„Und ich dachte, er ist ein Landsmann … und doch betrügt er mich!“

Bei meiner Recherche zu diesem Artikel bin ich zwei Menschen begegnet, die sich im Stillen ehrenamtlich um illegale MigrantInnen kümmern. Sie haben mich auf dieses Thema aufmerksam gemacht und mir eine Welt gezeigt, die für mich so nicht vorstellbar war. Darüber zu lesen ist eine Sache, es zu sehen und von Betroffenen zu hören eine andere. Diese zwei Menschen haben mich mit Betroffenen zusammengebracht für ein kurzes Interview. Weil die Betroffenen Angst haben, haben wir alles anonymisiert. An dieser Stelle meinen Dank an meine Helfende für die Übersetzungen sowie meine Hochachtung für ihren Mut.

Laut Statistischem Bundesamt leben in Deutschland 80,62 Millionen Menschen. 7,012 davon haben keinen deutschen Pass. Da sie aber in irgendeiner Form registriert sind, also irgendeinen behördlichen Titel haben, kann man sie zählen. Schätzungsweise eine halbe bis eine Million Menschen fallen aus diesem Erbsenzählsystem heraus. Sie können nicht registriert und gezählt werden, da es sie offiziell gar nicht gibt. Sie sind nicht hier und doch leben und arbeiten sie hier, oft unter sklavenähnlichen Bedingungen. Sie kommen aus Asien, Afrika, dem hinter dem EU-Zaun liegenden Osteuropa oder Südamerika. Häufig getrieben von Armut oder Perspektivlosigkeit im eigenen Land begeben sie sich nach Europa. Nur ein kleiner Teil von ihnen geht nach einer Ablehnung des Asylantrags in die Illegalität. Nicht selten werden sie mit Versprechen geködert, welche die Hoffnung auf ein besseres Leben ohne existenzielle Sorgen wecken. Medial wird dieses Phänomen häufig mit der Prostitution in Zusammenhang gebracht, aber der größte Teil dieser Menschen arbeitet in der Schattenwirtschaft wie etwa in privaten Haushalten, auf dem Bau, in der Lagerwirtschaft oder in der Pflege. Die Löhne, sofern sie bezahlt werden, liegen bei ein bis zwei Euro pro Stunde, die Unterkünfte sind manchmal nur Matratzenlager im Keller. Sie sind Illegale, das wissen sie und vor allem wissen es die ArbeitgeberInnen. Sie haben keine Rechte, keinen Gesundheitsschutz, keinen legitimen Anspruch auf ein ordentliches Gehalt und vor allem haben sie Angst. Angst vor der Abschiebung, Angst, das bisschen, was sie haben, auch noch zu verlieren, da ihre Familien häufig in Vorleistung getreten sind, sich verschuldet haben und auf das bisschen Geld, das von Deutschland aus überwiesen werden kann, wirtschaftlich angewiesen sind.

Meine erste Gesprächspartnerin kommt aus dem asiatischen Raum und ist knapp über zwanzig. Sie ist seit 20 Monaten in Deutschland. Eingereist ist sie mit einem Touristenvisum.

Worin besteht deine Tätigkeit und wieviel verdienst du?

Ich arbeite für eine Familie als Hausmädchen. Ich passe auf die Kinder auf, putze und kümmere mich um die Wäsche. Ich bekomme ungefähr 100 Euro im Monat und zusätzlich 300 Euro, die mein Herr [sic!] an meine Familie überweist.

Wie viel Stunden arbeitest du täglich und wie viele Tage die Woche?

Ich arbeite den ganzen Tag. Ich stehe auf, bevor die Kinder in den Kindergarten müssen, mache das Frühstück für sie, ziehe sie an und mache sie fertig. Danach mache ich die Hausarbeit. Wenn die Kinder vom Kindergarten kommen, spiele ich mit ihnen bis sie ins Bett müssen. Dann ziehe ich mich ebenfalls in mein Zimmer zurück. Ich arbeite sechs Tage die Woche.

Was machst du an deinem freien Tag?

Nicht viel. Normalerweise bleibe ich auf meinem Zimmer. Ich habe Angst erwischt zu werden. Manchmal treffe ich auch Landsleute. Die haben mich hierher vermittelt, als ich mal krank war. Ich habe mich nicht getraut, etwas zu sagen. Eine Freundin hat es gemerkt und hat mich hierher geschickt. Sie haben mich zu einem Arzt gebracht, der hat mich dann untersucht und mir Medikamente gegeben.

Klare Botschaft auch in Vancouver: Kein Mensch ist illegal! Wie bist du untergebracht?

Ich habe ein eigenes Zimmer.

Warum machst du das?

Meine Familie ist arm. Sie leben von meinem Geld. Sie haben auch das Flugticket und die Agentur bezahlt, die mich zu dieser Familie vermittelt hat. Wenn ich jetzt zurückkehre, wäre meine Familie immer noch verschuldet.

Warum macht die Familie das, für die du arbeitest? Und wie geht sie selber damit um?

Ich weiß nicht. Ich glaube, die mögen mich, zumindest die Kinder. Die lassen mich auch sonst in Ruhe. Ich werde nicht geschlagen oder angefasst.

Aber du wirst doch ausgebeutet!

Was ist wenn andere kommen? Wenn die Familie Besuch bekommt?

Ich soll sagen, dass ich ein Au-Pair-Mädchen bin und in Deutschland mal studieren möchte. Aber wenn Leute kommen, gehe ich immer auf mein Zimmer oder ins Kinderzimmer zu den Kindern.

Was würde denn passieren, wenn du von der Polizei erwischt wirst?

Na, ich müsste wieder nach Hause.

Wie stellst du dir deine Zukunft vor?

Ich weiß nicht. Eigentlich möchte ich wieder zu meiner Familie, aber ich muss auch Geld verdienen.

Wir lassen von einem Rechtsanwalt den Status klären. Gleichzeitig haben sie den Kontakt zu einer Flüchtlingsberatungsstelle vermittelt, wo eine anonyme Beratung erst einmal gewährleistet wurde.

Europa schottet sich ab

Zwar wird in Sonntagsreden gern vom Fachkräftemangel und erleichterten Einreisebestimmungen gesprochen, doch die Realität für nicht ausgebildete Menschen von außerhalb der EU-Grenzen ist extrem prekär. Aufgrund der weltweiten ökonomischen Ungleichheit sind viele gezwungen, ihren Lebensunterhalt und ihr legitimes Recht auf ökonomische Sicherheit und Zukunft außerhalb ihrer Heimat zu suchen. Eine „Armutseinreise“ in die EU sieht die Gesetzgebung allerdings nicht vor. Eine legale Einreise für Menschen aus Nicht-EU-Staaten zur Arbeitsaufnahme ist auf wenige Berufsgruppen beschränkt. Kleidung für die Erste Welt für einen Hungerlohn nähen ja, aber nicht hier. Aus diesem Grund reisen viele dieser Menschen als TouristInnen ein oder werden von Schleuserbanden sowie dubiosen Vermittlungsagenturen ins Land gebracht.

 

Meine zweite Gesprächspartnerin kommt ebenfalls aus einem asiatischen Land. Sie ist seit fast drei Jahren in Deutschland und immer beim selben Arbeitgeber. Sie kam ebenfalls als Touristin nach Deutschland. Nach der Ankunft hat ihr jetziger Arbeitgeber ihr den Ausweis weggenommen und ihr die Papiere seiner gleichaltrigen Tochter überlassen. Bei Kontrollen gibt sie sich als seine Tochter aus, die im Restaurant „mal eben aushilft“. Sie hat zwei Kinder, welche in ihrer Heimat bei den Eltern leben. Auch sie wird juristisch beraten.

 

Wie gestaltet sich deine Arbeit?

Ich arbeite in einem Restaurant in der Küche. Meist 12 bis 14 Stunden am Tag. Ich arbeite sechs Tage in der Woche.

Wie ist deine Unterbringung organisiert? Und wie hoch ist dein Lohn?

Ich bekomme abends eine Matratze in die Küche gelegt. Wenn ich nach Restaurantschluss die Küche sauber gemacht habe. Da wasche ich mich dann auch. Ich bekomme 400 Euro im Monat und mein Essen, manchmal auch etwas Kleidung. Das Geld schicke ich dann nach Hause zu meinen Kindern. Die sind noch klein und gehen in die Schule.

Wie bist du an die Stelle gekommen?

Ich wurde an diese Stelle vermittelt. Sie haben mein Ticket bezahlt. Sie haben gesagt, ich kann in der Küche arbeiten. Als ich hier war, haben sie mir meinen Pass weggenommen. Ich muss das Geld für meine Reise abbezahlen beim Chef. Da ich so aussehe wie seine Tochter, habe ich ihren Pass. Ich dachte, er ist ein Landsmann, das muss doch richtig sein und doch betrügt er mich. Ich habe nicht gewusst, was ich für Rechte habe. 400 Euro sind in meinem Land eine Menge Geld, aber hier ist es nichts. Ich kann meine Kinder nicht sehen, sie nicht besuchen. Was soll ich denn machen?

Was ist dein Wunsch für die Zukunft?

Ich will meine Kinder bei mir haben.

Viele Illegale leben hier isoliert, ständig in Furcht vor Abschiebung. Sie kennen ihre Rechte nicht und können kein soziales oder arbeitsrechtliches Netz aktivieren. Selten werden die NutznießerInnen bestraft. Die Gewinne mit der „Sklavenarbeit“ decken die Strafzahlungen allemal. Aufklärung tut hier Not.

E. A. Homburg

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