Kiddy Citny: „… das Nichts und das Alles ist das Beseelte“

Kiddy Citny initiierte immer wieder neue Brüche in Kunst und Musik mit.Als
wir Anfang letzten Jahres Alexander Hacke interviewten, legte er uns
Fred Alpi ans Herz, sein Ex-„Sprung-aus-den Wolken“-Bandmitglied
von vor dreißig Jahren. Fred Alpi trafen wir daraufhin beim
CNT-Festival in Paris. Bei weiteren Recherchen stellten wir fest,
dass dieses Bandprojekt von Kiddy Citny mit neuer Energie den Sprung
in die Zukunft wagt. So ist eine Veröffentlichung neuer Songs für
Anfang 2010 geplant. Anlass für einen Atelierbesuch in Berlin bei
Kiddy Citny, der seine Existenz hauptsächlich (noch) als Maler
zumeist eruptiv-erotischer Bilder bestreitet.

Fast
alle stilprägenden Punk- bzw. Wave-Gruppen von vor dreißig Jahren
wie DAF, Einstürzende Neubauten und Fehlfarben haben sich in letzter
Zeit ambitioniert zurückgemeldet. Und jetzt Sprung aus den Wolken?
„Ich schwimme gegen den Strom bis zur Quelle und finde das Nichts…“
habt ihr vor dreißig Jahren aufgenommen. „Dass die Texte
nach wie vor verständlich sind, ist Teil der Kunst, die einfach
zeitlos und beseelt ist. Bei meinen Texten oder Bildern finde ich es
wichtig, dass die Werke beseelt sind. Dann ist die Zeit endlos. Das
Werk ist für immer aktiv“,
antwortet Kiddy Citny. „Das
Nichts und das Alles ist das Beseelte. Das aktive Leben, das Leben im
Strom, aktiv sein…..Energie und sehr viel Liebe zum Leben. Das war
ein Samen, und so kam eine Pflanze zum Leben.“
Diese Pflanze
hatte im Kontext von alternativen Lebensentwürfen und punkigem
Do-it-yourself-Prinzip gegen die triste Alltagswirklichkeit gute
Wachstumschancen. Doch scheiterte diese Szenerie keineswegs nur an
kapitalistischen Realitäten. „Wo gibt es heute noch besetzte
Häuser, Alternativkultur, Lebendigkeit? Überall diese
Durchstrukturierung von Städten, Gentrification, Glasbauten und
Coffeeshops. Alte Quartiere werden platt gemacht. Doch langsam regt
sich Widerstand
. Welche Töne für welche Zeit? Als damals
Nena und Hubert Kah kamen, diese Spaßbands, war alles vorbei“,
resümiert Kiddy Citny.

Die
Mauer ad absurdum führen

Spontane Zeichnung Kiddys unserer Autoren Jorinde und Klaus Peter.

Nach
dem vermeintlichen Punkende hat sich Kiddy auf die Malerei
konzentriert. Aber nicht nur im Atelier hat er seine
explosiv-meditativen Menschenskizzen in intensive Farben gesetzt:
Die Mauerbilder entstanden, weil Thierry Noir und ich die Mauer
ad absurdum führen wollten. Wir wollten Berlin mit Kunst
einschließen und haben angefangen, hunderte von Metern zu bemalen.
Leider ist uns der Mauerfall zuvor gekommen (
schmunzelt),
sonst wären wir immer noch beim Malen an der Mauer.“
Teile
dieser Mauerkunstwerke landeten in internationalen Museen. Im
Jubeljahr 2009 ist er mit der Reproduktion seiner Mauermotive
beschäftigt, „damit dann auch wieder sehr viel Zeit und Energie
in die Musik fließen kann.
Im Frühjahr 2009 kam ich zu dem
Entschluss, wieder mehr Musik zu machen.“
Genervt habe ihn,
„dass die Malerei viel sachlicher und trockener behandelt wird.
Die Leute flippen ja nicht aus, fangen nicht an zu tanzen.“

Es
fehlt ein Aufschrei bei jungen Bands

Gerade
von jüngeren Bands vermisst Kiddy Citny klare Statements zur Zeit:
Es gibt ja alte und junge Bands, die ambitioniert sind, Peter
Fox, Jan Delay…, nur ist das alles so radiotauglich in Watte
gepackt. Es fehlt ein Aufschrei.
Es geht ja um das
Einmischen.
“ Kiddy Citny hält fest an der
bohèmehaft-rebellischen Attitüde. „Es ist wichtig, die Klammer
zwischen Musik und Engagement hinzubekommen.
Bilder sind das
Tor zur Welt – wie ein Manifest. Musik ist genau so ein Tor zur Welt.
Die meisten Songs werden aber erst mal für einen selbst, nicht für
die anderen geschrieben. Im Moment merke ich, wie existenziell meine
Arbeit ist. Wie ein Wort trennen kann, wie Wörter die Atmosphäre
vergiften können. Ein Wort – und alles ist vorbei. Was für eine
Macht ein Satz, ein Wort hat.“
„Sprung“, wie sich die Band
jetzt nennt, hat schon immer mit starken und manchmal auch bedrohlich
wirkenden Artikulationen gearbeitet.

Ein
Tabula-rasa-Gefühl

Ich
mache nach wie vor Realitätsbeschreibungen. Wie im Song ‚Kalte
Liebe‘: Du lebst schon in diesem Text, ich hab da was gesungen, was
drei Monate später eingetroffen ist. Das hat mir gezeigt, wie wahr
Worte sind. Aber Angst kann nur das machen, was man nicht verträgt.
‚Kalte Liebe‘ macht mir selber ein bisschen Angst, da stehe ich
selber drin. Bin Täter und Opfer. Täter der Sehnsucht und Opfer der
Leidenschaft, mein eigenes Täteropfer. Was für ein Wesen habe ich
da erschaffen, das mir selber die Beine weghaut?! Jeder hat seine
Angstfaktoren, und wenn man an denen nicht arbeitet, fressen sie dich
auf. Dann ist es zu spät. Wenn ich sie bewältige, ist es wie ein
neues Leben. Das Leben ist schön. Also bloß
nicht in der
Nostalgie, in der Wehmütigkeit verrecken. Den identitären Kern
bewahren, sich auf das Morgen freuen. Mit ‚morgen‘ meine ich
alles, was nach jetzt ist. Ich habe da so ein Tabula-rasa-Gefühl.
Das ist schon sehr existenziell, nichts für schwache Nerven. Aber:
Schwarz kann das ab….“

Jorinde
Reznikoff / Klaus-Peter Flügel

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