„Musik ist ein revolutionäres Moment“

Zum Repertoire der möglichen Formen,
sich in eine politische Auseinandersetzung zu begeben, werden meist
Streiks, Demonstrationen, Infotische, Flugblattaktionen oder
Ähnliches gezählt. Abgesehen von Streiks haben die meisten somit
vor allem das Ziel, möglichst viele Menschen in einer möglichst
kurzen Zeitspanne mit dem bestimmten Anliegen zu erreichen. Doch in
einer Zeit, in der die Menschen tagtäglich einer Flut von
Werbeprospekten gegenüberstehen, werden „Flugis“ oft nicht als
solche erkannt, und die sie Verteilenden erscheinen als eine Gruppe
von vielen, die die ohnehin überfüllten und Stress verbreitenden
Innenstadtstraßen noch als zusätzlicher Reiz- und Stressfaktor
bevölkern.

Um dennoch irgendwie aufzufallen,
helfen einer Aktion/Demonstration nur zwei Tatsachen: Entweder sie
verfügt über viele TeilnehmerInnen und sorgt so für entsprechend
Aufmerksamkeit, oder sie verlässt eben den Rahmen konventioneller
politischer Aktionen. Hierbei gilt: Je kreativer, desto besser.

Aus Parolen neue
Handlungsmöglichkeiten werden lassen

In diesem Kontext nehmen Floskeln wie
„die Verhältnisse zum Tanzen bringen“ oder „wenn ich nicht
Tanzen kann, ist es nicht meine Revolution“ eine feste Form an. Wo
getanzt und musiziert wird, ist das Eis zu den zu Erreichenden
schnell durchbrochen und es fällt diesen leichter, stehen zu bleiben
und sich dem Anliegen zu öffnen. Die fesselnde Wirkung von Musik ist
kein Geheimnis, und seit Jahrtausenden ein Dorn im Auge der
vorherrschenden Verhältnisse. Man könnte gar sagen, die Geschichte
der Musik ist eine politische Geschichte. Schon Platon erkannte in
seinem Werk res publica in ihr eine „Gefahr“, die die höchsten
Gesetze des Staates „ins Wanken“ bringen kann. Er plädierte
schon damals dafür, dass „dort (bei der Musik) die Wächter ihr
Wachhaus“ bauen sollen. Er erkannte die subversive Gefahr, „dass
sie sich allmählich festsetzt und heimlich auf den Charakter und die
Fähigkeit überträgt, dann weiter und offener um sich greift und
das bürgerliche Leben vergiftet, dann mit großer Frechheit die
Gesetze und die Verfassung angreift, bis sie schließlich alles
zerstört“. Im Umkehrschluss sah er in der Musik aber auch ein
Mittel für die Stabilisierung der Herrschaft, und die bereits
genannten Wächter hätten daher auch die Aufgabe, dafür Sorge
zutragen, dass die Musik daraufhin ausgerichtet sei.

Kampf um das Wesen der Musik

Auf dieses Wissen wird bis ins heutige
Jahrhundert zurückgegriffen. Nationalhymnen bieten
Identifikationsmöglichkeiten zur jeweiligen Nation, bekennen den
Stolz zu ihr und dienen der Etablierung und Festigung der
Sittlichkeit und erwünschter staatsbürgerlicher Tugenden. In der
Kirche nimmt Musik eine Trost spendende, aber auch mahnende Stellung
ein und dient auch hier als Transmitter religiöser Normen und Werte.
In der NS-Zeit galt dieses dann als artige Kunst, die es galt, von
der entarteten zerstörerischen Kunst zu selektieren und zu schützen.
Im DDR-Sozialismus wiederum wurde alles, was nicht den konservativen
Konventionen der Herrschenden entsprach, verteufelt – Rock und
Beatmusik galten als westliche Vorboten des Kapitalismus.

Alle Versuche, repressiv gegen
unbequeme Musik vorzugehen, spiegeln deutlich die Angst vor ihrer
revolutionären Wirkung wieder. Auch heute landen viele Lieder auf
dem Index der Bundesprüfstelle für (jugend-)gefährdende Medien,
und (politische) Straßenmusik sieht sich einer stetig wachsenden
staatlichen Repression ausgesetzt. In einigen Regionen wird sie sogar
als Schwarzarbeit gewertet und führt dazu, dass Arbeitslosen
aufgrund des Hutgeldes die Bezüge gekürzt oder gestrichen werden.
Dennoch oder gerade deshalb gehen immer mehr Gruppen und
KünstlerInnen auf die Straße und trotzen den Verhältnissen.

Ende der 70er entstand im Zuge der
großen politischen und sozialen Bewegungen (insbesondere der
Anti-Atomkraft-Bewegung) die Rotzfreche Asphaltkultur. Sie fungiert
als eine Art loser Dachverband von StraßenkünstlerInnen, die sich
hauptsächlich auf der Straße und im öffentlichen Raum präsentieren
und meist politische und sozialkritische Inhalte transportieren. Das
Besondere an dieser Organisation ist bis heute ihre Offenheit, es
wird auf Statuten, Mitgliedsbeiträge und Vorsitzende verzichtet, und
dabei sein kann jede Person, die sich zugehörig fühlt. Oftmals
treten solche Künstler unterstützend im Rahmen politischer
Veranstaltungen auf, und tragen damit zu einer erfolgreichen
Aufwertung dieser bei. Zum Schluss möchte ich noch Rio Reiser
zitieren, der einst in einem Interview zutreffend folgerte: „Musik
ist ein revolutionäres Moment“. In diesem Sinne raus auf die
Straßen!

Lukas Johannsen

 

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