„Eure Krise zahlen wir nicht…“

Die erdrückende Hitze des Monats
August hing noch über den Hängen des Appennins und erstickte
Metropolen wie Mailand und Rom, da machte es bereits die Runde, dass
auch die folgenden Monate keine wirkliche Linderung bringen sollten:
der Herbst sollte ein heißer werden.

Der Ferienmonat August war zwar noch
von der üblichen Flucht in die Berge oder ans Meer gezeichnet. Dem
einen oder der anderen mag es jedoch als Feuerpause gegolten haben im
Klima des verschärften Rassismus, eines geschürten Krieges zwischen
den Armen und des Sicherheitswahns, der sowohl von der Regierung
Prodi als auch der neuen Regierung Berlusconi vorangetrieben wurde.
Auch wenn die Ignoranz und Politikverdrossenheit großer Teile der
Bevölkerung, das allseits in der Politik gefeierte „Ende der
Ideologien“ – was die politischen Lager nunmehr offiziell
lediglich in „vulgär“ und „weniger vulgär“ unterteilte –
sowie die immer unerträglicher werdende Prekarisierung der
italienischen Arbeiterschaft wenig Hoffnung gaben: irgendetwas musste
geschehen.

Etwas bewegt sich

Im Laufe des Jahres erreichten uns
immer wieder erschreckende Nachrichten aus Italien: Die
Pogromstimmung gegen Rumänen und Roma, wiederholte faschistische
Gewalttaten, die Wahl des (Post-)Faschisten Gianni Alemanno (Alleanza
Nazionale) zum römischen Bürgermeister, mit Sondervollmachten zur
Garantierung der öffentlichen Sicherheit, zum Einsatz des Militärs
im Innern zu eben diesem Zwecke und nicht zuletzt die rassistisch
motivierten Morde in Mailand und Castelvolturno. Im Gegenzug machte
die antirassistische Demonstration am 4. Oktober in Rom, flankiert
von weiteren Demonstrationen in anderen Städten, einen ersten großen
Schritt in Richtung dessen, was der Herbst noch zu bieten haben
sollte.

Fast zur gleichen Zeit machte ein
weiteres Phänomen von sich reden: die SchülerInnen und Studierenden
der sog. „Onda Anomala“, der anomalen Welle, die ihrem Ärger
über die geplante Bildungsreform Luft machten. Die „Anomalie“
ist dabei Programm, zeichnete sich doch diese Bewegung, die von
Beginn an versuchte, sich in kein politisches Lager rücken zu
lassen, durch durchaus radikale Aktionen aus – wie der Besetzung
von Hochschulen, Vollversammlungen und relativ weitreichenden
Forderungen. Dieser anarchisch-apolitische Charakter der Bewegung
führte sicherlich zu Problemen, mehr noch zeigte er allerdings
gravierende Probleme innerhalb der italienischen Linken auf.

So ist auch in Italien – ungeachtet
starker libertärer Traditionen – „linke“ Politik vornehmlich
mit Parteien und ihren außerparlamentarischen Transmissionsriemen
verbunden. Die massiven Versuche der politischen Rechten, die
Kommunisten für jedwedes Elend Italiens in die Verantwortung zu
ziehen, um so v.a. vor der Jugend von den eigenen Verantwortungen
abzulenken, sind sicherlich nicht außer Acht zu lassen. Jedoch sind
viele Probleme hausgemacht. So beteiligte sich die „Onda“ zwar am
„generalisierten“ Generalstreik der Basisgewerkschaften am 17.
Oktober. Zu groß bleibt dennoch das nicht unberechtigte Misstrauen,
über die Basisgewerkschaften solle der verlorene Einfluss der sog.
radikalen Parteien wiedergewonnen werden.

Im Gegensatz zum üblichen
Gegen-Generalstreik der reformistischen Troika, sah sich die ehemals
kommunistische CGIL für den 12. Dezember gezwungen, im Alleingang
anzutreten, da es CISL und UIL bevorzugten, sich auf die Seite der
Regierung zu schlagen. Diese hielten den Streik mit den Worten des
Premiers „für das Gegenteil von dem was man [gegen die Krise] tun
müsse“. Dafür wurde die CGIL von ungewohnter Seite flankiert, da
auch die Basisgewerkschaften CUB, COBAS und SDL, ebenso wie die
USI-AIT, jeweils mit eigenen Forderungen, erneut einen 24-stündigen
Generalstreik ausriefen und die „Onda“, migrantische
Organisationen, Rentner und Erwerbslose zu den Demonstrationen
mobilisierten. So gingen am 12. Dezember schließlich ca. 1,5 Mio.
Menschen auf die Straße.

Ein Streik und seine Folgen

Bereits im Vorfeld wurden Diskussionen
geführt, ob man der CGIL durch eine Beteiligung nicht die Kartoffeln
aus dem Feuer hole, indem man den Mitschuldigen an sämtlichen
Verschlechterungen für die Arbeiterinnen und Arbeiter Italiens
Beteiligungsstatistiken verschafft, die sie allein nie
zustandegebracht hätte. Denn die CGIL wurde nicht nur von CISL und
UIL im Stich gelassen, sondern auch von den ehemaligen Leuten der
Partito Comunista Italiano (PCI), die mit ehemaligen Christdemokraten
in Walter Veltronis Demokratischer Partei (PD) aufgegangen sind.

Ausschlaggebender für die relativ hohe
Beteiligung scheint vielmehr das symbolträchtige Datum: Der 12.
Dezember ist der Jahrestag des 1969 in Mailand an der Piazza Fontana
von Faschisten verübten Bombenattentats. Es wurde anschließend der
anarchistischen Bewegung angelastet und markiert somit den Beginn der
sog. „Strategie der Spannung“ zur Zerschlagung der radikalen
Linken von ’68/69. Deren erstes Todesopfer sollte das auf bis heute
ungeklärte Weise aus dem Fenster des Mailänder Polizeipräsidiums
gefallene USI-Mitglied Giuseppe „Pino“ Pinelli sein.

Die 68er-Vergleiche mit der
Studentenbewegung und markige Worte zur Strategie der Spannung hatten
die Situation schon vorher aufgeheizt. Zudem jährte sich am 6.12.
zum ersten Mal der verheerende Brand bei Thyssen- Krupp in Turin, und
direkt am Vortag starb ein polnischer Arbeiter in einem berüchtigten
Stahlwerk im süditalienischen Taranto, in dem in nur 15 Jahren
bereits 44 Arbeiter zu Tode kamen. Eine hohe Streikbeteiligung
wundert vor diesem Hintergrund kaum. Mit einer kritischen Bewertung
nicht nur der gemeinsamen Initiative mit der CGIL, sondern vor allem
der Ritualisierung des Generalstreiks durch die Basisgewerkschaften,
dem hierdurch das ökonomische Druckpotential fast vollends verloren
geht, stehen die italienischen SyndikalistInnen allerdings so gut wie
allein da. Vielleicht kann es hier gelingen, eine Tür zu öffnen,
die andere längst zugeschlagen haben.

Lars Röhm

 

Nachtrag: Tödlicher Arbeitsunfall

Am Vortag des landesweiten
Generalstreiks vom 12.12. kam im berüchtigten Stahlwerk ILVA im
apulischen Taranto ein polnischstämmiger Arbeiter zu Tode, nachdem
er 15 Meter in die Tiefe gestürzt war. Dadurch erhöht sich die
traurige Statistik der tödlichen Arbeitsunfälle bei der ILVA auf 44
in nur 15 Jahren. Dabei hat es die ILVA nicht nur durch die hohe Zahl
an Todesfällen, sondern auch durch verheerende Zerstörungen in der
lokalen Umwelt durch Dioxinemissionen zu trauriger Berühmtheit
gebracht. Generell bleiben tödliche Arbeitsunfälle in Italien ein
herausragendes Problem. Während statistisch gesehen Italien mit
durchschnittlich 10,3 Morden pro 1 Mio. Einwohner eines der
sichersten Länder Europas ist (der EU Durchschnitt liegt bei 14),
bleibt das Land mit 3 tödlichen Arbeitsunfällen pro Tag (ca.
1.200/Jahr) europäisches Schlusslicht. Vor allem die Prekarisierung
der Arbeitsverhältnisse und das hohe Ausmaß an unqualifizierter
Arbeit sind dabei in Betracht zu ziehen. Anstatt sich jedoch dieses
„Krieges gegen die Armen“ anzunehmen, versucht die Regierung,
entgegen aller statistischen Daten, die Angst vor Krimnalität und
somit den „Krieg unter den Armen“ zu schüren.

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