Die Kirche der Einheit

Endlich ist sie entbrannt, die Debatte
um gewerkschaftliche Einheit und die Strukturen der deutschen
Gewerkschaften. Gott sei Dank, ist man verleitet zu sagen. Und
dennoch, als Syndikalist betrachtet man diese Debatte mit einem
lachenden und einem weinenden Auge. So begrüßenswert es ist, dass
der heiligen Kuh der Einheitsgewerkschaft endlich mal Beine gemacht
wird, so traurig ist es, wie schwerfällig man sie vorantreibt. Da
bedarf es erst des praktischen Beispiels einer kämpferischen
Spartengewerkschaft, damit einige GewerkschafterInnen beginnen, die
vorherrschenden Strukturen kritisch zu hinterfragen, und langsam und
müßig zu Erkenntnissen gelangen, die im Syndikalismus seit eh und
je zu den Binsenweisheiten gehören. Nutzen wir die Debatte um die
GDL und die Einheitsgewerkschaft für einen Exkurs über
syndikalistische Positionen dazu.

Konfliktpunkt Tarifeinheit

Was hat die GDL da alles ausgelöst!?
Nicht nur setzt sie mit ihren Lohnforderungen für viele ein
positives Zeichen, das zur Nachahmung ermuntert, nein, auch
Befürchtungen werden laut, der soziale Friede sei in Gefahr. Und das
alles „nur“, weil man weitreichende Folgen für die deutsche
Tarifund Gewerkschaftseinheit befürchtet. Die Unternehmer
befürchten, so wörtlich, „Chaos in den Betrieben“.
Arbeitgeberpräsident Hundt sieht schon „ständige
Tarifauseinandersetzungen und im schlimmsten Fall die
Dauerbestreikung“ auf die deutschen Betriebe zukommen. Und auch die
Propagandachefin der Bahn, Margret Suckale, machte deutlich, dass es
um mehr als die Lohnfrage geht, wenn sie erklärt: Wenn die Bahn
Milde gegenüber der GDL zeige, wäre sie demnächst damit
konfrontiert, dass diese und jene Gruppe ebenfalls Kämpfe eröffnen
würden. Die GDL wird so unfreiwillig zur Vorhut an der Klassenfront.

Aber auch die DGB-Führungen schießen
Sperrfeuer. Als die Ärzte und Piloten aus der Reihe tanzten,
funktionierte es noch ganz gut, sie als Spalter und unsolidarisch zu
diffamieren; jetzt, wo sie das gleiche der GDL vorwerfen, die
deutlich mehr Sympathien genießt, schon weniger. Eher rückt nun ins
Blickfeld, was hinter dem Kehrreim von der Einheit und Solidarität
denn steckt. Ob die DGB-Politik nicht verantwortlich dafür sei, dass
die Lokführer nun auf eigene Faust handeln, ja sogar müssen, wird
gefragt. Wie z.B. Transnet die Interessen der Lokführer abgebildet
hat, darüber können viele nur noch lachen und zeigen Verständnis
für den GDL-Kurs.

Klar, dass es da nicht weit ist zu der
Frage, wie der DGB überhaupt die Interessen der Arbeiterschaft
vertritt. Der Gleichklang in der Rhetorik der DGB-Führungen und der
Arbeitgeber sowie das rührende Plädoyer der Unternehmer für die
Gewerkschaftseinheit lassen auf jeden Fall viele aufhorchen. „Lobt
dich der Gegner, dann ist das bedenklich; schimpft er, dann bist du
in der Regel auf dem richtigen Weg“, soll August Bebel einst gesagt
haben. Schenken wir dem Glauben, stellt sich die Frage: Macht der DGB
alles falsch oder sieht er die Unternehmer gar nicht als Gegner?

Das Konzept der Einheitsgewerkschaft

Blöde Frage natürlich, denn beides
ist zutreffend. Der DGB war von Anfang ein schizophrenes Ding – und
ist es immer noch. Das Konzept der Einheitsgewerkschaft basiert ja
weniger auf dem Gedanken, die Arbeiterklasse im Klassenkampf zu
einen, als sie organisatorisch in Sozialpartnerschaft und
Korporatismus zu integrieren. Dass sie offiziell als Vertretung der
abhängig Beschäftigten fungiert, ist dabei nur notwendiges Etikett
– was jedoch keinesfalls das aufrichtige Engagement zahlreicher
BasisgewerkschafterInnen in Abrede stellen soll.

Als der DGB in der Nachkriegszeit von
oben gegründet wurde, erfolgte dies nach der Gewerkschaftspolitik
der West-Besatzungsmächte, die die Einheitsgewerkschaft als
„Bollwerk gegen Kommunismus und Radikalismus“ verstanden wissen
wollten. Sie sollte den Unmut der Arbeiterschaft kontrolliert
kanalisieren und radikalen Forderungen den Wind aus den Segeln
nehmen. Von Anfang an funktionierte sie so als Instrument der
Entpolitisierung und Klassenintegration. (Nebenbei: Es mag hart und
womöglich polemisch klingen, aber man kann es nicht oft genug sagen:
Der Korporatismus ist eine Konzeption, die dem Faschismus entstammt,
sogar zu seinem Kern gehört.)

Eine Arbeitnehmervertretung vertritt
nun mal nicht immer die Interessen von Beschäftigten. Bei der Ortung
ihrer Position im politischen Koordinatensystem dürfen wir nicht dem
Fehler verfallen, offizielle Etiketten für bare Münze zu nehmen.
Man mag viele Gründe für die integrationsorientierte
Gewerkschaftskonzeption des DGB haben, über eines dürfen wir uns
aber nichts vor machen: In erster Linie erfüllt er die regulierende
Funktion, den sozialen Frieden zu garantieren; erst in zweiter (oder
gar dritter) Linie vertritt er die Interessen der Arbeiterschaft. Das
ist das grundlegende Prinzip, dem der rote Faden seiner Geschichte
folgt – von damals bis heute.

Einheit und Solidarität – ein
Missverständnis

Dass große Teile der Arbeiterschaft
ihr Bedürfnis nach gewerkschaftlicher Vertretung in den DGB hinein
projizieren, mag verständlich sein. Seine Erfolgsgeschichte war
immer schon verbunden mit einer allgemeinen Alternativlosigkeit, wie
überhaupt die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung traditionell
arm an alternativen Konzepten und Ideen ist. Die sozialdemokratische
Konzeption (inkl. des Bolschewismus) hatte in Deutschland stets eine
Hegemonie in der Arbeiterschaft, wie in kaum einem anderen Land, so
dass diese geradezu normativ wurde.

Diese Tradition – angefangen bei den
Freien Gewerkschaften –, die die Gewerkschaften auf rein
ökonomische Belange festlegte und immer mehr einen
Nationalisierungsprozess des Proletariats bedingte, setzte sich mit
dem DGB in verschärfter Weise fort. Es nimmt so nicht wunder, wenn
in Deutschland der Gewerkschaftsgedanke mit der Konzeption des DGB
per se gleichgesetzt und Abweichungen als bedauernswert empfunden
werden. Dies zeigt sich in der aktuellen Debatte deutlich. Zahlreiche
BasisgewerkschafterInnen haben Verständnis für den Kampf der GDL,
möchten aber dennoch nicht an dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft
rütteln, weil sie in deren Aufweichung eine Schwächung der
Gewerkschaftsmacht und eine Entsolidarisierung sehen.

Das Bedürfnis nach Arbeitermacht und
Solidarität ist zwar wichtig und richtig. Aber, man muss es klipp
und klar sagen, dies im DGB gegeben zu sehen, folgt ebenfalls der
Logik, Arbeiterinteressen mit dem DGB gleichzusetzen und keinen
Widerspruch zu dulden. Die Frage, ob die Struktur der sog.
Einheitsgewerkschaft Arbeitermacht und Solidarität überhaupt
zulässt, wird dabei nicht gestellt. Die Forderung nach Einheit
verkommt zum Formalismus.

Genau das war schon immer eine Essenz
des revolutionären Syndikalismus. Seine ganzen Überlegungen galten
stets dem Problem, was die strukturellen Bedingungen dafür sind,
dass Gewerkschaften vital bleiben und sich nicht korrumpieren lassen.
Die Frage nach kämpferischen Basisstrukturen und die Kritik an
Hierarchien und Reformismus folgten niemals einem moralischen
Selbstzweck. Dem revolutionären Syndikalismus war diese Struktur-
und Methodenfrage immer äußerst wichtig, während sich die
sozialdemokratischen Gewerkschaften dazu geradezu naiv verhalten
haben und unfähig waren, ihre eigene Funktion in den
Herrschaftsverhältnissen zu erfassen.

Jetzt, wo die Zeit des Ausgleichs
vorbei ist, das System des Korporatismus zu Ende geht und das Kapital
einseitig den Waffenstillstand beendet hat, zeigt sich erneut, wie
wichtig diese Überlegungen sind. Die Unfähigkeit des DGB, auf die
Angriffe des Kapitals zu reagieren, haben die SyndikalistInnen schon
lange und ungehört prognostiziert. Jetzt steht die Basis da, ohne
Plan, und muss von vorne anfangen.

Das Dilemma der Gewerkschaftslinken

Ambitionen können noch so ehrlich
sein, Strukturen, die ja immer konstitutiv auf die Praxis wirken,
können sie im Effekt jederzeit verdrehen oder gar ins Gegenteil
verkehren. Bei allem Gerede von Solidarität und Einheit, die
DGB-Konzeption macht daraus zwangsläufig eine Farce.

Steht z.B. das Prinzip der
Industriegewerkschaft dafür, Trennungen und Rivalitäten zwischen
ArbeiterInnen (Fach, Beruf, etc.) aufzuheben, verkommt es beim DGB zu
einer stumpfen Klinge, da er in seiner reformistischen Ausrichtung
auf verschiedenen Ebenen Friedenspflichten eingeht, die der wirksamen
Solidarisierung innerhalb einer Industrie (z.B. durch
Unterstützungsstreiks) entgegenstehen. Gleichzeitig wird die
Einkommensspaltung der Berufsgruppen zementiert. Man wirft z.B. den
Lokführern vor, sie spalteten und nutzten ihre Verhandlungsmacht
jetzt nur für sich, statt sie zum Nutzen Aller einzusetzen.
Heuchelei! Jahrelang hat man nichts dafür getan, dass es durch deren
Verhandlungsmacht zu einer konsequenten Anhebung der Löhne unterer
Gruppen kam, während die Lokführer ständige Verschlechterungen
hinnehmen mussten. Auch verschließt der DGB mit der Reduzierung auf
ökonomische Belange vor politischen Problemen die Augen, die alle
ArbeiterInnen betreffen. Solidarität und Einheit sind so nicht mehr
als Phrasen. Für sie bedarf es schon einer Organisation auf
Klassenbasis. (Insofern ist auch die GDL zwar fähig, kämpferisch
aufzutreten, strukturell aber kaum in der Lage, praktische
Solidarität zu üben.)

Genau darin besteht das Dilemma der
Gewerkschaftslinken, die verbissen daran festhält, dass sich der DGB
von innen reformieren ließe. Damit aber reduziert sie die Frage nach
dem Charakter des DGB auf personelle Fragen und ideologische Nuancen,
ohne die grundlegende Konzeption ernsthaft in Frage zu stellen. Und
geschieht dies doch verbal, so steht man praktisch dabei auf
verlorenem Posten. Der Apparat hat seine eigene Dynamik und wird die
innere Opposition stets eingedämmt lassen und ihre positiven
Potentiale absorbieren (siehe dazu auch „Kämpfen
wie in Frankreich?
“). Den DGB kämpferisch und solidarisch
zu gestalten, ist genauso überflüssig – und vor allem perspektivlos
– wie die katholische Kirche zum Islam bekehren zu wollen. Wer
Klassenkampf und Solidarität meint, muss sich auch nach diesen
Prinzipien organisieren – ohne Wenn und Aber.

Holger Marcks

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