Die Kleinen wie die Großen

Frische Milch wird tonnenweise in Gullis gekippt oder auf
Feldern versprüht. Mehrere Tage durfte man solche Aktionen der streikenden
Milchbauern Ende Mai/Anfang Juni über die Medien verfolgen. Hintergrund dieser
Aktionen ist, dass die Landwirte nach Aufruf des Bundesverbands der
Milchviehhalter (BDM) einen Lieferboykott gegen den Handel verhängt hatten, um
damit höhere Abnahmepreise für den Liter Milch zu erzwingen. Tatsächlich zeigte
der Lieferstopp seine Wirkung: Molkereien mussten ihre Produktion drosseln, im
Handel kam es zu Lieferengpässen. Durch den damit aufgebauten Druck sind die
Milchbauern ihrem Ziel ein Stück näher gekommen. Der BDM sieht nun gute
Chancen, höhere Erzeugerpreise flächendeckend durchzusetzen – was der
wesentlich größere Bauernverband mit seiner Lobby-Arbeit bisher nicht
vermochte.

Die Bauern machen sich damit nicht überall beliebt,
nichtsdestotrotz hat ein hoher Anteil der deutschen Bevölkerung Verständnis für
ihr Anliegen. Der Schuh drückt im Wesentlichen woanders, und das betrifft das
konkrete Vorgehen der Milchviehhalter. Die Gewerkschaft NGG beispielsweise
zeigte sich empört und befürchtete, dass Arbeitnehmer durch die Aktionen von
Kurzarbeit oder gar Arbeitsplatzverlust betroffen seien. Das ist nicht ganz
falsch, doch sollen die Milchbauern deshalb auf ihr einziges Druckmittel
verzichten? Der DGB mag Symbolik lieben, die Bauern zumindest wissen, dass man
damit nichts erreicht.

Hier zeigt sich ein grundlegendes Problem: Die Milchbauern
sind für die NGG kein potentielles Klientel, auch wenn sie in derselben Branche
arbeiten: Als Selbstständige gelten sie als Unternehmer. Das allerdings ist
eine grobe Fehleinschätzung. Tatsächlich gibt es zahlreiche Bauern, die
Unternehmen im eigentlichen Sinne führen, Leute beschäftigen und ausbeuten. Die
können uns auch relativ egal sein und verdienen keine Unterstützung. Die
Mehrheit der Milchbauern jedoch sind zwar keine „Arbeitnehmer“, doch die
Selbstständigkeit ist auch bei ihnen nicht mehr als eine Farce. Beschäftigt
sind meist nur sie selbst. Die Tatsache, dass die Milchbauern ihre
Produktionsmittel selbst besitzen, macht sie noch nicht zu Unternehmern. Ein
Schuhputzer auf der Straße erfüllt das gleiche Kriterium und befindet sich
dennoch in der Abhängigkeit, Arbeitskraft und Produkt zu verkaufen. Formalismen
spielen bei Klassenverhältnissen keine Rolle. Eine Gewerkschaft im
Nahrungsmittelbereich, die sich nicht von solchen Formalismen würde leiten
lassen, wäre womöglich in der Lage, die relevanten Milchbauern und ihre
Interessen einzubeziehen. Dann befände man sich gar nicht erst in dem Dilemma
eines Interessenwiderspruchs.

Zurück zum BDM: Ärgerlich ist v.a. die Tatsache, dass
Lebensmittel einfach vernichtet werden. Man muss nicht erst die Moral predigen,
dass man mit Essen nicht spielt, um daran Kritik zu üben. Vor allem unter
streikstrategischen Gesichtspunkten ist dies nicht gerade die konstruktivste
Vorgehensweise: Man stelle sich vor, die Bauern wären stattdessen mit ihren
Wägen in die Städte gefahren und hätten die Milch kostenlos an die Bevölkerung
abgegeben. Öffentlichkeitswirksam wäre das ebenso gewesen, und nicht nur das –
es wäre auch viel effektiver. Die Verbraucher hätten dann keine
„Streikbrechermilch“ mehr kaufen müssen, was den Handel noch viel stärker
getroffen hätte. Gleichzeitig wäre auch dies eine Aktion der sozialen
Verantwortlichkeit gewesen (siehe DA #187, S. 5), die auch das Interesse der
KonsumentInnen berücksichtigt. Zusätzliche Sympathie und Unterstützung wären
den Bauern sicher gewesen. Daraus lernen wir, dass auch Bauern ähnlich ticken
wie Studierende: Medieneffekte und Symbolismus sind ihnen wichtiger als die
Entfaltung der Druckpotentiale. Irgendwie scheint keiner den Mut zu haben, das
Konzept Streik konsequent zu Ende zu denken.

Holger Marcks

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