Brände, Schulen, Mindestlohn

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Der 29. Juli sollte ein
guter Tag werden. Das zumindest hoffte die Regierung von Bangladesch.
Sie verabschiedete an jenem Freitag ein Gesetz, das den monatlichen
Mindestlohn in der Textilbranche auf rund 32 Euro anhob. Bis dahin
lag die Lohnuntergrenze für diesen Industriezweig, der 80% der
gesamten Exporteinnahmen ausmacht, bei etwa 18 Euro. Statt das Gesetz
zu würdigen, zerbrachen Fensterscheiben und brannten Barrikaden,
Autobahnkreuze wurden blockiert und Haufen von Textilien wurden auf
der Straße verbrannt. Die Polizei ging mit Gummigeschossen und
Tränengas gegen protestierende TextilarbeiterInnen vor. Ihre
Gewerkschaften forderten 54 Euro Mindestlohn. Der ausgehandelte
Regierungskompromiss reiche kaum, um den monatlichen Bedarf zu
decken.

Diese Bilder sind nicht
neu. Schon seit Jahren kämpfen bengalische ArbeiterInnen für jedes
noch so kleine Recht. Es geht vor allem um das nackte Überleben. 3,5
Millionen Beschäftige, davon über 80% Frauen, arbeiten in den
heruntergekommenen Textilfabriken und leben in bitterer Armut. Nur
entschlossenes, kollektives Handeln verleiht ihnen Gehör, dessen
sind sie sich sicher. Ihre Gegner, die Eigentümer der Fabriken,
versichern derweil, nicht mehr Lohn zahlen zu können, da sonst die
Produktionskosten stiegen und Auftraggeber – wie H&M, Kik oder
Wal-Mart – in andere Niedriglohnländer abwanderten. Der Verband
der Textilerzeuger und -exporteure (GMEA), der 4.500 Fabriken
vertritt, droht den Protestierenden mit Fabrikschließung, wenn sie
ihre Forderung nach einem halbwegs vernünftigen Einkommen nicht
aufgäben. Die Innenministerin, Sahara Kahtoon, vermutet hinter dem
Aufbegehren gar eine Verschwörung, die Land und Wirtschaft zu
destabilisieren versuche. Beweise bleibt sie natürlich schuldig. Für
die Notwendigkeit des Protests lassen sich dagegen mehr als genug
Beweise finden.

Fabrikbrand mit Toten

Erst in diesem Jahr
starben im Februar 21 ArbeiterInnen bei einem Brand in der
Bekleidungsfabrik Garib&Garib in Dhaka. Notausgänge waren mit
Ketten verschlossen, Feuerlöscher fehlten, Brandschutzübungen
hatten nie stattgefunden. Der Brand griff zwar kaum vom ersten Stock
auf die darüber liegenden Geschosse über, allerdings entstand eine
enorme Rauchentwicklung, die die SchichtarbeiterInnen qualvoll
ersticken ließ. Erst wenige Monate zuvor hatte es einen Brand in
dieser Fabrik gegeben. Ein Arbeiter und ein Feuerwehrmann kamen
damals ums Leben. Daraus hätte man lernen können, um ähnliche
Katastrophen in Zukunft zu verhindern.

In der Fabrik wurden seit
Jahren Pullover und Strickjacken für H&M gefertigt. Doch der
schwedische Konzern zieht sich aus der Verantwortung, da es sich um
einen Zulieferbetrieb handele. Die Gewerkschaft der ArbeiterInnen,
die National Garments Workers Federation (NGWF), sieht das anders.
Sie fordert von H&M ausreichende Entschädigungen für die
Familien der Toten und für den Verdienstausfall der restlichen
Belegschaft. Für die Zukunft wird eine vertragliche Zusicherung von
Garib&Garib verlangt, dass menschenwürdige Arbeitsbedingungen –
wie Brandschutzvorkehrungen, bessere Löhne und Arbeitszeiten –
eingehalten und grundlegende gewerkschaftliche Rechte zugestanden
werden.

H&M ließ sich bisher
nur auf die Verpflichtung ein, Entschädigungen einzig und allein für
die Kinder zu zahlen, die das 18. Lebensjahr noch nicht beendet und
ihre Mutter bei dem Brand verloren haben. Ein schlechter Scherz, der
zulasten der Betroffenen geht. Das Unternehmen beteuert, auch sonst
genug für die ArbeiterInnen in armen Ländern wie Bangladesch zu
tun. So betreibt das Unternehmen seit 1999 eine Nähschule in Dhaka,
in der 100 Jugendliche eine Ausbildung als IndustrienäherIn
absolvieren – Qualifikationen, die das Unternehmen sicher nicht
ganz uneigennützig fördert.

H&M in der Pflicht

H&M ist in Sachen
Imagepflege ein wahres Paradebeispiel für den selbsternannten
„verantwortungsbewussten“ Kapitalisten. Der Webauftritt erläutert
zahlreiche Programme und Initiativen, an denen sich der Konzern
beteiligt: Kinderarbeit werde grundsätzlich nicht akzeptiert, auf
ökologische Nachhaltigkeit werde geachtet und als akkreditiertes
Mitglied der „Fair Labour Association“ (FLA) setze man sich für
die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen ein. Man kann sich
allerdings sicher sein: Würde sich solcherlei Engagement nicht
auszahlen, würde in diesen Bereichen auch nichts auf den Weg
gebracht. Sowieso zeigt die kapitalistische Logik dabei Grenzen auf,
denn sie ist immer eine gewinnorientierte und keine soziale.

Trotz dieser Imagepflege
sind Unternehmen wie H&M genau dort gewerkschaftlich angreifbar.
Die heutigen KundInnen wollen eben mit gutem Gewissen einkaufen. In
Europa können wir die bengalischen ArbeiterInnen in ihren Kämpfen
unterstützen, wie sie auch uns unterstützen. Erst in diesem Jahr
zeigte die NGWF Solidarität mit der FAU Berlin in ihrem Kampf für
Gewerkschaftsfreiheit. Die bengalischen Gewerkschaften wissen, dass
eine transnational ausgerichtete Gewerkschaftsbewegung hierzulande
auch ihnen nützt – wie auch umgekehrt.

Die FAU Berlin
unterstützt mit Flyer- und Protestaktionen in und vor H&M-Filialen
die Forderungen der ArbeiterInnen im Fall Garib&Garib
– trotz der Tatsache, dass ihre Gewerkschaft dem
fragwürdigen Mindestlohn der Regierung zugestimmt hat. Auf dem
Flugblatt werden auch ausdrücklich die Angestellten von H&M
angesprochen. Allein die Tatsache, dass es in den Berliner Filialen
nicht einmal Betriebsräte gibt, zeigt die Notwendigkeit der
gegenseitigen Unterstützung.

Philip Gale

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