Editorial

Immer wieder verblüffend, diese hysterischen Massen, die
sich kollektiv in einen animalischen Taumel der Besinnungslosigkeit begeben.
Freilich, Alkohol durchfließt dabei zahlreiche Blutbahnen, doch die primäre
Rauschsubstanz ist ein eckiges Textilwerk, das es in mannigfachen Variationen
gibt, um damit die verschiedenen Triebmuster bedienen zu können. Man könnte
viele wichtige politische und philosophische Argumente abwägen, um
festzustellen, dass dieser Flaggenkult abzulehnen ist. Man könnte sich aber
auch mit einem einzigen begnügen: Es ist widerwärtig! Ich persönlich wage zu
behaupten, es wäre kultivierter, seinen NachbarInnen in einem vollurinierten
Benjamin-Blümchen-Schlafanzug David-Hasselhof-Lieder vorzuträllern, als
irgendwelchen nationalen Hymnen und Flaggen zu huldigen. Soviel zum
ästhetischen Gesichtspunkt.

Zugegeben, der FAU-Merchandise hat es wieder mal versäumt,
aus dieser Situation Profit zu schlagen. Schwarz-rote Autofähnchen im Angebot
hätten sich sicherlich scheffelweise unter die zahlreichen Liebhaber hupender
Autokorsos bringen lassen. Eventuelle Kaufzweifel aufgrund eines den
Gewohnheiten zuwiderlaufenden Fehlens der vertrauten dritten Kolorierung ließen
sich problemlos aus der Welt schaffen mit dem Vermerk, dass die Farbe „Geil“
leider nicht mehr vorrätig war. Ohnehin gehöre doch dem schlichten Schwarz-rot
die Zukunft.

Dafür müssen wir nicht erst unsere utopische Phantasie
spielen lassen und uns vorstellen, wie nach der syndikalistischen Revolution
allerorts das Pseudogold an den Schlandfahnen abgetrennt wird (ein
Recycling-Problem dürften wir diesbezüglich wohl nicht haben). Nein,
Schwarz-rot ist auch jetzt schon voll im Trend: immer mehr Linke putzen ihr
Demoutensilien damit auf; und wie ich unlängst feststellen durfte, gibt jetzt
sogar schon ver.di schwarz-rote Streikplakate heraus. Auch hier könnte der
Profitriecher ausschlagen. Denn jedes Gericht würde uns in einer Klage gegen
diesen offensichtlichen Etikettenschwindel Recht geben.

Denn ungeachtet aller kämpferischen Ambitionen der
Dienstleistungsgewerkschaft sieht es mit deren Eignung zum Klassenkampf doch
recht bescheiden aus. Zu der dilletantischen Streikführung im BVG-Konflikt
(siehe letzte Ausgabe) gesellt sich die Katastrophe, die sich seit geraumer
Zeit im Einzelhandelskonflikt darbietet. Gleichzeitig fungieren
ver.di-Mitglieder als Streikbrecher im Konflikt bei der Frankfurter Rundschau.
Und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich zudem vermuten, ver.di hätte die
Finger im Spiel gehabt beim Streik der Milchbauern. Auch hier gab es einige
Dämlichkeiten. Sorry, liebe Bauern, aber man muss die Dinge beim Namen nennen.

All diese verlorenen, weil dilletantisch geführten Auseinandersetzungen
verursachen eine Art Mitleid bei mir. Da kommt man auch schon mal auf skurrile
Ideen. Wie wäre es z.B. Beispiel, wenn wir in einem Anflug der Großzügigkeit
ver.di einfach mal ein paar anarchosyndikalistische Offensivspieler in/an die Spitze
und ruchlose Streikexperten als Berater zur Seite stellen würden. Da unsere
Mannschaft ja gerade sowieso noch zu klein ist, um selbst effektiv am
Spielbetrieb teilnehmen zu können, dürfte diese Leihgabe in Ordnung gehen.
Allerdings sehe ich wenige Chancen, dass ver.di auf dieses gönnerhafte
Transferangebot eingehen wird. Die Gewerkschaft wird wohl im Leben nicht an
ihrem System rütteln. Und das folgt dem dialektischen Prinzip, Profispieler mit
exorbitanten Gehältern konsequent wie Amateure spielen zu lassen.

Aus dem alpinen Nadelwald,
Subredakteur Marcks

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