Ihre Show heißt Kapitalismus

Lange Zeit spitzte sich die linke Medienkritik auf ein einziges Feindbild zu

Medienarbeit und Medienkritik ist und war immer ein bestimmendes Thema sozialer Bewegungen. Ob und wie die eigenen Inhalte von den Massenmedien aufgegriffen werden, scheint die Relevanz der jeweiligen Anliegen unmittelbar zu bestimmen. So gesehen stellen die Mitte Oktober angelaufenen weltweiten kapitalismuskritischen Proteste ein interessantes Phänomen dar: Spätestens seit den Demonstrationen gegen die Welthandelsorganisation WTO in Seattle 1999 – und seit Beginn der Finanzkrise 2008 nochmals verstärkt – gab es eigentlich jedes Jahr sehr ähnliche, ebenfalls international organisierte Aktionen. Entgegen den aufgeregten Berichten der Medien war deren soziale Schichtung auch nicht anders als die der aktuellen: Angehende oder frische AkademikerInnen sowie SchülerInnen bilden zusammen mit dem Protestestablishment verschiedener Gruppen (maßgeblich Attac) den Kern der AktivistInnen, begleitet von einem bunten sozialen Querschnitt der Gesellschaft. Auch die Größe der Proteste – knapp zweitausend in New York, ein paar hundert in London, ungefähr vierzig in Hamburg – und die Aktionsformen, also Demonstrationen, Kundgebungen, Zelten an zentralen Orten, entsprachen immer dem Bild dessen, was sich Anfang Herbst 2011 plötzlich auf fast allen TV-Kanälen exklusiv verfolgen ließ. Noch bemerkenswerter aber war die ungekannte Milde und Wärme, mit der die Medien die Proteste bedachten; allen voran Caren Miosga bei den Tagesthemen: „Unaufhaltsam“ breite sich „die Bewegung“ über den Globus aus, sie vertrete alle sozialen Schichten und stoße auf Sympathien und Verständnis in Politik und Wirtschaft. Und beim 3Sat-Format Kulturzeit, immer um die linkeste Meinung im TV-Feuilleton bemüht, ergingen sich Moderatorin und ein durch sie befragter Soziologe angesichts der „neuen“ Proteste sogar in Revolutionsromantik und Lenin-Zitaten. Eindimensional diskursanalytisch denkende MedienwissenschaftlerInnen werden diesen „Turn“ der Krisen-Berichterstattung mit einer „Flexibilität und Instabilität moderner Diskursmerkmale“ erklären: Einmal angestoßen, wälzt sich „der Diskurs“ durch das Bewusstsein „der Masse“, bis er an seiner eigenen Masse von Beiträgen und Meinungen implodiert. Im Klartext: Irgendjemand verpackt eine Message recht ansprechend, und plötzlich plappern es alle nach. Die Naivität diskursanalytischen Denkens wird an diesem Beispiel recht gut deutlich. In der letzten Ausgabe der DA wurde an dieser Stelle auf die Schnelllebigkeit von Produkten in der Unterhaltungsindustrie als Produktionsmodell jener Branche eingegangen. Je schneller sich Stars und Sternchen, Musikstile und TV-Events überleben, desto mehr Geld ist mit der beständigen Präsentation von etwas „Neuem“ zu machen. Ähnliche Mechanismen könnten im Prinzip auch bei der Herstellung von Nachrichten und den Inhalten politischer Magazine vermutet werden: Wirklichkeit als zu inszenierendes Spektakel, welches von neuen Heroes und Stories lebt, und die Medien müssen einen solchen Bedarf ständig decken.

Macht zwischen „Diskurs“ und „Reality“

Facebook Gruppe gegründet, und schon von den Medien zum Bewegungsführer gekrönt: Wolfram Siener (Bild: indymedia)

Allerdings wurde auch schon hinsichtlich der Herstellung von medialen Produkten wie etwa die Super Nanny in der letzten Ausgabe eingewandt, dass hier durchaus ein politisches Bewusstsein der MacherInnen unterstellt werden kann. Der RTL-Inhaberkonzern Bertelsmann ist vor allem mit seiner gleichnamigen Stiftung politisch äußerst umtriebig im Namen der für ihn unzertrennlichen Verbindung von „Demokratie und Marktwirtschaft“; laut Eigendarstellung will dieser Mediengigant global soziale Prozesse initiieren und politische Veränderungen „begleiten“. Das Erschließen und Erhalten von Absatzmärkten sowie die Expansion des eigenen Kapitals auf den Finanzmärkten erklärt dabei allerdings nur zur Hälfte die politische Medienökonomie Bertelsmanns und ähnlicher Konzerne. Die andere Hälfte ergibt sich aus dem genauen Verständnis der eigenen gesamtgesellschaftlichen Bedeutung solcher Unternehmen, welches im Selbstbild dieser Konzerne unverblümt zum Ausdruck kommt. Dies gilt genauso für das gezielte Hervorrufen von Bedürfnissen und Lifestyles im Sinne der Werbepartner wie aber auch allgemein für die Schaffung eines gesellschaftlichen Klimas, in dem das Wachstum der eigenen Branche mit ihren vielfältigen Verbrechen gegen die Würde des Menschen gedeiht. Solchen Medien steht heute nicht mehr ein politischer Gegner gegenüber, durch den der politische Charakter der Kulturindustrie sichtbar wird – wie es lange Zeit zwischen Springer und der radikalen Linken der Fall war. Die offene Feindschaft dieses Verlages entgegen den Bewegungen der späten 60’er und in den 70’er Jahren warf immer auch ein untrügliches Licht auf die sonstigen Inhalte von Bild bis Welt. Durch die Explosion des Angebotes an privaten Medien – im Printbereich, im TV, online – aber ebenso durch den Siegeszug der diskursanalytischen Methode in Wissenschaft und auch linkem Denken scheint der politische Charakter der Produktion kulturindustrieller Inhalte zusehends übersehen zu werden. Die Medien gelten nun mehr als Opfer der Marktkonkurrenz und gefangen zwischen diskursiven Schranken: Sie können demnach nicht anders, als den ganzen menschenverachtenden Stumpfsinn zu reproduzieren und neu aufzulegen. Hinsichtlich der Macht über Kapital und Menschen in der Hand von Bertelsmann, Murdoch und Co. eine äußerst verwunderliche Lesart, in der ein Verständnis von Politischer Ökonomie keine Rolle zu spielen scheint und die darüber hinaus eine fast biblisch anmutende Gleichheit aller Menschen vor dem unergründlichen Episteme (in der Diskursanalyse nach Michel Foucault die Menge aller Diskurse in einer bestimmten Epoche) und dem Markt als dessen Propheten anzunehmen scheint. Die Gleichzeitigkeit der vehementen Platzierung von „Reality“-TV-Formaten am Markt mit der „Hartz-Gesetzgebung“ genannten Zerschlagung des alten Sozialstaates, begleitet von Initiativen und Kampagnen wie der „Neuen Sozialen Marktwirtschaft“ – welche immerhin als wirtschaftspolitisches Konglomerat direkten Medienlobbyismus betreibt – müsste eigentlich stutzig machen. An dieser Stelle soll nun einfach die These vertreten werden: Die Verfügung über die Produktionsmittel im Medienbereich gibt den Giganten in dieser Branche eine Macht, die sie durchaus auch gestalterisch in Bezug auf die Gesellschaft zu nutzen wissen. Die Verflechtung des überschüssigen Kapitals zwischen den Marktführern der Branchen – die Konzerne schieben zwischen sich die nicht im Sinne der Profitmaximierung verwertbaren Geldmassen hin und her – könnte dann als die ganz reale Materialität eines Klassenbewusstseins der Bourgeoisie gesehen werden, welches sich auch in den politischen Markttechniken der Medienkonzerne ausdrückt. Hinsichtlich der bilderbuch-ideologischen Statements in Politik und Medien in der Folge der Finanz- und Wirtschaftskrisen seit 2008 dürfte so manch kapitalismuskritischer Mensch angesichts von Sandra Maischberger und Thilo Sarrazin nicht mehr gewusst haben, ob nun Lachen oder Weinen angesagt sei. Vom „raffenden Kapital“ bis hin zum geifernden Gebell über die Unfähigkeit und das Schmarotzertum der von den Auswirkungen der Krise Getroffenen war alles dabei, ob in Unterhaltungsindustrie oder Informationsmedien. Entgegen der beharrenden Sichtweise vieler Linker verweist die hier vorgenommene Argumentation nicht in erster Linie auf aus dem Diskursuniversum entspringende – oder den Fetisch der vom „falschen Bewusstsein“ Fehlgeleiteten befriedigende – Zufälligkeiten, sondern – zumindest auch – auf die Existenz einer gezielten politischen Propaganda einer sich selbst bewussten sozialen Schicht.

Von der Krisenideologie zur Krisenbewältigungsideologie

Auf den Online Präsenzen so ziemlich jeden größeren Konzerns, egal welcher Branche, findet sich eine Rubrik zu „Verantwortung“ und/oder „Nachhaltigkeit“. Dabei geht es dann immer um irgendeine ökologische Phrasendrescherei sowie um die Anerkennung und Wertschätzung der „Mit“arbeiterInnen, von der sich im Regelfall die Beschäftigten äußerst wenig kaufen können. Hier zeigt sich schon eine präzise Konvergenz im Wortlaut zwischen Wirtschaftsunternehmen und den immergleichen Reden aus der Politik. Verständnis und die Sympathie der Eliten für die kapitalismuskritischen Proteste im Herbst 2011 wurde denn auch haargenau entlang solcher sinnentleerter Wortfolgen artikuliert. Schließlich sei ja „Geld nicht alles“ – welch Euphemismus hinsichtlich der Thematik, nämlich der Reproduktionsverhältnisse des Kapitalismus! Doch um genau die geht es laut Medien bei den Protesten ja auch gar nicht. Es ist allenfalls die Mitbestimmung, welche als politische Forderung gerade noch transportiert wird. Ein Abschöpfen der Finanzmärkte zu Gunsten etwas mehr Staatlichkeit – also zurück in den trostlosen Staat-Markt-Dualismus der 50’er und 60’er Jahre – zusammen mit noch mehr Volksentscheiden und einer verallgemeinerten „grünen Produktion“, an so einer Vision basteln Wirtschaft und Politik nachprüfbarerweise schon lange. Die Unternehmensberatungsfirma Mc Kinsey, die Grünen, aber auch schon wieder Bertelsmann haben derartige „Gesellschaftskonzepte“ in den letzten Jahren längst entworfen. Kommuniziert wurde dies meist auf oberer Ebene auf diversen Wirtschaftstreffen. Auch die Wirtschaftsinstitute fertigten sowohl für die Politik als auch für global agierende Konzerne entsprechende Expertisen an: Wie kann das Managementprinzip des „Mit-Einbeziehens“ gesellschaftspolitisch verallgemeinert werden? Ohne dass die kapitalismuskritischen Proteste, wie sie diesen Herbst gestartet sind, sich selbst bereits auf ein Ziel festgelegt haben, ist genau dies in der Rezeption in Politik und Medien anscheinend schon geschehen. „Den Wandel gestalten“, so heißt ein berüchtigtes Bertelsmann-Papier zur Strategie der „Staatentransformation“ aus dem Jahr 2001. 2011 wird es angesichts der tiefen systemischen Krise einen Wandel geben müssen, und der medial gepushten „Bewegung“ sowie der vor dem TV zuschauenden Masse soll der Charakter dieses Wandels vorgebetet werden: In Eintracht mit der herrschenden Klasse hin zu einer von allen abgesegneten Gesellschaftsordnung, in der Ausschluss und Autorität wohl noch drastischer organisiert sein werden als vor der Krise, erkauft durch etwas mehr Teilhabe des Bürgertums an lokalen politischen Prozessen und inszeniert durch Erzählungen von gütigen und sozial engagierten Unternehmensführungen.

Marcus Munzlinger

 

Siehe auch:

In der letzten Ausgabe der DA wurde sich mit Kultur und
Unterhaltungsindustrie im Kontext der Krise auseinandergesetzt, und
inwiefern sich deren Inhalte ökonomisch erklären lassen: Der Rubel rollt ins Haifischbecken

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