Streit zum Schein

Urheber: Findus

Die „Euro-Krise“, der
im Mai mit einer 750-Mrd.-Kreditzusage begegnet wurde, bildete
europaweit den Auftakt zur Verabschiedung milliardenschwerer
„Sparpakete“, z.B. in Spanien und Deutschland. Allem Anschein
nach ist es auf politischer Ebene gelungen, den Wechsel von der
lockeren zu einer restriktiveren Ausgabenpolitik zu vollziehen.

Dabei ging es in den
Brüsseler Mai-Tagen nicht nur um finanzielle Erwägungen, sondern
auch um die Zukunft der Europäischen Union. Bereits im Januar
sprachen sich Spaniens Premier Zapatero und hochrangige EU-Vertreter
für eine „verbindlichere wirtschaftspolitische Koordinierung“
und ggf. auch „korrigierende Maßnahmen“, also Eingriffe der EU
aus. Dieser Vorschlag könnte auf eine „europäische
Wirtschaftsregierung“ hinauslaufen, wie sie Frankreichs Präsident
Sarkozy seit Jahren fordert. Der Krisengipfel der EU-Staats- und
Regierungschefs könnte das Modell dafür abgeben: starkes Pathos,
schnelle Entscheidungen, gigantische Summen. So bildet man, die
Ereignisse belegen es, eine Front, die allen sozialen Mobilisierungen
und Generalstreiks standhalten soll. Da die Prioritäten nun – das
Schreckgespenst des Staatsbankrotts vor Augen – bei der
Haushaltskonsolidierung liegen, bangt auch Wirtschaftsminister
Brüderle (FDP) nicht mehr um die (deutsche) Wettbewerbsfähigkeit.

Zwar zogen sich die
Verfechter einer formellen Wirtschaftsregierung zurück, aber nicht
endgültig; schließlich zaubert man solche Verschiebungen im
Institutionengefüge der EU nicht aus dem Hut. Das machte auch die
Schattenregierung namens EU-Kommission klar, denn mit der Überwachung
und Koordinierung von Budget-Defiziten und politischen Grundlinien
ist sie bereits betraut. Sie werde künftig aktiver auftreten.

Handlungsfähigkeit
wollte auch der EU-Rat auf seinem Gipfel im Juni demonstrieren: mit
der Strategie „Europa 2020“. Der Zehnjahresplan tritt die
Nachfolge der sog. Lissabon-Strategie an, wonach die EU bis 2010 der
„wettbewerbsfähigste Wirtschaftsraum der Erde“ werden sollte.
Das Ziel ist vielleicht nicht erreicht. Aber mit Blick auf die
Einkommensverteilung und die gesunkene Macht der Gewerkschaften ist
sie nicht gescheitert. Der Titel des neuen Programms – „für
Wachstum und Beschäftigung“ – lässt keine Zweifel, dass dieser
unternehmenszentrierte Kurs fortgesetzt wird.

Die verbreiteten
Ohnmachtsgefühle der Bevölkerung in den EU-Staaten erscheinen
angesichts dieser und der gewerkschaftlichen Realität nur
verständlich. Doch in dem Punkt kann man von der EU-Bürokratie nur
lernen: Es lohnt sich, eine Vision hartnäckig zu verfolgen.

André Eisenstein

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