Streik im Buch

Dass dabei Bücher zu aktuellen Streiks erscheinen, wie etwa
das Buch zum halbjährigen Streik bei Gate Gourmet Düsseldorf oder der Film „Es
geht nicht nur um unsere Haut“ über den Streik bei den
Bosch-Siemens-Haushaltsgerätewerken (vgl. Direkte Aktion Nr. 180), ist naheliegend,
gleichzeitig nehmen sich kritische Verlage aber auch vermehrt der Geschichte
des Streiks wieder an. Exemplarisch seien drei Bücher vorgestellt, die sich
unter verschiedenen Aspekten mit der Geschichte des Streiks auseinandersetzen.

Lucy Redler hat sich der Geschichte der politischen Streiks
in Deutschland angenommen. Die ‚rote Lucy’ ist aktiv in der SAV (Sozialistische
Alternative) und für die PDS im Berliner Stadtrat. ‚Politisch’ sind Streiks für
Redler, wenn sie entweder im marxistisch-leninistischen Sinne eines kollektiven
Klassenbewusstseins geführt wurden oder aber der staatlich-juristischen
Definition entsprechen. Beide Ansätze sind durchaus tauglich, um eine Streikuntersuchung
vorzunehmen. Aber: nicht gleichzeitig, denn sie schließen sich aus. Beide
anzuwenden, führt zu einer hochgradigen Beliebigkeit. Redler hätte jeden Streik
untersuchen können und diesen in ihrem Sinne als ‚politisch’ definieren können.
Stattdessen, und das ist das zweite Problem an ihrer Arbeit, konzentriert sie
sich aber auf die großen Ereignisse: Ihre Arbeit ist insofern keine Arbeit über
das reale Streikgeschehen, sondern über die öffentliche Erinnerung an Streiks.

Im Gegensatz zu Lucy Redler hat Peter Birke sich in seiner
Doktorarbeit „Wilde Streiks im Wirtschaftswunder“ auf das Kleine konzentriert.
Die Streiks, die Peter Birke vergleichend in Dänemark und Deutschland
untersucht, fanden nicht immer ihren Weg in die Medien, und das durchaus beabsichtigt:
Der Arbeiterwiderstand, den Birke untersucht, war oftmals illegal und sollte
gar nicht an die Öffentlichkeit dringen, damit er nicht zu einem (kriminellen)
‚Fall’ wird. Damit hat er sich einer nahezu nicht zu bewältigenden Aufgabe
verschrieben, denn Berichterstattung, Dokumentation und Statistik sind hier nur
schwer zu finden. Offizielle Streikstatistiken in Deutschland etwa registrieren
erst Streiks, wenn diese von mehr als zehn Personen geführt werden und mehr als
100 Tage Arbeitsausfall zur Folge haben.

Während man aus Redlers Buch schließen müßte, dass es bis
heute eigentlich keine politischen Streiks im Nachkriegsdeutschland gab, zeigt
Peter Birke, wie relevant auch unbekanntes Streikgeschehen letztendlich für
politische Bewegungen war. Dass, wie bei Redler, ein Streik im marxistischen
Sinne erst dann „politisch“ ist, wenn er im Sinne der ganzen
ArbeiterInnenklasse geführt wird, führt eine Diskussion über den Streik nicht
weiter, denn in diesem Sinne könnte es heutigentags — abgesehen von einer
sozialen Revolution — schlechterdings keine politische Streiks geben.

Da kann man nur den Herausgebern des Sammelbandes „Die
großen Streiks“ recht geben: „[E]ine Trennlinie zwischen ökonomischen und
politischen Streiks existiert für uns […] nicht“ (S.12), denn eine
Untersuchung ‚politischer Streiks’ im juristischen Sinne anzustreben, kann nur
bedeuten, ein herrschaftliches Verständnis dieses Begriffs zu reproduzieren.
Streik als kollektiver Widerstand von Arbeitenden setzt kein vorheriges
kollektives Klassenbewusstsein voraus, sondern schafft es erst — und das gilt
für alle Streiks. Insofern ist entweder jeder oder kein Streik politisch — je
nachdem, was man unter ‚Politik’ versteht.

Mit dem Streiktheoretiker Edgar Weick muss man ihr eine
wesentliche Erkenntnis der Streikforschung entgegenhalten: Die Arbeiterklasse
hat gestreikt, als es ihre Theoretiker für unmöglich hielten, und oft nicht
gestreikt, als die Theoretiker von der Notwendigkeit eines Streiks überzeugt
waren“ (1971).

Sowohl Peter Birke als auch Matthias Seifert und Holger
Marcks bzw. die von ihnen versammelten AutorInnen haben sich wesentlich mehr
Mühe geben, eine Geschichtsschreibung von unten zu betreiben. Bei ihnen ist
nicht wichtig, warum gestreikt wurde oder gestreikt hätte werden ‚müssen’,
sondern allein, dass gestreikt wurde.

Lucy Redlers Buch erscheint als nicht überarbeitete
Magisterarbeit, die nur publiziert wurde, damit der neue Star der Linken eine
Publikation vorzuweisen hat. Alle Daten und Fakten dieses Buches sind woanders
zu bekommen. Als Einführung in das Thema taugt es dennoch, ist aber mit
Vorsicht zu genießen. Peter Birkes Arbeit dagegen ist ohne Übertreibung
bahnbrechend. Es erfordert Geduld und Zeit, dieses sprachlich schön
geschriebene Buch durchzuarbeiten, aber es ist die Mühe wert. Gerade aus
basisgewerkschaftlicher Sicht ist es erfreulich, dass Birke sich der Geschichte
des ‚kleinen’ Widerstands verschrieben hat. Die Sammlung der großen Streiks von
Marcks und Seiffert schließlich ist ein hervorragendes Lesebuch, das immer mal
wieder zur Hand genommen werden kann. Sie berichten, wie ja auch der Untertitel
kund tut, „Episoden aus dem Klassenkampf“ und man kann nur sagen: Auftrag
erfüllt.

Torsten Bewernitz

Die Bücher

  • Marcks, Holger und Matthias Seiffert (Hg.): Die großen
    Streiks. Episoden aus dem Klassenkampf.
    Unrast-Verlag, Münster 2008. 14,80 EUR
  • Redler, Lucy: Politischer Streik in Deutschland nach 1945.
    Neuer ISP-Verlag, Köln/Karlsruhe 2007. 14 EUR
  • Birke, Peter: Wilde Streiks im Wirtschaftswunder.
    Arbeitskämpfe, Gewerkschaften und soziale Bewegungen in der Bundesrepublik und
    Dänemark.
    Campus-Verlag, Hamburg/New York 2007. 39,90 EUR

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