„Weil die Mittage von den Chefetagen stürzen wie Steine“

Nicht wenige LeserInnen der DA werden sich gefragt haben, wann denn nun die Gedichte Ralf Burnickis, die hier nicht selten in Erstveröffentlichung erscheinen, auch in Buchform herauskommen. Nun ist es endlich soweit, wenn auch der eine oder die andere überrascht sein mag. Denn für das im Verlag Edition AV erschienene Projekt hat sich Burnicki mit dem inzwischen weit über libertäre Kreise hinaus bekannten Künstler Findus zusammengetan, sehr passend, wie ich finde, begleitet Findus doch gekonnt und mit großem Erfolg jene gesellschaftlichen Versuche und Revolten, die, wie Burnicki schreibt, „Worte in der aufgebrochenen Zeit Wurzeln schlagen und Vollversammlungen der Gedanken stattfinden lassen.“ Es ist jener Findus, der uns die „Kleine Geschichte des Anarchismus“ zeichnete (Verlag Graswurzelrevolution), dazu die „Kleine Geschichte des Zapatismus“ von Luz

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Kerkeling, „Die kleine Geschichte der Genossenschaften“ mit Caterina Metje und auch die „Kleine Geschichte der Krisenrevolten“ von Torsten Bewernitz (Oktober 2014) alle drei Bände erschienen bzw. erscheinen im Unrast Verlag, Münster.

Mit diesen lebendigen und trotz der ernsten
Thematik 
lebensfroh 
gezeichneten Comics dürfte Findus weit mehr erreicht haben als der oder die noch so entschlossenste StraßenkämpferIn unter uns. Nun begleiten seine Bilder also die in den letzten Jahren hier in der Direkten Aktion veröffentlichten längeren Gedichte Burnickis, „Warum Anarchie“, „Countdown“ „Der Chefteddy“ und „Die anarchistische Nacht“, sowie einen fiktiven Brief Emma Goldmanns an die Anarchie. Dazu kommen ganz neu „Wenn die Anarchie ausbricht“, „Anarchie jetzt!“ und „Hoch lebe sie, die Anarchie!“Ralf Burnicki zeigt seit Langem ganz unbekümmert – oft zusammen mit dem ebenso wortgewandten libertären Dichterkollegen und Freund Michael Halfbrodt –, dass Anarchie nicht nur eine Gesellschaftsform ist, Wirtschaft und Politik, sondern, und das ist nicht weniger entscheidend, eine lebendige geistige Strömung. Bereits 2001 wurde der Autor, der im folgenden Jahr im Fach Philosophie promovierte, von der Gesellschaft für Literatur in Berlin zum Erben Orwells ausgelobt. In der Edition Blackbox und dem Verlag Edition AV erschienen seit dem Jahr 2000 fünf Gedichtbände, zudem stieß Burnicki mit seine Büchern „Anarchie als Direktdemokratie“ (Syndikat A), „Anarchie als Konsens“ (Edition AV) wichtige Diskussionen in der libertären Szene an.In dem Band „Hoch lebe sie, die Anarchie“ gelingt es ihm erneut mit seiner inzwischen schon typisch zu nennenden Verbindung von Wortwitz und einfühlender Poesie, die falsche „Wirklichkeit zu zerreißen wie einen misslungen Schnappschuss!“ (Nach dem Titel eines früheren, zusammen mit Halfbrodt geschriebenen und veröffentlichten Gedichtbandes.) Ein wenig aus dem Rahmen fällt, da Richtung Comedy, der „Chefteddy“.

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Hier werden der Wortwitz und die Dynamik bei allen, die sich jemals über ihren Chef geärgert haben, zumindest schelmisches Lächeln verursachen, wenn nicht unkontrollierbares Lachen. Die Verse in Burnickis Gedichten haben eine sich steigernde Wirkung, jedes Wort ein weiterer Schluck im Rausch einer durchzechten Nacht. – Wenn auch mit dem Rauschmittel „Wort“ Klarheit geschaffen wird, es verursacht keine Kopfschmerzen, sondern Freude, die Gedankenfinsternis zu durchdringen, es geht um „Licht“, ein bei Burnicki nicht zufällig an wesentlichen Stellen auftauchender Begriff. Für alle, die sich nach einem intensiveren Leben und einem neuen Morgen sehnen, für alle, die die Falschheiten der Vergangenheit hinter sich lassen wollen, ist dieser Band wie eine ausgestreckte Hand, die uns zu einer frohen, von Hierarchien, Herrschsucht, Unterwürfigkeit und Ängsten befreiten Gegenwart führen kann. Es ist das Innerste, es sind wesentliche Fragen, um die es hier geht: Was kann der Mensch sein, wie holen wir unserer Träume aus dem Himmel auf die Erde zurück, wie schöpfen wir neues Vertrauen, uns und anderen gegenüber, wie entsteht neuer Mut?Für alle, die Poesie lieben und / oder vom Virus der Anarchie selbst infiziert sind – und sei es auch nur ein wenig angehaucht –, ist dieser Band ein unbedingtes Muss, denn Burnickis Gedichte sind wahnsinnig schön und tief bewegend!

Oliver Steinke

 

Aus: Wenn die Anarchie ausbricht:

Wenn die Anarchie ausbricht, schweigt Geschichte, nicht das Leben, schweigen Kriege, nicht die Menschen. Wenn die Anarchie ausbricht, ziehen Fragen ins Sperrgebiet, und die Fragen antworten mit dem Geräusch spielender Kinder, die einen Horizont einfangen. Komm, lass uns Entfernungen aufschäumen oder Himmelsrichtungen erfinden, lass uns Winde inhalieren und die Glut steigern bis zur gemeinsamen Sprengung des Gemüts. Ja, an sämtlichen Bedeutungsgrenzen werden die Schlagbäume hochgezogen, geradezu explo-sionsartig schießen die Schranken ins Licht, zu lang schon sind sie tief ins Denken gedrückt, ins Gedächtnis eingesprochen, bald wird die Welt die Erinnerungen ausziehen, dass einmal Regierungen und Grenzen die Menschheit zu trennen wagten.

Ralf Burnicki 2014

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Ralf Burnicki & Findus
Hoch lebe sie – die Anarchie! Anarcho-Poetry
Verlag Edition AV, Lich,
2014ISBN 978-3-86841-102-7
49 Seiten
9,80 Euro

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