54 Tage Streik für ein Minimum an Würde

Die Arbeit auf einer kolumbianischen
Zuckerrohrfarm ist zerstörerisch. Unter sklavenähnlichen
Bedingungen arbeitet ein Cortero gewöhnlich 26 von 30 Tagen zwischen
zehn und elf Stunden täglich im tropischen Klima Südwestkolumbiens.
Arbeitskleidung wird nicht gestellt und durch die prekäre
Sicherheitssituation kommt es oft zu Verletzungen und Krankheiten,
nicht selten bis zur Invalidität.

„Wir haben nichts zu verlieren“,
sagte der junge Gewerkschaftssprecher Julio Cesar López im Oktober
nach bereits einem Monat beschwerlichen Arbeitskampfes, und dies war
nicht nur das Motto, sondern die Realität der Corteros, die diesen
Herbst trotz massiver Armut und Repression einen 54-tägigen,
unbezahlten Streik durchfochten. Dass dieser Streik nicht als
Arbeitskampf, sondern als Sicherheitsproblem behandelt wurde, ist
typisch für Kolumbien, das zu den gefährlichsten Orten für
GewerkschafterInnen weltweit zählt – allein in diesem Jahr wurden
bereits 42 von ihnen ermordet. Schnell ließ Staatspräsident Álvaro
Uribe Vélez verlauten, die Protestbewegung sei „von dunklen
Mächten“, also von der FARC-Guerrilla, unterwandert – eine
gängige Aussage zur Legitimierung jeglicher Repressionsmaßnahmen
gegen soziale, oppositionelle und gewerkschaftliche Bewegungen.

De facto arbeiten die Corteros als
Scheinselbständige im Akkord, wobei sie obendrein beim Wiegen der
Ernte betrogen werden. Angestellt sind sie nicht direkt bei den
Unternehmern, sondern bei sog. Arbeitskooperativen. Nach eigenen
Angaben zahlen die Unternehmer ca. 1.500.000 Pesos (ca. 490 Euro)
monatlich an die Kooperativen, doch ergaben Untersuchungen in der
Region, dass die Corteros durchschnittlich nicht mehr als 580.000
Pesos (ca. 190 Euro) mit ihrer harten Arbeit verdienen. Dieses
Beschäftigungsmodell führt seit 1990 zu einer immer stärkeren
Prekarisierung der Arbeitsbeziehungen. Sozialleistungen gibt es
nicht. Bezahlt wird ausschließlich nach Marktpreis.

Am 14. Juli 2008 legten die derart
ausgebeuteten Corteros dem Verband der Zuckerindustrie ASOCAÑA einen
Forderungskatalog vor, dessen Hauptforderungen direkte
Arbeitsverträge waren und ein Lohn, der das Überleben sichert. In
Reaktion auf die rigorose Verweigerung von Verhandlungen seitens der
Großgrundbesitzer fassten mehr als 7.000 ZuckerrohrarbeiterInnen
einen Monat später in einer Versammlung den Beschluss zu streiken.
Von diesem Zeitpunkt an wurden die Plantagen und Fabriken vollständig
militarisiert und ArbeiterInnen und deren Angehörige mit Entlassung
und Mord bedroht sowie gerichtlich verfolgt. Parallel dazu starteten
die Zuckerproduzenten eine Desinformationskampagne, in der von guten
Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie großzügigen Arbeitsrechten und
Sozialleistungen für die Corteros die Rede war.

Am 15. September legten schließlich
8.500 ZuckerrohrarbeiterInnen der Departements Valle del Cauca,
Risaralda und Cauca ihre Arbeit nieder und besetzten acht der 13
Zuckerrohrplantagen, wodurch nahezu die gesamte Zuckerproduktion des
Landes lahm gelegt wurde. Verantwortlich waren die Gewerkschaften
Sinaltrainal und Sinalcorteros und die „Bewegung 14. Juni“ um den
Abgeordneten Alexander Lopez vom Polo Democratico Alternativo. Am 23.
Oktober gab es außerdem einen eintägigen, landesweiten Streik mit
etwa 400.000 TeilnehmerInnen, der sich neben der Ablehnung eines
geplanten Freihandelsabkommens mit den USA und der Repression
sozialer Bewegungen und Proteste, auch mit den
ZuckerrohrarbeiterInnen solidarisierte, sowie mit dem zeitgleich
stattgefundenen Marsch von 15.000 Indígenas. Bei diesem Marsch kam
es zu Schüssen der Polizei in die Menge, welche erst nach
Veröffentlichung von Beweisvideos eingestanden wurden.

Ein Schritt nach vorne

Alberto Bejarano, Mitarbeiter des
Senators Lopez und Begleiter des Streiks, sagte im Interview mit der
kolumbianischen Zeitung desde abajo: „Das Schlimmste ist die
irrationale Hochmütigkeit der Zuckerunternehmer, die es bevorzugten,
einen fünfwöchigen Arbeitskonflikt zu provozieren, ihre Arbeit zu
lähmen, 300 Mrd. Pesos Gewinn zu versäumen, die Region zu
destabilisieren, ihre Fabriken zu militarisieren und Anführer mit
einem konstruierten, gerichtlichen Manöver zu verhaften, anstatt die
Rechtmäßigkeit des Anliegens der Arbeiter anzuerkennen und mit
ihnen zu verhandeln.“

Nach 54 kräftezehrenden Tagen endete
der Streik mit Verträgen in sieben der acht Fabriken, die trotz
vieler Probleme im Ergebnis als zufriedenstellend bezeichnet wurden,
obwohl der Hauptzweck – die Ersetzung der Arbeiterkooperativen
durch Direktanstellung – nicht erreicht wurde. Die Öffentlichkeit
über diesen Missstand gilt bereits als großer und wichtiger Erfolg.
Mehr als 10.000 KolumbianerInnen werden durch derartige Kooperativen
im ganzen Land ausgebeutet. Laut der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien
kam es zu folgenden Einigungen: Eine 12-prozentige Lohnerhöhung pro
Tonne Zuckerrohr von ca. 1,90 auf 2,10 Euro, der Wiege-Vorgang wird
verbessert und überwacht; es gibt eine höhere Bezuschussung zur
Ausstattung; die Fabriken übernehmen einen Teil der von den
Kooperativen nicht gedeckten Arbeitsausfälle; und im Falle der
Invalidität wird eine Versetzung in andere Bereiche garantiert.
Weitere Themen sind: Kontrolle der bisher undefinierten Arbeitszeit,
Reisespesen, Ausbildungs- und Wohnungsfonds, Kontrolle der
mechanisierungsbedingten Entlassungen, einmalige Leihgaben zur
Kompensation der Streikbelastungen und das Recht auf
gewerkschaftliche Organisierung. Sinalcorteros erhöhte ihre
Mitgliederzahl während des Streiks von 870 auf über 3.000.

Bejarano deutet den Streik als Anfang
vom Ende des neoliberalen Arbeitsmodells in Kolumbien: „Die
Zuckerrohrarbeiter zeigten nicht nur die grundlegende Ungerechtigkeit
dieses Arbeitsmodells, sondern vor allem die Verletzlichkeit des
selbigen, wenn die Arbeiter sich entschließen, für ihre Rechte zu
kämpfen.“ Die Antwort von Gewerkschaftsseite auf die behauptete
Unterwanderung durch dunkle Mächte ist die selbstironische
Bemerkung, die einzige dunkle Macht seien die 70%
AfrokolumbianerInnen unter den ArbeiterInnen.

Alexandra T.

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