Ein Tanz auf dem Drahtseil

Seit
dem medialen Rummel um die „Generation Praktikum“ gehört es zu
den modernen Binsenweisheiten, dass die Ausbeutung von
PraktikantInnen eher die Regel ist. Der DGB schätzt z.B., dass es
sich bei fast 60% aller Praktika um eine „verdeckte reguläre
Beschäftigung“ handelt. Über die Hälfte der PraktikantInnen
arbeitet dabei unbezahlt, der Rest erhält meist 100 bis 400 Euro.
Die Behauptung des BDA-Vizes Gerhard Braun, Praktika wären für die
Unternehmer eine selbstlose und kostspielige Investition in die
Zukunft, kann ob dieser Tatsachen nur als blanker Hohn verstanden
werden.

Und
doch wagen nur sehr wenige Betroffene Schritte rechtlicher Gegenwehr.
Der erwiesene Grad der Ausbeutung und das Aufkommen an
Praktikantenklagen stehen in einem eklatanten Missverhältnis.
Zuletzt gab es jedoch zwei erfolgreiche Klagen von PraktikantInnen:
Das LAG in Stuttgart gab einer Diplom-Ingenieurin, die als
Praktikantin bei einem Verlag beschäftigt war, Recht und verdonnerte
den Arbeitgeber zu einer Lohnnachzahlung von etwa 7.000 Euro (siehe
DA Nr. 188). Das Gericht sah es als erwiesen an, dass es sich nicht
um ein Praktikums-, sondern um ein Arbeitsverhältnis gehandelt habe.
Ende 2008 erzwang dann ein 20-Jähriger aus Schleswig-Holstein eine
Nachzahlung von über 10.000 Euro. Als „Praktikant“ war
dieser ein Jahr lang in einem Altenheim als Pfleger tätig.

Auch
in Berlin klagte gerade eine ehem. Praktikantin dagegen, zu einem
Wucherlohn ausgebeutet worden zu sein. Die Richterin wies jedoch im
Kammertermin Mitte Januar darauf hin, dass sie die Klage nicht
positiv entscheiden würde. Ausserdem verweigerte sie der Klägerin
die Prozesskostenhilfe. In einem Vergleich wurden ihr lediglich 800
Euro zugesprochen: die Summe der zwei Praktikumsgehälter, die der
Arbeitergeber ihr ohnehin noch schuldig war. Der Fall verdeutlicht
das juristische Dilemma, in dem sich aufmüpfige Praktikanten
befinden.

Agnes
M. war ab März 2008 in der Weddinger Kita „Omas Garten“ als
Praktikantin beschäftigt (400 Euro/monatl.; 40h/Woche). Nach drei
Monaten wurde sie dort gekündigt, weil es zu Konflikten über ihre
Tätigkeiten kam. „Ich musste regelmäßig eine Gruppe von 23
Kindern alleine betreuen und machte die gleichen Arbeiten wie fest
angestellte Erzieherinnen“. Nach der Kündigung war eine Klage
wegen Lohnwuchers für sie eine Selbstverständlichkeit, auch wenn
die unklare Rechtslage Praktikantenklagen zu einem Wagestück machen.

Gerade
die Beweislast war einer der Knackpunkte in ihrem Fall, gibt es doch
keine Aufzeichnungen über ihre Arbeit. Beim juristischen Status quo
müssen klagende PraktikantInnen entweder wie im Fall der Stuttgarter
Praktikantin lückenlose Nachweise über ihre Arbeit vorweisen oder
aber sie sind auf richterliches Wohlwollen angewiesen, wie im Fall
des Pflege-Praktikanten, wo das Kieler Gericht vom Arbeitgeber die
Darlegung eines Ausbildungsplanes verlangte, den es niemals gab.

Kompliziert
wird die Sache v.a. noch dadurch, dass die Tätigkeit einem
Berufsprofil mit feststellbarer üblicher Vergütung zuordenbar sein
muss. Der Anwalt von Agnes versuchte es hierbei mit dem für
anerkannte Erzieher geltenden Tarifvertrag (TVöD/VKA). Laut
Richterin habe die Klägerin aber das Aufgabenprofil einer
ausgebildeten Erzieherin nicht vollständig abgedeckt. Dass sie nicht
mit allen diesbezüglichen Kompetenzen ausgestattet war, steht
eigentlich außer Frage. Tatsache aber ist, dass ihr allein die
ständige Betreuung einer gesamten Kindergruppe oblag, während die
eigentlich Zuständigen anderen Arbeiten nachgingen. Für Agnes liegt
auf der Hand, dass sie als billige Hilfskraft in der Kita eingesetzt
wurde: „Schließlich ging eine der wenigen Erzieherinnen nach
meiner Einstellung in den Mutterschaftsurlaub, ohne durch eine
Fachkraft ersetzt zu werden.“ Auch allgemeine Fakten sprechen für
die Klägerin: Denn dass gerade in den Berliner Kitas, die chronisch
unterfinanziert sind, ohne Praktikantinnen nichts läuft, ist ein
offenes Geheimnis.

Dass
das Gericht nur zwischen Alles-oder-Nichts optieren kann, zeigt die
Klemme solcher Eingruppierungsklagen. Kenner schätzen, dass 90%
dieser Klagen verloren gehen, i.d.R. weil die Anwälte schlecht
vorbereitet sind und sich z.B. auf das falsche Berufsprofil beziehen.
Im Falle von Agnes M. muss das Anwaltsvorgehen noch kritisch geprüft
werden.

Ein
Versuch war es dennoch wert. Solche Prozesse müssen geführt werden,
um die Arbeitgeber nicht weiterhin zu dieser Praxis zu ermuntern. Die
rechtlichen Möglichkeiten dürfen dabei allerdings nicht überschätzt
werden. Eine Verbesserung der gesetzlichen Lage in diesem Bereich mag
zwar wünschenswert sein, kann aber nicht der alleinige Fokus
gewerkschaftlicher Bemühungen (so z.B des DGB) sein. Vielmehr müssen
die Gewerkschaften ihre Rolle als Konfliktakteur wahrnehmen und unter
Einbezug von Stammbelegschaften und ihrer betrieblichen Macht gegen
das strukturelle Problem des Praktikumsmissbrauchs direkt vorgehen.
Dafür plädiert zumindest „Keine Arbeit ohne Lohn!“. Auch Agnes,
die mittlerweile der FAU Berlin beigetreten ist, hat Konsequenzen
daraus gezogen: „Das nächste Mal würde ich meine Forderungen
direkt über eine kämpferische Gewerkschaft durchsetzen.“

Holger
Marcks

Für
weitere Infos siehe: www.keine-arbeit-ohne-lohn.de

 

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