„Die Idee, selbst zu entscheiden, bringt die Leute zu uns“

Neben der Confederación Nacional
del Trabajo (CNT) ist die Unione Sindacale Italiana (USI) eine
weitere syndikalistische Organisation in Europa, welche auf eine
lange und ereignisreiche Geschichte, bittere Niederlagen und
glorreiche Siege zurückblicken kann. Nachdem wir in der letzten
Ausgabe, die aktuelle Lage der CNT am Beispiel ihrer Lokalföderation
in Sevilla beleuchteten, wenden wir uns in dieser Ausgabe der USI zu.
Gesprächspartner war Cesare Copeta aus Brescia. Er ist Mitglied der
Kommission für internationale Kontakte der USI und gehört der
Sektion Post in seiner Heimatstadt an.

Die USI ist eine der großen,
historischen Sektionen der IAA. Wie sieht die Situation für die USI
aktuell aus? Wo seid ihr verankert?

Cesare: Heute sind wir
ca. 1.000 zahlende Mitglieder und 500 SympathisantInnen. Die meisten
unserer Sektionen befinden sich im nördlichen Zentrum Italiens, was
auch die industriellen und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen
Nord- und Süditalien widerspiegelt. Wir haben landesweite
Branchengewerkschaften bei der Post, im Gesundheitswesen, in den
Schulen, den lokalen Verwaltungsbehörden, der Metallindustrie, im
Handel, bei sozialen Diensten und im Handwerk.

Welche Kämpfe führt Ihr
momentan? Was für Leute wenden sich für gewöhnlich an die USI und
aus welchen Gründen kommen sie zu euch?

Cesare: Das letzte Jahr
ist für die USI sehr intensiv gewesen. Wir haben zwei landesweite
Generalstreiks zeitgleich mit einigen Basisgewerkschaften, allerdings
mit eigenen Forderungen, ausgerufen. Es gab den Kampf für die
Verteidigung des selbstverwalteten Projektes Libera in Modena, der
mit der gewaltsamen Räumung endete. Seit drei Monaten protestieren
wir vor dem IKEA in Brescia um die Wiedereinstellung einiger
ArbeiterInnen zu erreichen, deren Verträge nicht verlängert wurden
(siehe Soli-Aufruf auf S. 1). Es gibt Initiativen für Kämpfe bei
den ArbeiterInnen der sozialen Dienste, und die Mailänder
USI-Sanitá, die dort in den meisten Krankenhäusern vertreten ist,
hält, ebenso wie die USI-Sanitá in der Toscana, das
Konfliktpotential beständig hoch. Auch die unermüdliche Arbeit
unserer Handwerksgewerkschaft soll hier nicht unter den Tisch fallen.

Die Erfahrungen aus unseren Kämpfen
haben uns gezeigt, dass sich eigentlich kein spezieller Typ Arbeiter
oder Arbeiterin aufgrund irgendwelcher persönlichen Erwägungen an
die USI wendet. Normalerweise treten die Leute der USI bei, weil sie
sich in dem, was unsere Militanten zu sagen haben, wiederfinden.
Einige kommen zu uns, weil wir gegen Kündigungen vorgegangen sind,
wie bei der Sanitá in Mailand oder im Handel in Brescia. Andere
kommen aufgrund betrieblicher Konflikte, wie bei den sozialen
Diensten oder der Post. Kurz gesagt, ist der Grund für das Wachstum
der USI in den letzten Jahren unserer Fähigkeit geschuldet, den
Arbeiterinnen und Arbeitern dort, wo wir präsent sind, konkrete
Lösungen für ihre Probleme zu bieten. Das sind Kämpfe für höhere
Gehälter, für bessere Arbeitsbedingungen, gegen betriebliche
Umstrukturierungen auf dem Rücken der Arbeiter, Kämpfe gegen
prekäre Arbeitsverhältnisse. Der andere Grund, warum Leute zu uns
kommen, ist, dass bei uns jede Sektion, jede Betriebsgruppe, jede
landesweite Branchengewerkschaft ihre eigene Autonomie genießt. Das
Konzept der Autonomie gibt den Arbeiterinnen und Arbeitern die
Möglichkeit, selbst darüber zu entscheiden, was auf ihren
Arbeitsplätzen passiert und wie Kämpfe angegangen werden. Die Idee,
selbst zu entscheiden, wird von all den Arbeiterinnen und Arbeitern,
die nach Jahren genug von den staatstragenden Gewerkschaften wie
CGIL, CISL und UIL haben und unter den über ihren Kopf hinweg
entschiedenen Dingen zu leiden hatten, durchweg positiv gesehen und
bringt die Leute zu uns.

Im Gegensatz zu Deutschland gibt
es in Italien sehr viele Basisgewerkschaften. Seht ihr diese Vielfalt
als positiv oder negativ für die Arbeit der USI an? Inwiefern
unterscheiden sich die Basisgewerkschaften sowohl von den
staatstragenden Gewerkschaften als auch von der USI?

Cesare: Die
Basisgewerkschaften entstanden gleichzeitig mit der Reaktivierung der
USI Ende der 80er Jahre und fanden ihren ersten konkreten Ausdruck im
Generalstreik gegen den Irakkrieg 1991. Dies war der erste
landesweite Generalstreik, der nicht von der CGIL,CISL oder UIL
ausgerufen wurde. In Italien gibt es momentan sechs oder sieben
Basisgewerkschaften, die anfangs aus Gruppen der
außerparlamentarischen Linken und Spaltungen der staatstragenden
Gewerkschaften hervorgingen und allesamt das Kürzel cobas
im Namen führten. Heute nach Jahren der Vereinigungen und
Spaltungen haben drei von ihnen einen Pakt zur Zusammenarbeit
geschlossen und die anderen gehen weiterhin ihren eigenen Weg. Wenn
auch auf unterschiedliche Weise, so haben die unterschiedlichen cobas
auf ihre Art doch zu einem Aufbruch der Sozialpartnerschaft
zwischen CGIL, CISL, UIL, Staat und Arbeitgebern geführt, da sie den
ArbeiterInnen mit dem höchsten Klassenbewußtsein Instrumente an die
Hand gaben, ihre Kämpfe selbst zu steuern. Im Laufe der Jahre ist
das, was als Basiskomitees am Arbeitsplatz begann, allerdings zu
einer rigiden und bürokratischen Organisation geworden, deren
Funktionäre seit zwanzig Jahren nicht wechseln. Heute besteht der
Unterschied zwischen ihnen und den staatstragenden Gewerkschaften im
Wesentlichen in etwas radikaleren Forderungen. Der interne Aufbau ist
allerdings derselbe. Das heißt natürlich nicht, dass es unter ihren
Mitgliedern keine kämpferischen und bewussten Arbeiterinnen und
Arbeiter gibt.

Wie sind die Perspektiven des
Anarchosyndikalismus bzw. des revolutionären Syndikalismus in
Italien generell?

Cesare: Wie gesagt, wir
sind die einzige Gewerkschaft in Italien, die die Organisation
wirklich in den Händen der Arbeiterinnen und Arbeiter lässt. Es ist
genau diese Organisationsform, die die bewusstesten Arbeiterinnen und
Arbeiter zu uns führt. Ebenso wie die cobas in Opposition zur
Bürokratie der CGIL, CISL, UIL entstanden, können wir heute die
einzige Organisation sein, die den antibürokratischen Positionen,
die in großen Teilen der italienischen Arbeiterschaft auf Zustimmung
stoßen, eine Stimme gibt.

Vielen Dank für das Interview.

Interview: Lars Röhm, Robert Ortmann
Übersetzung: Lars Röhm
Redaktionelle Bearbeitung: Lars Röhm,
Robert Ortmann.

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