Blitzpöbel

Der Laden voll, die
Kassen blockiert, kein Einkaufswagen steht mehr vorm Supermarkt. Das
ist kein untrügliches Zeichen dafür, dass die Menschen hier in
Panik geraten sind, weil die Welt mal wieder untergehen soll. Sondern
es Anzeichen dafür, dass ein Arbeitskampf mit neuen Mitteln
durchgeführt wird, mit denen sich auch das Bundesarbeitsgericht
schon befassen musste.

Der erste Senat des
Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt wies am 22. September letzten
Jahres eine Klage des Einzelhandelsverbandes HDE ab. Der
Arbeitgeber-Verband hatte ver.di in Zukunft den Einsatz von
„Flashmobs“ im Arbeitskampf untersagen wollen. Mit dem Urteil
wurde die Auffassung vorheriger Instanzen bestätigt. Anlass für die
Klage war eine Aktion im Winter 2007 gewesen.

Nachdem die Beschäftigten
des Berliner Einzelhandels mehrere Monate lang erfolglos für höhere
Löhne gekämpft hatten, rief ver.di auf im Internet und auf
Veranstaltungen zu einem per SMS organisierten „Einkauf“ auf.
Ziel sollte eine Filiale sein, in der StreikbrecherInnen beschäftigt
waren. Diese waren maßgeblich daran beteiligt, dass der Arbeitskampf
bisher keine Erfolge zeigte und keine der bestreikten Filialen auch
nur vorübergehend schließen musste.

An der Aktion in der
REWE-Filiale am Berliner Ostbahnhof beteiligten sich etwa 40
Menschen, die durch den Einkauf von „Pfennig-Artikeln“ lange
Schlangen an den Kassen erzeugten, mehrere voll gepackte
Einkaufswagen in den Gängen stehen ließen oder an der Kasse spontan
feststellten, dass sie ihr Geld vergessen hatten. Dieser Flashmob
dauerte etwa eine Stunde.

In der Pressemitteilung
zum Urteil stellt das BAG fest, dass eine solche Störung des
betrieblichen Ablaufes als Arbeitskampfmittel legitim ist, solange
sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspräche, also
erforderlich und zur Durchsetzung tariflicher Ziele geeignet ist.
Angesichts der bis zu diesem Zeitpunkt erfolglosen Streiks im
Einzelhandel sei dies beim durchgeführten Flashmob der Fall gewesen.

Als weitere Voraussetzung
für die Rechtmäßigkeit dieser Aktionsform im Arbeitskampf müssten
der Arbeitgeberseite geeignete Mittel zur Verteidigung zu Verfügung
stehen. Das Gericht sah dies mit den Möglichkeiten der
vorübergehenden Betriebsschließung und dem Erteilen von
Hausverboten an die AktionsteilnehmerInnen gegeben. Der
Einzelhandelsverband HDE hat beim Bundesverfassungsgericht in
Karlsruhe Verfassungsbeschwerde eingelegt.

 

8. Mai 2010, San Francisco: Flashmob zur Unterstützung eines Boykotts von HotelarbeiterInnen

 

Entstanden sein sollen
die Flashmobs (englisch: flash = Blitz; mob = aufgewiegelte
Volksmenge – deutsch also in etwa Blitzpöbel) übrigens 2003 in
New York, als Leute in einer Hotellobby den Gästen zuklatschten und
ebenso schnell wieder verschwanden wie sie gekommen waren. Verabredet
wird sich zu den scheinbar spontanen Treffen per Mail, Blogs, Handy
oder Social Networks wie Facebook oder Studi/MeinVZ.

Ursprünglich waren
Flashmobs unpolitische Happenings, mit denen ahnungslose PassantInnen
durch die sinn- und inhaltslosen Tätigkeiten der Teilnehmer verwirrt
werden sollten. Mittlerweile haben sich Flashmobs aber auch als
politische Aktionsform etabliert, welche als Smart Mobs bezeichnet
werden.

Flashmobs gibt es in
unzähligen Variationen. Das Repertoire reicht vom Freeze-Flashmob,
wo man „eingefroren“ stehenbleibt, über Kissenschlachten und die
Anbetung von Mülleimern hin zu „Reclaim the Sparkasse“-Partys in
Filialen in Berlin. Sollte die Verfassungsbeschwerde des HDE in
Karlsruhe scheitern, werden Flashmobs in Zukunft ganz sicher noch
öfter in Arbeitskämpfen Gebrauch finden.

Jack Goldstein

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