Kolumne Durruti

Markus Liske

Die Weltzeituhr auf dem Berliner Alexanderplatz ist nicht nur Treffpunkt für Blind Dates. Jeden Montag stehen hier auch die deutschen Empörer gegen soziale Ungerechtigkeit, Rating-Agenturen und Hedgefonds. Sie werfen keine Brandsätze, wie die Griechen, jagen die Regierung nicht zum Teufel, wie die Araber, und es sind auch keine 300.000, wie eben noch in Tel Aviv oder Madrid. An guten Tagen sind es ca. 30. Es braucht kein Twitter und kein Facebook, um diesen Massenprotest zu organisieren, und Angela Merkel wird weder Panzer noch Wasserwerfer anrollen lassen. Die braucht man hierzulande nur, wenn man Bahnhöfe bauen will. Wenn schwäb‘sche Bäumle fallen, empört er sich schon mal, der Deutsche, und wählt todesmutig die Grünen. Für echten sozialen Aufruhr aber muss man ein bisschen zurückschauen.22 Jahre, würden die Aktivisten an der Weltzeituhr sagen, beziehen sie sich doch auf die Montagsdemos, die seinerzeit einen ganzen Staat hinwegfegten.

Tatsächlich ist der letzte soziale Aufruhr aber erst 20 Jahre her. Am 17. September 1991 ging es in Hoyerswerda los, griff schnell auf weite Teile des Ostens über und erreichte am 16. August 1992 in Rostock die mediale Klimax. Es gab Brandsätze, wie in Griechenland, es gab Tote, wie in Ägypten, und hunderttausende Sympathisanten. Nur jagte man keine Regierung zum Teufel, sondern „Neger“ und „Fidschis“. Und das ist das Problem. Das deutsche „Empört euch!“ stammt von Thilo Sarrazin, und selbst wenn es mal nicht gegen Migranten geht, sucht die soziale Wut den Gegner immer unten, niemals oben. Hiesige Niedriglöhner wollen nicht mehr für sich, sondern weniger für die anderen. Das ist die Crux in diesem Land. Man kann nicht auf Aufruhr hoffen, man muss ihn fürchten.

Andererseits wird auch die schönste Empörung von Börsen und Rating-Agenturen viel effektiver beendet als Panzer das könnten. Ob EU und USA irgendwann merken, dass dabei feindliche Mächte wie Malware auf ihre Systeme zugreifen? I had a dream (nämlich letzte Nacht) und der ging so: US-Präsi Obama hat endlich die Faxen dicke, lässt Standard & Poors, Moody‘s und Fitch von der Nationalgarde stürmen und erklärt das kapitalistische Experiment für beendet. Griechenland, Portugal und Italien treten sofort aus der EU aus und den Vereinigten Staaten bei. China und Russland bezeichnen die USA als neues Reich der Finsternis, und während Merkel noch überlegt, ob Chinesisch oder Russisch neue erste Fremdsprache werden soll, wird sie von Assad als Faustpfand nach Damaskus entführt. Westerwelle putscht sich ins Kanzleramt. Bayern tritt aus der BRD aus und kehrt unter Theo I. zur Monarchie zurück. Selbst Islamisten haben keine Lust mehr auf Steinigungen oder Attentate, so spannend ist jetzt das TV-Programm. Kanzler Guido lässt Märchenkönig Theo noch fix von Leibarzt Rösler im Chiemsee ersäufen, bevor er selbst von den Navy Seals in die psychiatrische Abteilung von Guantanamo verlegt wird, wo Berlusconi und Sarkozy schon warten. Die chinesische Wirtschaft erstickt, mangels westlicher Nachfrage, am eigenen Plastikmüll. Die Russen kehren zum Wodka zurück. Assad gibt sich die goldene Wasserpfeife, sein Nachfolger senkt Merkels Lösegeld auf einen symbolischen Euro, ein Templiner Spargelbauer lässt sich das Schnäppchen nicht entgehen, und endlich ist jeder da, wo er hingehört… Hier endete der Traum. Wäre er weitergegangen, dann wohl mit der sozialen Revolution. Aber ohne deutsche Empörer. Die sollen sich lieber um ihre Bahnhöfe kümmern. Ist sicherer.

Markus Liske

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