Fauler Fisch am Telefon

Unternehmen wie die oben beschriebene
Firma DSaF, aber auch viele CallCenter, setzen auf die vermeintliche
oder wirkliche Selbständigkeit derer, die bei ihnen schuften müssen.
Viele dieser Unternehmen zahlen einen versteckten Akkord, indem sie
z.B. neben einem magersten Grundlohn nur pro Anruf oder pro positivem
Geschäftsabschluss zahlen.

Dabei ist der Begriff „Lohn“ oft
juristisch nicht korrekt. Den bekommt man nämlich dafür, dass man
seine Arbeitskraft verkauft. In vielen Klitschen der
Kommunikationsbranche bekommt man stattdessen „Honorare“, man sei
nämlich selbständig und veräu ßere seine Arbeitskraft gar nicht,
sondern setze sie selber nach Belie ben ein. Demnach ist man kein/e
Arbeite rIn (oder Angestellte/r), sondern, wie es in neoliberaler
Diktion so schön heißt: „Unternehmer seiner eigenen
Arbeitskraft“. Das ist natürlich Unsinn. Denn ganz offensichtlich
arbeiten die Leute nicht unternehmerisch oder für sich, sondern für
eine Firma.

„Scheinselbständigkeit“ im juristi
schen Sinne ist das trotzdem zumeist nicht. Denn diese
„Arbeitskraftunternehmer“ könnten ja jederzeit noch eine wei
tere Arbeit oder Honorarstelle in einem anderen Betrieb annehmen.
Ganz findige Firmen haben daher in ihren Honorarverträgen eine
Klausel eingebaut, dass beide Vertragsseiten sich der Problematik der
Scheinselbständigkeit bewusst seien und beide bestätigen könnten,
dass es sich hier nicht um eine solche handele. Juristisch gelten die
meisten Selbständigen tatsächlich als solche, wenn sie ihre
Arbeitszeiten und den Arbeitsplatz selbst bestimmen können oder
sogar die Möglichkeit haben, ihrerseits weitere Personen zur
Ausführung des Auftrags anzuheuern.

Das ist blanker Hohn. In vielen Fällen
ist es schon die Höhe der Arbeitszeit, die einen weiteren Ho
norarvertrag verhindert. Es gibt aber auch die Fälle der
„Selbständigen“, die drei oder sogar fünf Honorarver träge
haben – und somit schon aus organisatorischen Gründen nie Urlaub
und kaum Wochenenden. Oder es gibt diejenigen Prekären, die neben
ihrer Honorartätigkeit umsonst oder für einen Hungerlohn an der
Hochschule lehren oder for schen, in der Hoffnung, dort eines Tages
Karriere zu machen.

Effektive Hinterlist

Der Hauptzweck dieser Schein
selbständigkeit – bleiben wir ruhig bei dem Begriff, denn auch
wenn er juristisch falsch sein mag, beschreibt er das
Arbeitsverhältnis passend – ist die Einsparung der sog.
„Lohnnebenkosten“, auch so ein Neusprechbegriff, denn es handelt
sich keineswegs um Nebenkosten, sondern um einen rechtlich ver
brieften Bestandteil des Lohns (und eben nicht des Honorars). Wie dem
auch sei: Der Arbeitgeber spart sich durch die Scheinselbständigkeit
Steuern und Versicherungsbeiträge. In den meisten Fällen versichern
die Scheinselbständigen sich selber und müssen dann eben von ihren
mageren Honoraren auch noch die komplette Krankenund Pflegever
sicherung zahlen. Ebenso müssen sie sich selber um die Steuern
kümmern – allerdings dürfte der Verdienst in den meisten Fällen
so gering sein, dass die sowieso nicht anfallen. Damit spart der
Arbeitgeber auch noch in der Personalabteilung, denn den ganzen
Papierkram erle digen seine Arbeitskräfte ja selber. Statt einer
Personalabteilung gibt es dann eben „Hu man Ressource Manager“
(sic!), die auch nichts anderes machen, als Schichten einzuteilen und
Arbeitskräfte zu gängeln. Der findige Unternehmer spart aber noch
mehr ein mit seinen Scheinselbständigen: Zeit. Denn bezahlten Urlaub
(oder gar Urlaubs- und Weihnachts geld) bekommen diese natürlich
auch nicht.

Kurz und gut: Der Unternehmer befreit
sich von allen Pflichten und die Arbeitskräfte von allen Rechten.
Das gilt nicht zuletzt für das Koalitionsrecht, also das im
Grundgesetz verbriefte Recht, Ge werkschaften zu gründen. Letzteres
wäre gerade in diesen Klitschen von Wichtigkeit. Denn die ganzen
„Arbeitskraftunternehmer“ haben untereinander kaum mehr
miteinander zu tun: Man trifft sich zufällig im Großraumbüro, in
dem man seinen Aufträgen nachgeht, und hofft, dass die anderen nicht
die Quote (den Akkord) kaputt machen. Die Scheinselbständigen nehmen
sich i.d.R. als Konkurrenz wahr.

Ein Quäntchen Trost

Immerhin hat ein (Schein-)Selbständiger
formell keinen Chef. Wann, wo und wie die Honorartätigkeit
ausgeführt wird, liegt eigentlich in seiner Entscheidungsgewalt. Der
Auf traggeber ist nicht weisungsbefugt. Soweit möglich, sollte das
unbedingt ausgenutzt werden! Dieser kleine Haken am System der
Selbständigkeit ist jedoch nur äußerst begrenzt nutzbar, denn die
Tätigkeit hängt meist nicht nur von der „Humanressource“,
sondern auch von den Produktions mitteln ab: Telefonen mit Headsets,
Computern mit bestimmten Pro grammen usw., die einen an den Ort
CallCenter binden. Ansonsten hieße das: Stellt eure
Produktionsmittel selber! Darüber hinaus treibt der versteckte
Akkord (die Zahlung pro Anruf bzw. pro Abschluss) dazu, die Arbeit so
durchzuführen, wie der Arbeitgeber sich das vorge stellt hat.

Wer also glaubt, man wäre selb ständig
freier als in der klassischen Situation des Arbeiters, hat sich
geschnitten. Ganz im Gegenteil: Die mageren paar Rechte, die den
Arbei tenden zugestanden werden, sind den Selbständigen verbaut. Nur
wenn sich der Arbeitgeber auch offensichtlich als solcher gebärdet
und z.B. Abmah nungen verteilt (wenn er nicht direkt „rauswirft“,
indem er einfach keine Aufträge mehr vergibt), ist das mindestens
ein Fall für den Anwalt. Wer sich hier den Weg zum Anwalt nicht
direkt traut, hat einfache, legale und kostenlose Mittel, den Boss
unter Druck zu setzen: Die Statusfeststellung bei der Rentenkasse. Da
wird so mancher Jungunternehmer bleich.

Und wenn viele Selbständige zu diesem
einfachen und oft sogar im Honorarvertrag vorgesehenen Mittel
greifen, kann dem Unternehmen auch mal eine Steuerüberprüfung ins
Haus stehen. Unter solchem Druck hat z.B. der Online-Jura-Verlag
LexisNexis viele seiner Verträge in reguläre Arbeitsverträge
umgewandelt. Auch das CallCenter DT&P GmbH in Münster stolperte
bei ihrem Insolvenzverfahren darüber, dass Insolvenzverwalter und
selbst die Arbeitsagentur die Selbständigkeit der dort Arbeitenden
nicht anerkannte. Klar, die ARGE möchte diese Leute demnächst nicht
alle mit ALG II versorgen müssen.

Erik Dickmann

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