in den Genuss
eines kleinen „hoch exklusiven“ Live-Konzerts, was schon mal für
vieles entschädigte. Doch richtig losgehen sollte es dann am
Freitag.

Die RAK in und für Kiel aktiv gegen
Nazi-Gewalt und das Schweigen der Öffentlichkeit

Für diesen Tag stand die lokale und
politische Komponente des Treffens explizit im Vordergrund. Kiel ist
– wie seit der lebensbedrohlichen Attacke auf einen Tänzer im
letzten Jahr und den scharfen Schüssen auf die Alte Meierei Anfang
dieses Jahres in linken Kreisen überregional recht gut bekannt ist –
seit geraumer Zeit trauriger Schauplatz kontinuierlicher Nazi-Gewalt.
Das RAK-Treffen wollte hier politisch intervenieren. Schon die
Veranstaltungsorte waren von dem Vorbereitungskreis im Bezug auf die
anhaltende Nazi-Problematik gewählt worden: Neben dem allgemeinen
Anlaufpunkt im autonomen Kultur- und Wohnprojekt Alte Meierei wurde
das offene linke Kommunikationszentrum und ebenfalls Wohnprojekt
„Hansa 48“ für den Gala-Abend am Samstag gewählt. Dem
Kinderladen (!) der Hansa 48 waren in den letzten drei Jahren
wiederholt von Nazis die Scheiben eingeworfen worden. Um die Fülle
und Dauer der Gewalt von rechts, die sich in erster Linie gegen die
linke Szene in Kiel richtet, deutlich zu machen, beschäftigte das
RAK-Treffen am Freitag vor allem die öffentliche Aufarbeitung und
Analyse der Geschehnisse. Ausgestattet mit der Chronik der Attacken
und einem allgemeinen Wissen um die Verhältnisse in Kiel strömte am
späten Vormittag die mittlerweile schon etwas größere Gruppe der
RAKis aus, um in der Kieler Innenstadt an den Straßen und Plätzen
mit Musik, Information und einem deutlichen Zeichen gegen rechts und
des „Sich-nicht-einschüchtern-lassens“ die RAK-Tage sozusagen
„offiziell“ zu eröffnen. Außerdem luden die KünstlerInnen zur
am Abend in der Alten Meierei stattfindenden Veranstaltung ein. Die
„Autonome Antifa Koordination Kiel“ war vom
RAK-Vorbereitungskreis dafür gewonnen worden, eine tiefergehende
Darstellung und Analyse der Naziszene in und um Kiel zu präsentieren.
An diesem Abend strömten dann auch viele Leute in die Halle der
Alten Meierei, während der Raum nebenan beim Plenum der nun fast
kompletten RAK aus allen Nähten platzte. Der Ansatz der Aufklärung,
den die RAK hinsichtlich der Nazi-Thematik gewählt hatte, war, wie
auch von Antifa-Seite bekräftigt wurde, aufgrund des Totschweigens
und Verharmlosens der rechten Gewalt durch die Monopolpresse der
Kieler Nachrichten und der Politik im Rathaus, ein guter und
richtiger Akt der Solidarität.

Der Gala Abend: Groß, Bunt, Wild

„Im Nachhinein“, so der noch immer
sichtlich beeindruckte Vorbereitungskreis, „sind wir immer noch
sprachlos. Was an diesem Samstag in der Hansa 48 los war, ist einfach
unfassbar“. Angeblich sollen über den Abend über 400 bis sogar
500 Menschen in die proppevollen Räumlichkeiten geströmt sein. „Die
armen MitarbeiterInnen der Hansa waren auch total überrascht und zum
Teil etwas überfordert mit dem Ansturm. Damit hat aber auch kaum
jemand gerechnet“. Das in einem Plenum nur kurz vor Beginn des
Gala-Abends abgesteckte Programm reichte bis tief in die Nacht und
bot neben den bekannteren KünstlerInnen um ‚Früchte des Zorns‘
oder der deutsch/sorbisch singenden Kombo ‚Berlinska Dróha‘ auch
vielen Unbekannteren eine große Bühne. Die anschließende
Abschlussparty musste dann irgendwann mit Rücksicht auf die
feierabenddurstigen MitarbeiterInnen des Hansa-Kollektivs schließlich
beendet werden. Zufrieden und geschafft verteilten sich die RAKis
schließlich auf die WGs und Projekte, bei denen sie für die Tage
Unterschlupf gefunden hatten.

Tschüss und bis zum nächsten Jahr!

Am letzten Tag fanden sich übermüdete
und zum Teil auch etwas verkaterte RAKis zum Abschlussplenum in der
Alten Meierei ein. Neben einer Rückschau über die Tage wurde die
aktuelle Situation der RAK und natürlich das „Wie weiter“
besprochen. Mogli von ‚Früchte des Zorns‘ brachte es auf den
Punkt: „Ich hab’ so das Gefühl, dass diese neuen RAK-Treffen wie
so ein kleines Kind sind, um das wir uns kümmern müssen, damit es
heranwächst. Lasst uns dranbleiben und Strukturen schaffen, damit es
weitergeht!“ Genau das ist, wie allen TeilnehmerInnen anzusehen
war,ein großer gemeinsamer Wunsch.

Lukas Johannsen und Marcus Munzlinger

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