Von der unendlichen Tragödie der Menschlichkeit

Zum Hintergrund des Films

„Diese
Nacht – La Nuit de Chien“ wurde in 9 Wochen immer nur nachts
gedreht. Als fiktiver Ort „Santa María“ fungierte die
nordportugiesische Stadt Porto. Der Film basiert auf dem
gleichnamigen Roman Carlos Onettis aus Uruguay; das Buch wurde
erstmals 1943 veröffentlicht – ein zeitgeschichtlicher Hinweis,
der im Film nur zaghaft aufgegriffen wird. Vielmehr hat Werner
Schröter den Film so inszeniert, dass das Geschehen im Film zeitlich
nicht einzuordnen ist. Überhaupt dürfte jeder Mensch in „Diese
Nacht“ etwas anderes sehen; allerdings sagte Regisseur Schröter in
einem Interview mit der Zeit ausdrücklich, dass er gegen eine
politische Lesart des Films nichts einzuwenden habe.

Als
künstlerischer Veteran des radikalen Flügels der 68er Bewegung ein
wichtiger Hinweis Schröters. Die Portugiesisch/Französisch/Deutsche
Produktion „Diese Nacht – La Nuit de Chien“ kommt am 2. April
bei uns in die Kinos.

Für
Werner Schröters neuesten Film „Diese Nacht“ (französisches
Original: La Nuit de Chien) sind Zeit und Ruhe vonnöten – und vor
allem die Bereitschaft, sich an ihm abzuarbeiten.

Die
Kamera fährt an dem monumentalen Ölgemälde entlang. Zuerst ist ein
Teufel zu sehen, Seite an Seite mit einem König. Dann tauchen Kinder
und Hunde auf. In der Mitte ein umgedreht liegender, getöteter
Jüngling, an seinen Seiten eine Frau und ein Mann mit bluttriefenden
Messern, am rechten Rand ein Musiker – dann schwenkt das Bild in
Nahaufnahme auf den Teufel zurück. Wer diese Wanderung der Kamera
nur als Hintergrund für den Vorspann wahrnimmt, begeht schon einen
Fehler. Denn „Diese Nacht“ wird sich als kinematografische
Annäherung an die Malerei herausstellen.

Eine
Katastrophe ohne Zeit und Raum

Ja,
Luis Ossarío Vignale, Hauptperson in diesem filmischen Gemälde,
lächelt, als er aus dem Zug steigt. Er ist auf dem Weg zu Clara,
seiner großen Liebe, er schwingt übermütig seinen Hut, und ein
kleines Mädchen hält Blumen für ihn bereit. Doch er wird Clara
nicht antreffen; nie wieder. Die ganze Nacht lang wird Vignale die
Liebe suchen, mitten in der Apokalypse, die über der Stadt
hereinbricht, doch finden wird er Verzweiflung, Elend, Tod.

Die
Handlung von „Diese Nacht“ ist damit bereits so weit wie möglich
als stringenter Faden wiedergegeben, denn wie in einem Traum werden
Zeit und Raum nur schemenhaft angedeutet, genauso wie die Gründe für
das Verhalten der vielen Personen, die mit den stark betonten Motiven
des Films – z.B. den Kreuzen und Jesusabbildern in der
Folterzentrale der Geheimpolizei, den teilnahmslos dreinblickenden
Kindern oder den Blumen in den Straßen – zu einer Einheit zu
verschwimmen scheinen. So sehr sich die Charaktere des Films auch
gegenseitig bekriegen, vor einander flüchten oder verstecken, sie
alle sind trotz der Unterschiede in Macht und Geld, wonach sich alles
zu richten scheint, der gleichen Unausweichlichkeit des sicheren
Endes ihrer Welt ausgesetzt, die längst schon die Hölle ist. Sie
können die Leinwand, den Rand des Bildrahmens, der sie einsperrt,
nicht verlassen.

Realität,
gemalt in düsteren Farben

Luis Ossorío Vignale (gespielt von Pascal Greggory) durchstreift die Apokalypse seiner Zivilisation

Die
Überzeichnung der Charaktere und Motive macht früh klar, dass es
die metaphorische Ebene ist, die in diesem Film den Sinn gestaltet.
Die einzelnen Elemente, die in dem Werk vorkommen, könnten die
Zutaten eines kitschigen Abenteuerromans sein: Eine Stadt mit dem
romantischen Namen „Santa María“, eingeschlossen von den Armeen
des gefürchteten General Fraga. Hauptperson Vignale, ein
hoffnungslos verliebter Chirurg und Kriegsheld. Oder Bösewicht
Morasan, ein schöne Frauen folternder Geheimpolizist. Doch der Film
schafft es, gerade durch diese Romantisierung Verwirrung zu stiften.
Konsequent wird die Frage nach einem „Warum“ zwar aufgeworfen,
doch nie beantwortet: Da wird kurz von alten Idealen, für die noch
Widerstand geleistet werden müsse, geredet – doch welche das sind,
bleibt unerwähnt. Der gestürzte Revolutionär Barcala betont
gegenüber Vignale, er sei immer noch ehrenhaft, während er den
Flüchtlingen die Tickets für die rettende Überfahrt vorenthält.
Was für eine Revolution war das? Und der Krieg – wieso ist er
ausgebrochen? Die Antwort des Films ist so trivial wie verstörend:
Es spielt keine Rolle. Alle Menschen haben ihr Schicksal an ein
System verloren, das sie von vorneherein chancenlos ließ, ganz
gleich, ob wir sie moralisch als „gut“ oder „böse“
beurteilen.

Die
Kunst – eine verprügelte Hure

Es
gibt einen Ort, auf den sich alle Personen immer wieder beziehen. Es
ist das „First & Last“, ein Nachtclub im edlen Kolonialstil.
Hier haben diejenigen, die nicht in die Welt des Militärs, der
männlichen Brutalität passen, einen letzten Zufluchtsort gefunden.
Sie erkaufen sich ihren Luxus an Alkohol, Rockmusik und feinen
Kleidern durch erotische Dienste an Soldaten und Politikern. Im
„First & Last“ hält sich am Anfang des Films noch ein
letzter Hauch von dem, was den Menschen einst Freude bereitete,
Poesie, Literatur, Musik, Ästhetik. Doch alle, die sich hier
versteckt hielten, finden den grausamen Tod in Morasans Folterzellen.
Dort, wo in anderen Filmen der Künstler der auswegslosen Situation
trotzig entgegen lächelt, wo eine geknechtete Dichterin mit einem
einzigen Vers ihren Peinigern deren Verkommenheit vorhält und
deshalb in Wahrheit doch noch siegt, da bleiben Regisseur Werner
Schröter und Drehbuchautor Gilles Taurand erbarmungslos. Bei ihnen
gehen die Menschen vor Schmerz schreiend und vor Trauer wimmernd
unter. Als einziger, zynischer Trost erscheint ein den Film an Anfang
und Ende umrahmendes Zitat von Shakespeare: „Von allen Wundern, die
ich je gehört, scheint mir das größte, dass sich die Menschen
fürchten; da sie doch sehen, der Tod, das Schicksal aller, kommt,
wann er kommen soll.“

Marcus
Munzlinger

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