Streik bei Ford

Situation in Russland

Die Streikbewegungen in Russland sind
untrennbar mit einer horrenden Teuerungsrate im Lande verbunden. So
sind zum Beispiel die Nahrungsmittelpreise und die einiger anderer
Produkte, seit Anfang 2007 um 50–70% (!) gestiegen.
Wirtschaftswissenschaftler weisen darauf hin, dass dies noch nicht
das Ende der Preissteigerungen sei. Sie erwarten noch während des
Winters eine weitere Preissteigerung um bis zu 50%. Die Wirtschaft in
Putins Russland hat ihre Basis in den Monopolen. Diese sind wiederum
auf vielfältige Art und Weise untereinander, mit der Staatsmaschine
und direkt mit Putin verwoben. Diese „3. Welt“-Ökonomie hat nur
einen Zweck: die Reichen an der Spitze einer mafiösen Pyramide aus
Neureichen und Staatsfunktionären noch reicher zu machen. Unter
ihnen und als erster unter gleichen: Putin, der ein geschätztes
Privatvermögen von 40 Milliarden US-Dollar sein Eigen nennen soll.
All diese Bosse haben keinerlei Interessen an einem „Ausgleich“
mit den Lohnabhängigen. Viele dieser Bosse und „Offiziellen“
sind „frühere“ Kriminelle oder waren/sind im russischen
Geheimdienst tätig. Sie alle wissen, dass ihre Zeit nur sehr
begrenzt ist, denn sie können jederzeit ihre Macht und ihren
Reichtum im permanenten politischen und ökonomischen Konkurrenzkampf
verlieren. Daraus schließen sie, dass sie so schnell wie möglich so
reich wie möglich werden müssen. Die Wünsche der Arbeiterschaft
stören da nur, und so greifen sie zu den verschiedensten Methoden
gegen Streikende: Gerichtliche Verbote, gesetzliche Gewalt (Polizei)
und ungesetzliche Gewalt.

So wurden zum Beispiel nahezu alle
Streiks der letzten Monate von den Gerichten für „illegal“
erklärt und einige GewerkschaftsaktivistInnen wurden entweder durch
die Polizei, die Mafia oder nacheinander von beiden angegriffen.

Der Streik bei Ford

Die Werksleitung hatte mit Beginn des
unbefristeten Streiks am 20. November (1) die Streikenden
ausgesperrt. Bei dem Streik, an dem 1.700 der 2.200 Arbeiter
teilnahmen, handelte es sich um die größte Arbeitsniederlegung der
letzten Jahre. Die Ford-Arbeiter forderten die Anerkennung
berufsbedingter Krankheiten sowie eine Absage an befristete
Arbeitsverträge. Die Hauptforderung der Streikenden ist eine
Lohnerhöhung um 30-40%, was nicht mal die Inflationsrate (in Bezug
auf Nahrungspreise) ausgleicht (2). Momentan verdienen die
ArbeiterInnen bei Ford ca. 500 $ im Monat. Das ist für russische
Verhältnisse nicht schlecht. Zum Vergleich: in der Millionenstadt
Saratov verdienen Industriearbeiter- Innen, ÄrztInnen und
LehrerInnen ca. 150 $ im Monat. Wie dem auch sei, dank der horrenden
Inflation sinkt die reale Kaufkraft rapide! Militante der KRAS-IAA
starteten eine Kampagne, um einerseits die Idee der Anarchie unter
den ArbeiterInnen bekannt zu machen und andererseits die
reformistische Gewerkschaft offen zu kritisieren. Die KRAS forderte
die Arbeiterschaft auf, nicht länger ergeben den
Gewerkschaftsführern hinterherzutrotten, stattdessen sollten sie
lieber eine allgemeine Versammlung einberufen und dort all ihre
Entscheidungen fällen. Die ArbeiterInnen erzählten uns in
persönlichen Gesprächen, sie wüssten, dass ihnen die
reformistische Gewerkschaft nicht helfen kann, aber sie sind
angesichts der Tatsache, dass sich auf dem Gelände eine
Sondereinheit der Polizei („OMON“) befindet, zu ängstlich, um zu
Mitteln der direkten Aktion, wie zum Beispiel Sabotage, zu greifen.
Rund 400 ‚Scabs’ (3) der russischen Ford-Filiale haben eine
Erklärung unterschrieben, in der sie von dem Streik Abstand nehmen.
Sie sollen während des Produktionsausfalls zwei Drittel des normalen
Lohns behalten, die Streikenden gehen leer aus. Nach einer Woche
Stillstand nahm das üblicherweise in drei Schichten arbeitende Werk
am 28. November die Produktion im Ein-Schicht-Betrieb wieder auf. Am
11.12. gelang es, mit weiteren Streikbrechern eine zweite Schicht
anzufahren.

Der Streik bei Ford wird von
Automobilherstellern aufmerksam beobachtet

Im vergangenen Jahr hat der
Ford-Konzern seinen Verkauf in Russland um 92 Prozent gegenüber 2005
auf knapp 116.000 Fahrzeuge gesteigert. Der Umsatz von Ford Focus
betrug dabei 73.500 Stück, 85 Prozent mehr als im Jahr davor. Ein
Tag Band-Stillstand kostet das Unternehmen vier Millionen Dollar. Der
Streik bei Ford wird von anderen ausländischen Automobilherstellern,
die Werke in Russland planen, aufmerksam beobachtet. Volkswagen und
Skoda haben mit dem Bau eines 370 Millionen Dollar teuren Werks in
Kaluga bei Moskau begonnen. General Motors, Toyota und Nissan planen
Werke bei St. Petersburg. Wie ein Sprecher von „Nissan Motor
Russland“ gegenüber der Internetzeitung „Fontanka.ru
erklärte, man lerne aus den Fehlern anderer Unternehmen.
Arbeitssuchende mit Gewerkschaftsvergangenheit würden bei der
„Formierung“ der neuen Nissan-Belegschaft angeblich nicht
herausgefiltert.

Das vorläufige Ende

Dank der finanziellen Hilfe von
ArbeiterInnen aus der ganzen Welt wurde der Streik mehr als vier
Wochen lang durchgehalten. Am 13.12. hat die Werksleitung ihre
Bereitschaft erklärt, auf wesentliche Forderungen der Streikenden
einzugehen. Ihre einzige Bedingung dafür war, dass sie ab 17.12. die
Arbeit wieder aufnehmen. Zur Vertragsschließung wird eine Kommission
von Ford- Europa erwartet. Diese soll dann zusammen mit der
Werksleitung und der Gewerkschaft einen Vertrag gestalten. (4)

Nik Topark

Anmerkungen

(1) pünktlich mit Ablauf einer
gerichtlich verhängten „Streikpause“

(2) die Inflationsrate (insgesamt)
beträgt offiziell 11,5%

(3) Aus dem angloamerikanischen
kommende Bezeichnung für Streikbrecher

(4) Bis zum Redaktionsschluss war das
Ergebnis dieser „Gestaltung“ nicht in Erfahrung zu bringen

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