Gedruckt, gefilmt, gesendet

Frisch renoviert öffnet das "Druckluft" seine Tore für die Limesse. Im Hof wird Akustisches geboten werdenVom
3. bis zum 5. September findet im nordrhein-westfälischen Oberhausen
die Limesse, die „1. Libertäre Medienmesse für den deutschen
Sprachraum“ statt. Sie ist vielleicht das deutlichste und
stärkste Zeichen des Protestes und Widerspruchs gegen den
kommerziellen Kulturindustriebetrieb der „Ruhr 2010“.

Wer
fährt von euch auch alles nach Oberhausen?“ Die
Mitfahrgelegenheits-Börse in den Freundschaftskreisen läuft auf
Hochtouren. Es werden Autos und Wochenendtickets organisiert,
Schlafmöglichkeiten abgeklärt („ich kenn‘ da jemanden, die
jemanden kennt“) und die FreundInnen, die an diesem Wochenende doch
arbeiten müssen, auch noch zum Blumen gießen und Hunde ausführen
verdonnert („ach bitte bitte bitte“). Soweit die Vorbereitungen
der zahlreichen Limesse-BesucherInnen, die von überall her zur „1.
Libertäre Medienmesse für den deutschen Sprachraum“ gefahren
kommen. Dies dürfte aber nur ein Schatten der hektischen
Betriebsamkeit sein, die derzeit in und um die Räume des „Druckluft“
in Oberhausen herrscht. Die VeranstalterInnen der Limesse müssen
über 40 AusstellerInnen, 27 Veranstaltungen, ein Konzert und den
BesucherInnenstrom koordiniert bekommen.

Die
Vielfalt der Projekte sichtbar und nutzbar machen

Dafür,
dass es sich um die erste Veranstaltung ihrer Art im
deutschsprachigen Raum handelt, wartet die Limesse mit einer großen
Vielfalt und Professionalität auf. Die Organisationsstruktur besteht
aus örtlichen FAU-Gruppen und weiteren Projekten, die zur Limesse
fusionierten. So ist es gelungen, eine weite Bandbreite von
AusstellerInnen zu gewinnen, in der tatsächlich so gut wie alle
namhaften libertären/linken Kultur- und Medienprojekte enthalten
sind: Verlage wie Unrast, Edition Nautilus,
Schmetterling und Trotzdem oder aber der Syndikat A
Medienvertrieb
und Edition AV treffen auf
Internet-Projekte wie „Chefduzen.de“ oder „labournet.de“, mit
einer ganz anderen inhaltlichen Ausrichtung, der „Black Mosquito
Mailorder“ ist ebenso am Start wie das Anarchistische Radio
Berlin
, die Jugendzeitung Utopia oder das „Archiv für
die Geschichte des Widerstands und der Arbeit“. Und auch die
Direkte Aktion ist dabei. Von außerhalb Deutschlands
beteiligen sich z.B. die „Anarchistische Bibliothek und Archiv
Wien“, die britische PM Press oder „SIN(A)PSIS“, eine
libertäre Videozeitung aus Chile. Die Veranstaltungen wiederum
werden von Einzelpersonen angeboten und spannen inhaltlich einen
Bogen von anarchistischer Medienarbeit über libertäre
Lebensformen/lifestyle bis hin zu selbstorganisierten Arbeitskämpfen.
Zu Beginn wird sich mit der Frage „Gibt es anarchistische Verlage?
Die Buchbranche und der Kapitalismus“ auseinandergesetzt. Somit
beginnt die Limesse mit einer Diskussion, zu der die Messe selbst
einiges an Input zu liefern hat.

Das
eigene Handeln in den gesellschaftlichen Kontext einordnen

Reflektion
über die eigenen Verhältnisse, also die Bedingungen, unter denen
Literatur, Presse und Medien realisiert werden, ist ohnehin ein
übergeordnetes Thema der Limesse. So kündigen die VeranstalterInnen
in Zusammenarbeit mit der FAU eine Diskussion über „die zunehmend
prekären Arbeitsbedingungen von (nicht nur) Medien-ArbeiterInnen“
an. Eine der letzten Veranstaltungen wird überdies von der FAU
Frankfurt a. M. mit dem Titel „Leiharbeit abschaffen!“ angeboten
und rundet so das Programm mit dem – leider – Dauerbrenner
anarchosyndikalistischen Widerstands ab. Die Einbindung der Limesse
in den Kalender der Gegenaktionen zur „Ruhr 2010“ verdeutlicht,
dass sich die Messe auch als Teil einer kritischen Gegenkultur
begreift, die in aktuelle gesellschaftliche Themen zu intervenieren
versucht. Hier wird der Schulterschluss mit Projekten wie etwa der
gesellschaftspolitischen Tanzveranstaltung „Euromayday 2010“ in
Dortmund oder der „AG Kritische Kulturhauptstadt“ gesucht. Die
Entscheidung, solch eine Messe komplett selbst zu organisieren, kann
in ihrer Bedeutung in diesem Zusammenhang nicht unterschätzt werden.
Schließlich entscheiden sich viele Projekte häufig dazu, die
Möglichkeiten auf finanzielle Unterstützung durch öffentliche oder
privatwirtschaftliche Stellen in Anspruch zu nehmen, was angesichts
der klammen Lage der meisten linken/libertären Projekte oft
unumgänglich ist. Doch die Limesse schlug den prall gefüllten Topf
vor ihrer Haustür aus und entschied sich, explizit gegen den Koch zu
arbeiten, während sich viele „kritische“ Kulturschaffende für
die „Ruhr 2010“ einspannen und korrumpieren ließen.

Die
„Loveparade “ – sie wird wohl von allen Veranstaltungen der
„Ruhr 2010“ am längsten im kollektiven Gedächtnis bleiben. Ein
Techno-Event, einst als Friedensdemonstration in Berlin von
UndergroundmusikerInnen gestartet, ist durch das Zusammenspiel von
profitgeilen VeranstalterInnen, dilettantischer Lokalpolitik und den
größenwahnsinnigen OrganisatorInnen der „Ruhr 2010“ zur
Todesfalle für 21 Menschen geworden. Die „AG Kritische
Kulturhauptstadt“ wirft der „Ruhr 2010“ in diesem Zusammenhang
„Bigness“, also Masse um jeden Preis vor. Die Kosten für dieses
Event sollten minimal gehalten werden, der Nutzen somit einen
maximalen Output garantieren: für die Körperkult-Kette „McFit“,
die Stadt Duisburg und alle kommerziellen Stände, die über das
„Ruhr 2010“ Marketing koordiniert wurden. Die Menschen, die zum
Feiern angereist kamen, waren somit für die Interessen hinter der
„Loveparade“ lediglich eine Masse von Objekten der
Profitgewinnung, und entsprechend wurde ihnen in den Plänen so gut
wir kein eigener Handlungsspielraum zugebilligt – sie sollten auf
vorbestimmten Wegen ihren Zweck in einem abgesperrten Areal erfüllen,
und mehr nicht. Es ist bezeichnend, dass „Panikforscher“ Michael
Schreckenberg das Konzept vehement verteidigte, aber vermeintliche
„Regelüberschreitungen“ einzelner BesucherInnen für die
Katastrophe verantwortlich machen wollte. Es bleibt zu hoffen, dass
der kapitalistische Beißreflex „selber schuld!“, der den
Leidtragenden der marktwirtschaftlichen Realität in unserer
Gesellschaft immer wieder entgegen gebracht wird, in diesem Fall eine
wirkungslose rhetorische Hohlform bleiben wird.

Die
Limesse und das Ruhrgebiet

Noch ist sie ein zartes grünes Früchtchen – und sauer auf den angepassten Kulturfirlefanz: Die "Limesse" Im
Gegensatz zum konsumorientierten Ansatz der „Ruhr 2010“ steht bei
der Limesse das Selbermachen im Vordergrund: Vorstellen, Diskutieren,
Nachfragen, Ausprobieren, Kontakte knüpfen – widerständige Kultur
will nicht nur angeboten, sondern gelebt sein. So reden die
OrganisatorInnen der Limesse in der Ankündigung denn auch von der
Utopie einer „Welt jenseits von Krise und Ausbeutung“ als
übergeordnetem Ziel des kreativen Schaffens der Teilnehmenden. Die
Limesse ist daher selbstverständlich ein Non-Profit Event, der
Besuch ist kostenfrei, und auch die AusstellerInnen –
vorausgesetzt, sie wollen etwas verkaufen – bezahlen nur eine
geringfügige Standgebühr. Für das leibliche Wohl sorgen „Le
Sabot“ und das Hamburger „Café Libertad Kollektiv“. Offen war
bei Redaktionsschluss allerdings, ob es den OrganisatorInnen noch
gelungen ist, für Interessierte Informationsmaterial zur
libertären/revolutionären Geschichte des Ruhrgebiets im Allgemeinen
und der Region Oberhausen im Speziellen zusammenzustellen, wie es auf
der Website der Limesse in Aussicht gestellt wurde. Immerhin haben um
1921 über 30 000 Mitglieder der FAUD allein im Umkreis Oberhausens
gelebt; während der libertär geprägten Märzrevolution im
Ruhrgebiet um 1920 ereignete sich die stärkste
anarchosyndikalistische Erhebung in Deutschland im 20. Jahrhundert.
Aber auch die Bewegung der HausbesetzerInnen in den 80er Jahren war
in Oberhausen nicht unbedeutend gewesen. Ansatzpunkte genug also für
geschichtsinteressierte Libertäre, in Oberhausen und Umgebung auf
historische Entdeckungstour zu gehen.

Aber
noch ein – in gewissem Sinne auch „historisches“ – Thema
strahlt seine Relevanz über die Städtegrenzen des Ruhrgebiets
hinweg nach Oberhausen: der Naziaufmarsch zum sogenannten „Nationalen
Antikriegstag“ in Dortmund. Mehrere Bündnisse mit bürgerlichem,
kommunistischem und libertärem Einschlag rufen zu Protesten und
Gegenaktivitäten auf, um die Etablierung eines faschistischen
Großevents im Ruhrgebiet zu verhindern. Die Limesse, deren
Veranstaltungsdatum bereits lange feststand, ruft ganz explizit zur
Teilnahme an den Protesten auf, obwohl der Termin auf den
Hauptveranstaltungstag der Messe fällt. „Oberhausen liegt keine
Zugstunde von Dortmund entfernt, und das „Druckluft“ liegt in
unmittelbarer Nähe zum Bahnhof“, betonen die OrganisatorInnen die
Vereinbarkeit von Messe und antifaschistischem Engagement. Sowohl
MessebesucherInnen, Ausstellende und Demonstrierende werden am Abend
dann noch mit einem Konzert der HipHop-Legenden von „Anarchist
Academy“ im Rahmen der Limesse belohnt. Das anschließende
„Limesse-Beats“ DJ-Team wird dann die Nacht zum Tage machen.
Tagsüber werden mehr oder weniger spontan AkustikmusikerInnen ein
kleines Nebenprogramm zur Limesse realisieren.

Ideen
transportieren und verbreiten

Die
„1. Libertäre Medienmesse für den deutschen Sprachraum“ wird
also ein vielseitiges, spannendes Ereignis. Anders als etwa bei den
Libertären Buchtagen, die es z.B. nun schon seit 2 Jahren in
Winterthur in der Schweiz gibt, wird hier die Vielfalt der
Medienprojekte in den Vordergrund gestellt – auch wenn das Buch als
integraler Bestandteil libertärer Kultur natürlich einen wichtigen
thematischen Aspekt der Limesse ausmacht. So orientiert sich die
Messe auch ganz explizit an den Vorbildern in Winterthur, Nürnberg
oder dem belgischen Gent. Die Weiterentwicklung der
Publikationsmöglichkeiten und Kommunikationstechniken in der
libertären und linken Szene sind aber in Oberhausen der thematische
Ausgangspunkt. Das Label „libertär“ wurde dabei bewusst
gegenüber „anarchistisch“ gewählt, um so eine größere Gruppe
Interessierter anzusprechen – auch die AusstellerInnen sind nicht
alle als „anarchistisch“ einzuordnen. Ziel ist nicht bloß ein
szeneübergreifender Ansatz, sondern vor allem das Öffnen gegenüber
Menschen, die zunehmend nicht mehr an die Heilsversprechen der
kapitalistischen Ordnung glauben. Genau dies ist sogar eine
Hauptmotivation der VeranstalterInnen der Limesse: „Wir merken in
unserer täglichen Praxis, dass unsere Ideen mit deutlich mehr
Interesse aufgenommen werden“. Es gilt, diese zu vermitteln – die
Limesse möchte ihren Beitrag dazu leisten.

Marcus
Munzlinger

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