100 Jahre in den Archiven

CNT: Hundert Jahre kämpferisch (Quelle: cnt.es)In
diesem Jahr wird die spanische Confederación National de Trabajo
(CNT-IAA) 100 Jahre alt. Die Organisation wird ihren dreistelligen
Geburtstag, den CeNTenario, in den nächsten 12 Monaten mit
Veranstaltungen, Partys, Konzerten, Ausstellungen und Vorträgen in
ganz Spanien zelebrieren. Beteiligt an vielen dieser Aktivitäten ist
die Stiftung der CNT, die Fundación Anselmo Lorenzo (FAL). Die
Redaktion Globales der Direkten Aktion nahm den CNT-Geburtstag zum
Anlass, ein Interview mit dem Vorsitzenden der Stiftung über die
Aufgaben der FAL im Generellen und im Rahmen der Feierlichkeiten im
Besonderen zu führen.

Manuel
Vicent ist von Beruf Historiker und Archivar. Seit 1978 ist er in der
CNT organisiert, heute im Allgemeinen Syndikat de la Plana in
Castelló (Levante). Er ist ebenfalls Mitglied der Iberischen
Anarchistischen Föderation (FAI) und hatte im Laufe der Jahre in
beiden Organisationen verschiedene Ämter inne. Seit fünf Jahren ist
er Vorsitzender der FAL.


Zunächst mal das Grundlegende, du bist der Vorsitzende der FAL,
welche Funktion hat die FAL im Allgemeinen und was sind deine
konkreten Aufgaben innerhalb der Stiftung?

Manuel:
Die FAL gründet sich auf die Beschlüsse der CNT und es gibt einen
Stiftungsrat, der dafür Sorge tragen muss, dass gegen diese
Beschlüsse nicht verstoßen wird. Der Rat der FAL setzt sich aus dem
Vorsitzenden und weiteren vier Vorstandsmitgliedern, inklusive dem
vom Nationalkomitee delegierten Sekretär, zusammen. Er muss über
die Dokumente der CNT wachen, vor allem über die historischen
Dokumente, und sie schützen und erhalten. Der Stiftungsvorsitzende
und der Delegierte des Nationalkomitees, die beide von der CNT
gewählt werden, ernennen die vier Vorstandsmitglieder des
Stiftungsrates im Konsens. Außerdem muss er die notwendigen
Entscheidungen treffen, damit sowohl die Anfragen von Seiten der
CNT-Syndikate als auch jene von öffentlichen und privaten
Institutionen sowie Einzelpersonen bearbeitet werden, ob sie
bestimmte Dokumente bekommen oder nicht, zu welchen Bedingungen, wenn
Verträge abgeschlossen werden, wie das geschieht. Die Arbeit des
Rates tragen wir alle gemeinsam. Jeder hat zwar praktisch seinen
Aufgabenbereich, aber die Entscheidungen fällen wir gemeinsam, im
Konsens. Der Vorsitzende wird auf zwei Jahre gewählt und kann nach
den aktuellen Statuten zweimal wiedergewählt werden.

Die
FAL bietet außerdem Stipendiatenstellen an, diese fallen ebenfalls
in den Zuständigkeitsbereich des Vorsitzenden. Die Stipendien der
FAL sind die einzigen vergüteten Aufgaben innerhalb der CNT. Man
muss in der CNT aktiv sein, um ein Stipendium erhalten zu können.
Auch um Präsident oder Mitglied des Rates der FAL zu werden, muss
man CNT-Mitglied sein. Die Mitglieder der FAL müssen aber nicht der
CNT angehören. Die Aufgabe des Mitgliedes ist es, unterstützend
tätig zu sein, vor allem finanziell, damit die Stiftung
funktionieren kann.

CNT: Hundert Jahre kämpferisch (Quelle: cnt.es)Mit welchen Institutionen arbeitet die FAL zusammen, wo gibt es
Probleme in der Zusammenarbeit?

Manuel:
Es gibt sehr viele Literaturvertriebe und andere Organisationen, die
sich an die Stiftung wenden, um in ihren Beständen zu recherchieren.
Aber wir haben keine kontinuierliche Verbindung zu irgendeiner
Organisation. In Einzelfällen hatten wir Kontakt zu anderen
gewerkschaftlichen oder politischen Stiftungen, vor allem was die
Rückgabe des historischen Erbes an Dokumenten der CNT angeht, die in
Salamanca aufbewahrt wird, nein, beschlagnahmt ist. Wir unterhalten
Kontakte zu nahe stehenden Zeitschriften, wie der historischen
Zeitschrift „Germinal“, der FAI, was Dokumente betrifft, oder
Fragen zu Filmen, weil viele Filme nicht nur der CNT gehören.

Mit
dem Staat, dem Kulturministerium, haben wir wenig Kontakte. Wir haben
von Anfang an danach gestrebt, dass die Stiftung eigenständig
arbeiten kann. Ganz am Anfang, als die Stiftung keinen Groschen
hatte, wurden ein paar Jahre lang Subventionen des Kulturministeriums
in Anspruch genommen, um die Stiftung mit der notwendigen
Infrastruktur ausstatten zu können. Das haben wir verworfen, weil es
mehr geschadet als genutzt hat und weil uns klar war, dass wir jede
Autonomie gegenüber dem Staatsapparat verlieren, wenn wir anfangen,
von solchen Sachen abzuhängen. Du musst in ein Spiel einsteigen, das
wirklich weder mit dem spanischen Syndikalismus noch mit dem
Anarchismus zu tun hat. Die Stiftung soll sich also über die Gelder
der CNT tragen und über die Beiträge und Spenden ihrer eigenen
Mitglieder.

Große Teile des historischen CNT-Dokumente lagern immer noch im
Archiv für Internationale Sozialgeschichte (IISG) in Amsterdam. Wie
läuft die Zusammenarbeit zwischen der CNT und dem IISG?

Manuel:
Wir unterhalten als Stiftung keine direkten Beziehungen zum IISG. Den
Kontakt hat immer die CNT als Organisation unterhalten, weil ihr die
Archive gehören. Würde die CNT beschließen, sie nach Spanien zu
holen, wären wir die Verwalter dieser Dokumente. Aber wir haben
aktuell schon die Verantwortung für die Mikrofilme, die es von den
Dokumenten gibt.

Das
Ministerium hat uns bei verschiedenen Gelegenheiten bedrängt, die
Archive nach Spanien zu holen. So gab es vor vier Jahren ein Gespräch
mit dem Ministerium und dem Staatsarchiv. Sie wollten die Archive im
Dokumentationszentrum des Historischen Gedächtnisses hinterlegen,
das sie in Salamanca gegründet haben und wo sich auch viele andere
Dokumente der CNT befinden. Das alles zu einem Zeitpunkt, in dem uns
von seiten des Staates das historische Immobilienerbe noch nicht
zurückerstattet worden war, das die CNT bis zum Ende des
Bürgerkrieges besessen hatte. Die CNT bekräftigte ihre Forderung,
dass alles, was uns gehört hat und sie jetzt in ihrer Macht haben,
zurückgegeben werden soll. Von den Dokumenten bis zu den Immobilien
und Konten, die am Kriegsende beschlagnahmt wurden. Vieles davon
befindet sich noch immer in den Hände des Staates. Solange diese
Abrechnung noch aussteht, werden wir nicht anfangen, mit dem Staat zu
reden. Deshalb hat die CNT beschlossen, dass die Archive in Amsterdam
bleiben, bis die CNT als Organisation denkt, dass sie nach Spanien
kommen sollen. Sie waren dort immer gut aufgehoben.

Sind diese Dokumente in Amsterdam öffentlich zugänglich?

Manuel:
Also, im Moment sind viele dieser Dokumente, die es in Amsterdam
gibt, öffentlich zugänglich. Wer sie einsehen will, muss eben nur
nach Amsterdam fahren. Die Mikrofilmkopien, die wir hier haben,
erlauben es aber, dass jeder, der sie hier in Spanien einsehen will,
zur FAL gehen kann. Es gibt ein Betrachtungsgerät für Mikrofilme,
mit dem man von den Dokumenten, die man braucht, Kopien anfertigen
kann. Es gibt aber auch eine ganze Reihe Dokumente, die nicht
öffentlich zugänglich sind, weil die Organisation sie noch nicht
für öffentlich erklärt hat. Aber das sind Sachen, die jünger als
40 Jahre sind. Folglich ist praktisch der gesamte Rest öffentlich
zugänglich. Wir arbeiten gerade an dessen Katalogisierung und
Inventarisierung. Solange der Bestand noch nicht vollständig
katalogisiert und inventarisiert ist, ist es ziemlich schwierig, auf
verschiedene Dokumente zuzugreifen, weil du zwar weißt, dass du sie
hast, aber du weißt eben nicht genau wo.

Die FAL verwaltet ja nicht nur die alten Dokumente, sondern
veröffentlicht nicht nur nebenbei auch regelmäßig eigene Bücher.
Welche Kriterien gibt es dafür?

Manuel:
Für uns ist es am wichtigsten, Bücher über die Geschichte des
Anarchismus, des Syndikalismus und über anarchistische Theorie zu
veröffentlichen. Das sind die Texte, die in der Stiftung Priorität
haben. Wir machen auch literarische Veröffentlichungen, aber im Fall
von Literatur bezahlt die Stiftung einen geringeren Anteil. Wir
streben vor allem an, dass die Stiftung der Verbreitung der Ideen
dient.

Welche Möglichkeiten haben SyndikalistInnen, die nicht in Spanien
wohnen, die Infrastruktur der FAL zu nutzen?

Manuel:
Unser Ziel war anfangs, dass die FAL für die Syndikate hier in
Spanien arbeitet. Aber na ja, wir sind schon auch in anderen
Richtungen offen. Die Beziehung zur IAA ist recht intensiv. Wir
verwahren ihre Archive.

Syndikate
der FAU könnten unter Umständen durch die Bildung einer
“FAL-Delegation” partizipieren. Unsere Idee ist es, dass es in
den Lokalen der CNT eine Außenstelle der Stiftung in Form der
Delegationen gibt. Jeder Forscher, der in den Beständen der Stiftung
suchen will, kann dies dann über die Syndikate tun. Im Fall der FAU
könnte das genauso laufen. Wenn unsere Dokumente inventarisiert und
katalogisiert sind und wir sie auf unserem Server haben und man sie
einfach abfragen kann, könnte man auch in Deutschland ins
Gewerkschaftslokal kommen und die Dokumente abfragen. Es wäre so,
als wenn wir der Server dieser Dokumente wären und der Rest sie
ebenso direkt zur Verfügung stellen würde, so dass die Leute nicht
direkt nach Madrid kommen müssten. Man kann solche Sachen dann über
das Gewerkschaftslokal abwickeln.
Es ist wichtig, dass die
Stiftung nicht nur in Madrid präsent ist und die Beziehung zwischen
ihr und den Syndikaten direkter wird.

Die CNT feiert in diesem Jahr ihr hundertjähriges Bestehen. Welche
Rolle spielt die FAL im Rahmen der Feierlichkeiten?

Manuel:
Die Stiftung arbeitet als eine
Gruppe unter vielen in der CeNTenario-Kommission der CNT mit. Es gibt
GenossInnen, die es gerne gesehen hätten, wenn der gesamte
CeNTenario von der FAL koordiniert worden wäre, aber die
Entscheidung der CNT war es in diesem Fall, eine Kommission zu
gründen, in der die FAL mitarbeitet. Die Stiftung hat momentan einen
Delegierten in der Kommission, der sich vor allem um all das kümmert,
was die Stiftung organisieren und vorantreiben muss. Hauptsächlich
koordinieren wir die Ausstellungen im Rahmen des CeNTenario, da es
sich um historische und dokumentarische Ausstellungen handelt.
Außerdem wurde von uns auch ein Comicbuch zum CeNTenario
veröffentlicht, über Durruti.

Wir
beteiligen uns auch an der Veröffentlichung von “Hundert Jahre,
hundert Fotos”. In diesem Buch werden hundert Fotografien aus der
Geschichte der CNT, mit Kommentaren von hundert Personen zu finden
sein.

Welche Aktivitäten werden im Lokal der FAL in Madrid statt finden?

Manuel:
Unser Stiftungslokal in Madrid ist momentan geschlossen, weil wir
renovieren müssen. Das, was im Moment im Lokal ist, wird danach auf
mehrere Räume verteilt. Wir haben dann eine Bibliothek auf zwei
Etagen mit einer Galerie. Es wird einen Multifunktionssaal geben, der
für Ausstellungen, Konferenzen und Veranstaltungen genutzt werden
kann. Und dann natürlich der wichtigste Teil der Stiftung neben der
Bibliothek: das Dokumentenmagazin. Denn auch wenn wir eine Reihe
anderer Aktivitäten entfalten können, ist und bleibt das das
Wichtigste. Wenn diese Bauarbeiten innerhalb der nächsten Monate
abgeschlossen sind, ist eine ganze Veranstaltungsreihe im Rahmen des
CeNTenario angedacht.

Zuletzt: Welches der Bücher, die die FAL veröffentlicht hat, sollte
deiner Meinung nach auch in Deutschland heraus gegeben werden?

Manuel:
Im letzten Jahr haben wir ein Buch herausgegeben, das „Soziologie
und Anarchismus“ heißt. Es ist ein wichtiges Buch, weil es ein
Werk ist, das aus dem akademischen Bereich kommt und folglich in
solchen Kreisen Anerkennung finden könnte. Für uns ist es wichtig,
dass man anfängt, den Anarchismus in akademischen Kreisen zu
akzeptieren. Dort spricht man wirklich wenig über den Anarchismus.
Weder im Fachbereich Geschichte noch irgendwo anders. Ich hatte meine
Erfahrungen an der Uni hier in Castelló gemacht, als ich dort
gelehrt habe. Es ist es ein Tabu, in diesem Land über die
anarchistische Bewegung zu sprechen, weil es eine Bewegung war, die
traditionell immer viel Zuspruch und Rückhalt in der spanischen
Bevölkerung gefunden hat. Sie haben Angst, dass sie wieder unter den
Leuten Fuß fasst. Dieses Buch finde ich
deshalb wichtig.

Vielen Dank für das Interview.

Interview:
Florian Wagener

Übersetzung:
Daniel Colm

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar