„Die Zukunft der Demokratie liegt in der Syndikalisierung der Maquiladora-ArbeiterInnen“

Wenn man in Deutschland in den Medien etwas aus dem mexikanischen
ArbeiterInnenleben mitbekommt, so oft aus den Maquiladoras. Typisch ist das für
die Bekleidungsindustrie. Zwar hat sich die Maquiladora-Industrie in den
letzten Jahren verschoben: Die bekannten Bilder einer Unzahl von Näherinnen,
die unsere Jeanshosen und T-Shirts produzieren, reduzieren sich in Mexiko
massiv. Sie wandern nach Asien — insbesondere China – ab. Im Norden Mexikos
sind häufig Elektrofirmen Träger der Maquiladoras. Sie lassen hier Kleinstteile
anfertigen oder zusammenbauen. Maquiladoras zeichnen sich dadurch aus, dass sie
mit oft nur zeitweilig importierten Maschinen Rohmaterial und Halbfertigwaren
verarbeiten und diese wieder exportieren. Sie sind von internationalen
Konzernen betrieben, die nur geringe Zölle und Steuern zahlen müssen. Arbeits-,
Gesundheits-, und Umweltbestimmungen werden oft umgangen bzw. gelten für die
Maquiladoras nicht, da sie sich in extra eingerichteten ‚Freien
Produktionszonen’ mit Sonderegelungen befinden: Der Kündigungsschutz wird
aufgehoben wie auch Arbeitszeitregelungen — nach oben wie nach unten. Für
Mexiko hat sich diese Definition der Maquila teilweise erübrigt: Freie
Produktionszonen mit Sonderreglungen sind nicht mehr nötig, weil das
nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA das Prinzip der Maquiladora
„nationalisiert“ hat.

Eine unabhängige Gewerkschaft in der Maquila

Kukdong, Puebla. Nach übereinstimmenden Aussagen der CAT in
Puebla und CETLAC in Ciudad Juarez ist Kukdong (Puebla, u.a. Produktion für
Reebok und Nike) die einzige Maquila in Mexiko, in der eine unabhängige
Gewerkschaft aktiv dauerhaft anerkannt blieb. Der Konflikt bei Kukdong
eskalierte, als die Maquila 2000 einen Betriebsvertrag mit der CROC abschloss.
Die ArbeiterInnen wurden dadurch geschlossen Mitglieder der CROC. Der Vertrag
sah auch deutliche Verbesserungen vor, wurde jedoch von Arbeitgeberseite nicht
erfüllt, und die offiziellen Gewerkschaftsvertreter drängten nicht auf
Erfüllung des Vertrags. Als daraufhin am 15. Dezember die ArbeiterInnen das
hygienisch unerträgliche Essen in der Kantine verweigerten, wurden die
vermeintlichen ‚Rädelsführer’ dieser Aktion entlassen. Diese Entlassungen
hatten die Organisation der ArbeiterInnen zur Folge: Bis zu 850 ArbeiterInnen
besetzten bis Mitte Januar 2001 die Maquila und gründeten die SITEKIM — die
unabhängige Gewerkschaft der ArbeiterInnen von Kukdong. Von einer Arbeiterin
stammt das Zitat: „Die Zukunft der Demokratie liegt in der Syndikalisierung der
Maquiladora-ArbeiterInnen“.

Maquilas an der Nordgrenze: Weitgehende
Gewerkschaftslosigkeit

Elisabeth Avalos Jaquez von CETLAC betont, in Ciudad Juarez
sind 40 Prozent der Maquiladora- ArbeiterInnen gewerkschaftlich organisiert,
jedoch ausschließlich in den korporatistischen Gewerkschaften CTM und CROC, die
als gelbe Gewerkschaften fungieren und z.B. Schutzverträge (vergleichbar
deutschen Tarifverträgen, aber nur in einem Betrieb gültig) aushandeln.

Julia Quiñonez von der CFO dagegen nennt für den Grenzort
Piedras Negras für das Jahr 1997 von allen gewerkschaftlich organisierten
ArbeiterInnen 85 Prozent, die der CTM angehören und zehn Prozent, die der CROC
angehören. Fünf Prozent der ArbeiterInnen waren ihr zu Folge in unabhängigen
Gewerkschaften organisiert. Während Cirila Quintero Ramirez vom Colegio de la
Frontera Norte betont, dass die Betriebsgewerkschaften in den korporatistischen
Verbänden oft kämpferischer sind als zu erwarten, besteht Julia Quiñonez auf
das Ziel der CFO: die Gründung neuer, unabhängiger Gewerkschaften.

Neokorporativismus

In Ciudad Juarez hängen sich die ehemals PRI-nahen alten
Gewerkschaften an die lokal regierende PAN. Es gibt aber auch die Fälle, in
denen die ehemals korporatistischen Gewerkschaften sich in einem Machtvakuum
auf die traditionelle Gewerkschaftsarbeit besinnen, während die neuen ‚unabhängigen’
Gewerkschaften sich den neuen Machteliten zuwenden. Die PRD umwirbt den
Dachverband UNT, und es ist kaum verwunderlich, dass eine neue Form des
Korporativismus — zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften — von deutschen
Sozialdemokraten gefördert wird.

Die Zahlen Cirila Quinteros sind zwar positiver als die
Aussagen von CAT und CETLAC, aber es bleibt festzuhalten: Eine ‚echte’ — d.h.
basisdemokratische, nur den Interessen der ArbeiterInnen verpflichtete —
gewerkschaftliche Organisierung in den Maquiladoras auf dauerhafter Basis gibt
es, mit der Ausnahme SITEKIM, nicht. Die Gründe dafür sind
historisch-gesellschaftlich, institutionell und materiell. Elisabeth Avalos
Jaquez betonte im Gespräch, dass in Ciudad Juarez kulturell und politisch ein
„Antisyndikalismus“ weit verbreitet sei. Die Geschichte des Korporativismus und
Charrismus (gewerkschaftliches ‚Cowboytum’) erklären dies zur Genüge –auch in
Ciudad Juarez wissen viele in CTM und CROC organisierte ArbeiterInnen nichts
von ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft.

Der institutionelle Aspekt der Gewerkschaftsfeindlichkeit
ist die Praxis der Gewerkschaftsanerkennung durch die staatlichen Juntas de
Conciliación y Arbitraje (Räte für Schlichtung und Versöhnung) — unabhängige
Gewerkschaften werden nur in den seltensten Fällen anerkannt. Im Falle der
Maquiladoras und insbesondere in Ciudad Juarez ist dieser Aspekt noch einmal
verschärft. CETLAC, Mitgliedsorganisation der FAT (die am ehesten
anarchosyndikalistische Ideen aufnehmende Organisation, in der sich einzelne
Mitglieder als AnarchistInnen verstehen), die wiederum Mitglied der UNT ist,
ist keine Gewerkschaft, sondern eine ‚associacion civil’ (‚a.c.’), ein Verein.
Elisabeth Avalos Jaquez hielt Gewerkschaftsgründungen in den Maquiladoras
oftmals für müßig. Als ‚a.c.’ dagegen sei es CETLAC möglich, z.B. auch
informelle ArbeiterInnen — ein Schwerpunkt sind die ‚Ambulantes’
(StraßenhändlerInnen) und Paqueteros (ParkplatzwächterInnen) — zu organisieren.

Es gibt also durchaus Organisationsversuche, jedoch nur
selten unter dem verpönten Schlagwort ‚sindicalismo’ und häufig nicht als
Gewerkschaft anerkannt. Dr. Miker Pallafox vom Colegio Frontera del Norte (Cd.
Juarez) berichtete auch von Widerstand in den Maquiladoras in Form von
Bummelstreik und Sabotage.

Elisabeth Avalos Jaquez dagegen äußerte, dass es keinerlei
Form von Widerstand in den Maquiladoras von Cidudad Juarez gebe — diese
unterschiedlichen Einschätzungen beruhen wohl darauf, dass CETLAC organisierten
Widerstand meint, Dr. Miker Pallafox dagegen auch die individuelle
ArbeiterInnenunruhe im Blick hat.

Maquiladoras: Tretmühlen des Kapitalismus

Wer mit den Maquila-ArbeiterInnen in Ciudad Juarez spricht,
wird nicht selten zu hören bekommen, dass diese zufrieden, gar glücklich sind:
Sie wohnen in Holzhütten in der Wüste in Sichtweite des Grenzzauns zu den USA
mit einem Verdienst von 2.600 Pesos (ca. 160 Euro) pro Person und Ausgaben von
ca. 10.000 Pesos im Monat für eine vierköpfige Familie — übrig bleibt also
nichts. Sie arbeiten sich in kürzester Zeit kaputt und stehen im Alter von 50
Jahren auf der Straße. Sie lassen Schwangerschaftstests, Strafen, sexuellen
Missbrauch durch Vorgesetzte mit sich geschehen, nehmen an von CTM, CROC oder
der Chefetage organisierten Schönheitswettbewerben teil und sind zufrieden und
glücklich.

Maquiladoras sind zwar Tretmühlen des Kapitalismus, aber der
Verdienst ist verhältnismäßig gut. Wer, um das Argument eines in den USA
arbeitenden Campesinos im Projekt ‚sin fronteras’ zu zitieren, vorher auf dem
Feld arbeitete, Geld für Saatgut und Pacht ausgeben musste und im Jahr 2.000
Pesos erwirtschaftete, die in der Maquila in einem Monat zu verdienen sind, und
auch damit eine vieroder mehrköpfige Familie ernähren musste, fühlt sich
glücklich und zufrieden. Wie an diesem Beispiel zu sehen ist, hängt der Kampf
der Campesin@s für Land und Freiheit auf das engste zusammen mit dem
Klassenkampf in den Weltmarktfabriken. Das Konzept der Maquiladora gibt es nun
bereits seit ca. 50 Jahren und es wäre davon auszugehen, dass sich eine
StammarbeiterInnenschaft etabliert hätte, die langsam mal aufbegehren könnte.
Die Tretmühlen verschleißen ihre „Humanressourcen“ aber in einer
Geschwindigkeit, die keine Zeit für das Aufbegehren lässt, holt sich regelmäßig
Nachschub aus den Reihen der Camepsin@s — an der US-amerikanischen Grenze
hauptsächlich aus Chiapas, Oaxaca und Guerrero — und proletarisiert diese. In
aller Regel sind es nicht die frisch Proletarisierten, die aufbegehren, denn
der Einstieg in die kapitalistische Arbeitswelt bei Verzicht auf das gemeinsame
‚ejido’ (kollektives Gemeindeland) oder das eigene Stück Land wird erst einmal
als ökonomischer Aufstieg verstanden. In den Maquiladoras gelten kaum
Arbeitsrechte, von einer ‚Würde am Arbeitsplatz’ ganz zu schweigen. Auf die
Frage nach sexualisierter Gewalt am Arbeitsplatz in den Maquiladoras antwortete
Elisabeth Avalos Jaquez: „Die Arbeit in den Maquiladoras ist Gewalt“.
Arbeitsrecht, Würde und die Abwesenheit von Gewalt sind aber in erster Linie
nicht die Bedürfnisse der ArbeiterInnen, sondern allein der ‚bessere’, weil
hinreichende, Verdienst. In diesem Sinne wird auch verständlich, warum der
Zapatismus im Süden viel präsenter ist als im Norden: Die Praxis der
zapatistischen Gemeinden spricht die Campesin@ s an, die dort bleiben wollen
und Land und Biodiversität gegen die Angriffe des Kapitals verteidigen. Die
Proletarisierten des Nordens bräuchten einen revolutionären Syndikalismus, aber
beides sind Begriffe, die in Mexiko zu recht als leere Worthülsen gelten. Julia
Quiñonez beschreibt, dass die CFO lokal auch als „ZapatistInnen des Nordens“
bezeichnet werden. Eine Gewerkschaft wird mit Korruption und mafiösen
Strukturen assoziiert, eine Organisation, die tatsächlich für die Rechte der
ArbeiterInnen, MigrantInnen, prekären oder ganz allgemein der Marginalisierten
eintritt, erscheint in der mexikanischen Diskussion automatisch als
‚zapatistisch’.

Syndikalisieren sich die Prekären?

Vielleicht war die These, die mexikanischen ArbeiterInnen
würden sich ‚syndikalisieren’, indem sie Abstand von der Staatsmacht nehmen und
lokale und betriebliche Kämpfe ausfechten, also voreilig? In der Nähe der
Maquiladora- Industrie scheinen sich, wenn überhaupt, andere
Organisationskonzepte zu behaupten. Als ansprechbar erweisen sich oft jene, die
durch die Tretmühle der Weltmarktfabrik gegangen sind und nun als zu alt mit
prekären Jobs an der Straße stehen. Ein Zapatismus, der nicht auf indigene
Kämpfe und die Landfrage konzentriert ist, könnte auch im Norden erfolgreich
sein. Ein Syndikalismus ist dort nur erfolgversprechend, wenn er nicht allein
in der klassischen Industrie angesiedelt ist, sondern diese Prekären anspricht.
Allerdings taugt das Schlagwort ‚Syndikalismus’ aufgrund seiner geschichtlichen
Vorbelastung nicht. Die prekären Arbeitsverhältnisse Mexikos brauchen vielleicht
einen spezifischen ‚ArbeiterInnen-Zapatismus’.

Organisationen wie CETLAC in Ciudad Juarez, die CFO in
Piedras Negras oder sin fronteras in El Paso (Texas/USA) machen diesen vor, ob
sie sich nun selber ZapatistInnen oder SyndikalistInnen nennen oder ganz
anders. Alle drei Organisationen bestechen durch Arbeitsrechtsberatung und
praktische gegenseitige Hilfe und dem Bemühen, alternative ökonomische
Strukturen aufzubauen. Ihre praktische Arbeit unterscheidet sich nicht
großartig von dem, was die FAU und ähnliche Organisationen hierzulande machen:
Der Versuch der Organisierung mit Flugblättern zum Arbeitsrecht, die konkrete
Rechtsberatung, der Aufbau von Genossenschaften und vor allem die

Unterstützung konkreter Arbeitskämpfe sind hier wie dort das
A und O des Klassenkampfes von unten. Ziel bleibt selbstverständlich, wie die
CFO betont, die Gründung unabhängiger Syndikate.

Tim Ackermann, Torsten Bewernitz

Abkürzungen

Anm.: Das @ als eine Mischung aus a und o hat in
spanischsprachigen Ländern die Funktion des Binnen-Is.

  • CAT — Centro de Apoyo des Trabajadores (linke
    Arbeitsrechtsorgansiation in Puebla)
  • CETLAC — Centro de Estudios y Taller Laboral (linke
    Arbeitsrechtsorganisation in Cd. Juarez, Mitglied der FAT)
  • CFO — Comité Fronterizo de Obrer@s (linke Arbeitsrechtsorganisation
    in Piedras Negras)
  • CROC – Confederacion Revolucionaria de Obreros y Campesinos
    (korporatistische Gewerkschaft
  • CTM — Confederacion de Trabajadores de Mexico
    (korporatistische Gewerkschaft)
  • FAT – Frente Autentico de Trabajadores (linker
    Zusammenschluß von Gewerkund Genossenschaften)
  • NAFTA – Nordamerikanisches Freihandelsabkommen
  • PAN – Partido Acción Nacional (teils wirtschaftsliberale,
    teils rechtsextreme Regierungspartei Mexikos)
  • PRD — Partido de la Revolución Democrática (‚sozialdemokratische’
    Oppositionspartei in Mexiko)
  • PRI — Partido Revolucionario Institucional (langjährige
    Regierungspartei Mexikos)
  • SITEKIM – Sindicato Independiente delos Trabajadores de la
    Empresa Kukdong Internacional de México (unabhängige Betriebsgewerkschaft)
  • UNT – Unión Nacional de Trabajadores (breiter
    gewerkschaftlicher Dachverband, ihr Spektrum deckt sowohl DGB- wie auch
    FAU-ähnliche Organisationen ab

 

Einen Comic und Interviews mit ArbeiterInnen aus der Maquila
Kukdong findet man auf der Homepage der CAT: www.catpuebla.org (Rubrik
‚documentos’: ‚Comic No Sweat’ und ‚La Lucha Sigue’)

Homepage der CFO: www.cfomaquiladoras.org

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