Seit Ende Mai dieses Jahres existiert die Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO, vormals Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel). Das Agieren der GG/BO ist hinter Gittern formaljuristisch abgesichert und nicht angreifbar. Wo dennoch Angriffe bspw. gegen GG/BO-Sprecher versucht werden, greift die politische und juristische Gegenwehr. Das schafft die Voraussetzung, damit Knäste seitens der Gefangenen keine gewerkschaftsfreien Zonen mehr sind.
Zwei GG/BO-Forderungen stehen aktuell im Mittelpunkt: erstens der allgemeine flächendeckende gesetzliche Mindestlohn für Gefangenenarbeit und zweitens eine Rentenversicherung für Inhaftierte. Auf Sicht geht es um die Durchsetzung der uneingeschränkten Gewerkschaftsfreiheit in der Unfreiheit der Haft – inklusive Versammlungsfreiheit, Tariffähigkeit und Streikrecht!
Auf welchen Prinzipien gründet die GG/BO?
Gewerkschaftsarbeit tritt im Konkreten höchst unterschiedlich auf. Es gibt eine Vielzahl von Gewerkschaften und Interessenverbänden, die sich für bestimmte Personengruppen und deren Belange einsetzen. Allerdings lassen sich mehrere Wesenszüge benennen, die für eine gewerkschaftliche Tätigkeit charakteristisch sind. Eine Gewerkschaft wie die GG/BO bezieht im Wesentlichen sich auf drei Grundsätze:
1. Das Prinzip der Autonomie besagt, dass die GG/BO eigenverantwortlich und selbstbestimmt auftritt. Das schließt eine Parteilichkeit für die eigenen Interessen ausdrücklich mit ein.2. Das Prinzip der Umgestaltung der Verhältnisse beinhaltet, dass (tiefgehende) Veränderungen angestrebt werden, die zu einer Verbesserung der Situation der (arbeitenden) Gefangenen führen sollen. Neben den beiden Kernthemen (Mindestlohn und Rente) ist auf die Arbeitsbedingungen in den JVA-Betrieben zu zielen. In den Blick ist hierbei vor allem die Akkordhetze in Form der Stücklohnbezahlung in den so genannten Unternehmerbetrieben in den Haftanstalten zu nehmen.3. Und nicht zuletzt orientiert sich die GG/BO auf das Prinzip der Solidargemeinschaft (Zusammengehörigkeit, Gemeinschaftssinn). Auch wenn Inhaftierte aufgrund ihrer Herkunft und Vergangenheit höchst unterschiedlich sind, können sie an ausgewählten Punkten gemeinsame Interessen ausdrücken. Ein Gefühl von Einheit und Genossenschaft kann sich einstellen, was die „Gefangenenfront“ von innen heraus stärkt.
Welche Zielsetzung verfolgt die bundesweite Knast-Gewerkschaft?
Eine Ausweitung der GG/BO auf JVAs im gesamten Bundesgebiet hat – von der JVA Tegel-Berlin ausgehend – schnell stattgefunden. In einem halben Dutzend Knästen kann die GG/BO über ihre Sprecher Präsenz zeigen. In etlichen weiteren bestehen teils enge Kontakte zu Inhaftierten. Das Ziel ist klar: in keiner JVA soll die „soziale Schutzmacht“ der GG/BO fehlen. Des Weiteren sollen mit engagierten GewerkschafterInnen aus den Einzelgewerkschaften des DGB und den Basis-Gewerkschaften FAU sowie IWW enge Kooperationsverhältnisse eingegangen werden.
Die Gewerkschaftsgründung ist eine authentische Initiative aus dem Knast heraus. Darin liegt auch der zentrale emanzipatorische Akt von den Gefangenen. Diese Initiative erhält aber erst durch die zahlreiche und kontinuierliche Unterstützung außerhalb des Knasts ihre zusätzliche erforderliche Stabilität.Sowohl die bestehenden Bündniskonstellationen mit verschiedenen Gewerkschaften als auch der direkte Austausch mit KollegInnen der Unterstützungsgruppen vor den Anstaltstoren wie etwa in Köln und Berlin festigen das lokale, regionale und bundesweite Fundament, auf dem die GG/BO steht.
Volle Gewerkschaftsfreiheit im Knast durch die GG/BO durchsetzbar?
Die GG/BO setzt sich aktiv dafür ein, gegen Lohndumping sowie Hungerlöhne in den Haftanstalten politisch und juristisch vorzugehen. Diese Preisdrückerei wird von den Anstalten zynisch als Wettbewerbsvorteil angepriesen, um sich als besonders günstiger Akteur im Marktgeschehen in Szene zu setzen. Knäste werden so zu Sonderwirtschaftszonen, in denen arbeitsrechtliche Standards faktisch ausgehebelt werden. Konzerne funktionalisieren Knäste als verlängerte Werkbank und lagern bestimmte Tätigkeiten in JVA-Betriebe aus.
Der Kampf gegen prekäre Arbeitsverhältnisse kann nicht vor den Stahltoren der Haftanstalten Halt machen. Es gehört zu den ureigenen Aufgaben selbstorganisierter basisgewerkschaftlicher Initiativen, solche Zustände nicht nur anzuprangern, sondern abzuschaffen. Die Hebung der ökonomischen Klassenlage ist dabei ein Minimalziel.Schlussendlich geht es der GG/BO um die Erlangung aller Gewerkschaftsrechte hinter Gittern, die ihr vorenthalten werden sollen. Das bedeutet, dass inhaftierte und nicht-inhaftierte gewerkschaftliche AktivistInnen nicht auf Arbeitskampfmittel verzichten wollen, die zur „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ geeignet sind. Die Lohnfrage ist hierbei eine zentrale Thematik des wirtschaftlichen Kampfes und die Rentenfrage eine der sozialen Absicherung im Alter.Durchsetzbar werden diese legitimen, zugegebenermaßen sozialreformerischen, Forderungen dann, wenn sich Kräfteverhältnisse innerhalb und außerhalb der Knäste zu verschieben beginnen. Eine Stärkung der GG/BO verschiebt ebendiese Kräfteverhältnisse…
Oliver Rast
Sprecher der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO)