Der Kampf der Entrechteten

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Es ist ein unfairer
Kampf: Meist kommen sie in den frühen Morgenstunden, in großen
Gruppen, sie dringen in Büros und Baustellen ein und halten dort
Versammlungen ab. Gegen die Polizei verteidigen sie sich mit
Journalisten und dem Verweis auf das Streikrecht. Und wenn sie dann
doch geräumt werden, ziehen sie weiter zur nächsten Firma. Man
könnte die französische Regierung, das Ziel dieser „Angriffe“,
fast bedauern. Doch es sind die Opfer dieser Regierung, einfache
ArbeiterInnen, die sich so zur Wehr setzen.

Anfang Oktober kündigten
elf Organisationen, darunter die größten Gewerkschaften des Landes,
aber auch die traditionsreiche Menschenrechtsliga, diese Streikwelle
an: In einem offenen Brief forderten sie von der konservativen
Regierung einheitliche und vereinfachte Regelungen bei der Vergabe
von Aufenthaltsgenehmigungen für Beschäftigte. Damit stoßen sie
auf ein enormes Echo: Als der Streik am 15. Oktober begann,
beteiligten sich 2.000 Beschäftigte. Mit jeder Woche wuchs ihre Zahl
auf das nunmehr Dreifache.

Leben
in der Dauerkrise

Bis zu 400.000 Menschen
leben illegal, d.h. ohne gültige Papiere in Frankreich. Die
allermeisten arbeiten, häufig unter falschem Namen. Es sind vor
allem die arbeitsintensiven Branchen, in denen die „Sans Papiers“
unverzichtbar sind: auf dem Bau, in Leiharbeit und Gastronomie, sowie
im Reinigungs- und Pflegebereich. Sie zahlen Steuern und
Sozialabgaben, haben aber keinen Anspruch auf die sozialen
Leistungen.

So berichten Einwanderer
von mittelalterlichen Arbeitsbedingungen bei der Erneuerung der
Pariser Metro-Stationen: Da wird der Teer auf kleinen Wagen per Hand
herbeigeschafft, ohne Masken, Sicherheitsschuhe etc. Wer einen Unfall
hat, pflegt sich selbst. Ganz anders, aber ebenso prekär ist die
Lage der Frauen, die in unzähligen Privathaushalten die Kinder- und
Altenpflege übernehmen – in ihrer Vereinzelung haben sie kaum
Gelegenheit, ihre Lage zu verbessern.

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Obwohl sie nicht zu den
Unterzeichnern gehört, unterstützt die anarchosyndikalistische CNT
die Bewegung im Großraum Paris nach Kräften. Mit dem
Reinigungssyndikat beteiligt sie sich auch direkt und trägt den
Streik in zwei der 2.000 vom Streik betroffenen Firmen. In Lyon
nutzten die GenossInnen die Gunst der Stunde und setzten die
Legalisierung zweier Köche durch. Im übrigen Land begannen die
Sammlungen für die Streikkasse. Denn allen ist klar: Dieser Kampf
wird ein langer.

Auch die anderen
Organisationen, insbesondere die Gewerkschaft CGT, bemühen sich,
Lehren aus den vorhergehenden Streiks zu ziehen: Eine erste große
Mobilisierung hatte es im Frühjahr 2008 gegeben. Auch damals
beharrte die Regierung auf einer „Einzelfallprüfung“. Die CGT
ihrerseits wurde von den eigenen Mitgliedern scharf kritisiert, die
mitstreiken wollten, aber nicht durften, weil ihre Gewerkschaft dies
ablehnte. Daraus resultierte die Besetzung der CGT-Arbeitsbörse
durch Sans Papiers, die den Mitgliedsausweis der Gewerkschaft
besaßen. Diese Besetzung wurde im Sommer 2009 von CGT-Ordnern brutal
geräumt.

Die neue Bewegung setzt
nun darauf, dass sich alle beteiligen können. Dazu dienen die
besetzten Örtlichkeiten größerer Baustellen, Firmen oder Verbände.
Vereinzelte Beschäftigte finden hier Unterschlupf.

Ein
verbissener Kampf

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Nach zehn Wochen des
Kampfes zeichnet sich ein gewohntes Bild: Die Regierung bleibt hart,
die CGT bleibt vernünftig, und die Sans Papiers bleiben fest
entschlossen. Inzwischen beteiligen sich mehrere hundert
Hausangestellte, und auch die chinesische Community, insbesondere
Frauen, stellt einen beachtlichen Teil der Bewegung.

Mitte November hatte das
Immigrations-Ministerium ein neues Dekret zur Vergabe der
Genehmigungen erlassen. Die Verbesserungen waren minimal, etwa für
LeiharbeiterInnen, die sich besonders stark an dem Streik beteiligen.
Auf 1.000 Genehmigungen „schätzt“ der zuständige Minister den
Umfang möglicher Legalisierungen. Die Regierungsvertreter bemühen
sich nun, ArbeiterInnen ohne Papiere mit Sozialbetrügern in einen
Topf zu werfen. Schließlich sind die Regionalwahlen im Frühjahr
nicht mehr fern.

In der Bewegung herrscht
derweil Einigkeit, den Streik fortzusetzen und keine Anträge
einzureichen, solange wesentliche Forderungen nicht erfüllt sind.
Erwogen wird auch die Ausweitung der Bewegung auf die Provinz, wie
sie die CNT seit langem fordert. Aber ohne die Mitwirkung der CGT
wird das nicht möglich sein. Und jene hält sich noch sehr bedeckt.

André
Eisenstein, STICS 13 CNT, Marseille

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