In vielen Städten Deutschlands und der Europäischen Union leben seit einigen Jahren EU-BürgerInnen, die nicht die vollen Bürgerrechte zugesprochen bekommen. Mit weitreichenden Konsequenzen.
Dieser Status ist eine Folge des sog. „2+3+2-Modells“. Mit diesem legte die EU im Jahr 2004 bei der EU-Osterweiterung fest, dass für BürgerInnen der neuen Mitgliedsstaaten der Arbeitsmarkt max. sieben Jahre lang beschränkt bleiben soll. Wie dies geregelt würde, blieb den einzelnen Ländern überlassen. Großbritannien, Irland und Schweden öffneten bereits 2004 ihre Arbeitsmärkte für die BürgerInnen aus den neuen EU-Ländern. In Deutschland erhielten Menschen aus Polen, Tschechien, Slowenien, Slowakei, Estland, Lettland, Litauen und Ungarn erst im Mai dieses Jahres die volle „Arbeitnehmerfreizügigkeit“ (siehe DA Nr. 205: Verdumptes Europa). Bis 2014 weiterhin keinen Zugang erhalten Menschen aus Bulgarien und Rumänien, da diese Länder erst 2007 der EU beigetreten sind. Hingegen haben Griechenland, Spanien, Ungarn und Portugal ihnen bereits 2009 den Zugang zu ihrem Arbeitsmarkt gewährt.
In Deutschland bestimmt das Aufenthaltsgesetz, dass die Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden kann, „wenn dies in zwischenstaatlichen Vereinbarungen, durch ein Gesetz oder durch Rechtsverordnung bestimmt ist“ (AufenthG § 39). Weiterhin wird im Sozialgesetzbuch definiert, welche BürgerInnen eine Arbeitsgenehmigung in Deutschland erhalten (siehe SGB III § 284).
Die schlechtmöglichste Behandlung
Hauptbetroffene der Situation sind derzeit Roma aus Bulgarien und Rumänien. Aufgrund der angespannten gesellschaftlichen Lage in vielen osteuropäischen Ländern haben gerade sie oft keine Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt und müssen zunehmend um das Leben ihrer Familien fürchten. Ihre Herkunftsländer und -kommunen begegnen der Bedrohung ihrer Existenz entweder gar nicht oder nur halbherzig. Eine Auswanderung in andere EU-Staaten ist für sie daher eine nahe liegende Option.
Doch an einer Arbeitsgenehmigung hängt z.B. in Deutschland viel. Ist es von Hartz IV betroffenen BundesbürgerInnen zumindest möglich, Unterkunft und Gesundheitsversorgung bezahlt zu bekommen, so fehlt es den RumänInnen und BulgarInnen meist auch hieran. Die Folge davon ist, dass sie genötigt werden, in die Illegalität (Kriminalität, illegale Beschäftigung, Prostitution) auszuweichen, um zu überleben. Eines der wenigen Rechte, die sie haben, ist das Recht, Kindergeld zu beziehen. Bezeichnenderweise denken so manche PolitikerInnen eher darüber nach, wie man ihnen auch dieses Recht streitig machen kann, statt ihnen endlich die grundlegendsten Rechte zu gewähren.
Allein in Kiel etwa leben derzeit zwischen 300 und 1.000 Roma aus Rumänien mit ihren Familien unter z.T. schlimmsten räumlichen und sanitären Bedingungen. Die Städte versagen oftmals die Hilfe, weil sie befürchten, so „Anreize“ für Nachzüge zu schaffen. So wetteifern die Städte an diesem Punkt eher um die schlechteste Behandlung der Roma. Dem Kinderschutz wird dabei häufig nicht genüge getan. Hilfe kommt eher inoffiziell aus Ämtern oder von ehrenamtlichen Organisationen und freiwilligen HelferInnen. So bemüht sich etwa das Medibüro Kiel um die Vermittlung von medizinischer Versorgung für die hier wohnenden Roma, obgleich es sich in erster Linie für Papierlose (also Menschen ohne Aufenthaltsrecht) einsetzt. Inzwischen gibt es eine Liste von rund 40 ÄrztInnen, die Menschen mit einem problematischen Aufenthaltsstatus kostenlos behandeln und damit eine Lücke schließen, die der Staat und die EU hinterlassen haben.
Roma als Sündenböcke
Nicht nur in Deutschland, vielerorts in Europa verschärft sich die Situation der Roma. Erst im vergangenen Jahr hat Frankreich tausende Roma rücksichtslos in ihre Herkunftsländer abgeschoben und damit zerbrechliche Lebensentwürfe von Menschen am untersten Rand der Gesellschaft zerstört. Dabei hatte noch 2009 die EU ihre „Grundsätze“ zur vollen Integration der Roma beschlossen. Diese gelten aber nur für Roma, die eine Arbeitsgenehmigung in einem EU-Land haben.
Daneben hat sich auch in Italien ein besonders unmenschlicher Umgang mit den eingewanderten Roma gezeigt. Roma dienen hier schon lange, wie generell in Europa, rechtsradikalen PolitikerInnen als wehrlose Sündenböcke. Die entsprechenden restriktiven Gesetze werden dabei dazu genutzt, die Xenophobie (Ausländerfeindlichkeit) der Bevölkerung in bürokratische Bahnen zu lenken.
Eine Entrechtung von Teilen der Arbeiterschaft nützt nur den Unternehmern und schafft eine Masse billiger und rechtloser Arbeitskräfte, denen man oft genug den Lohn gar nicht oder nicht in voller Höhe auszahlt. Mangels Sprachkenntnissen und Vertrautheit mit der Rechtslage sind viele nicht über ihre Rechte bei ausstehenden Löhnen informiert. Dabei müssen sie nicht, wie die Papierlosen, befürchten, abgeschoben zu werden, falls ihr Aufenthalt in Deutschland bekannt wird. Dennoch scheuen sich DGB-Gewerkschaften vielerorts immer noch, diesen Ausgegrenzten zu helfen.
Die Medibüros, die es mittlerweile in 29 Städten in Deutschland gibt, zeigen aber auch, dass es viele BürgerInnen gibt, die bereit sind, der Einteilung in gesellschaftliche VerliererInnen und GewinnerInnen etwas entgegenzusetzen. Letztlich gilt es jedoch, tiefer anzusetzen und sich gegen jegliche Form der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt aufgrund der Herkunft einzusetzen.
Thilo Pfennig