„Ein Tag ohne uns“

„Niemand ist illegal“. Demonstration am 1. März 2010 in Neapel (Bild: Indymedia Neapel)

Mit
einem europaweiten Streik am 1. März hatten Migrantinnen und
Migranten unter dem Motto „un jour sans nous“ auf sich aufmerksam
gemacht. Dem Aufruf wurde vor allem in Italien und Frankreich
gefolgt. Die migrantischen Kämpfe in Italien haben dabei weit
weniger Tradition. Auch wenn es seit Jahren Komitees und Vereine
gibt, die sich der misslichen Lage der Migrantinnen und Migranten
annehmen – und sogar Hausbesetzungen zur Schaffung von adäquatem
Wohnraum organisieren – sind hierzulande über die Kämpfe von
Menschen mit Einwanderungshintergrund (wenn überhaupt) nur wenige
Schlaglichter bekannt.

Der
Wind weht von rechts

Nicht
ganz unschuldig an dieser Situation ist sicherlich der enorme
Rechtsruck, der Italien in den letzten Jahren erfasst hat. Die
Etablierung (post-)faschistischer Parteien und deren Parteigänger
sowie deren jahrelange Regierungsbeteiligung hat das politische Klima
Italiens nachhaltig vergiftet. Unter dem Deckmantel (angeblich)
besserer Sozialpolitik, mehr Föderalismus und Demokratie hat das
rechte ’68 den Marsch durch die Institutionen geschafft. Versüßt
werden damit der vulgäre Ton in der Regierungspolitik, die
Korruption und nicht zuletzt die immer drastischer werdende soziale
Lage in Italien. Nach oben Buckeln und nach unten Treten scheint
dabei die Primärtugend zu sein, die sich die italienische Regierung
für ihr Volk wünscht. Die Leidtragenden sind, wie sollte man es
anders erwarten, die Schwächsten der Schwachen: die Migrantinnen und
Migranten. Völlig nachrangig scheint dabei die Tatsache, dass die
über vier Millionen Migrantinnen und Migranten mittlerweile zu einem
wesentlichen Wirtschaftsfaktor im Land geworden sind, die nach
einigen Schätzungen allein 20 % der jährlichen
Wirtschaftsleistungen Italiens erbringen (andere Quellen geben 9,7 %
des BIP für das Jahr 2007 an). Es sind diejenigen, die die am
unterbezahltesten und schlechtesten Jobs übernehmen: auf dem Bau, in
den Häfen, in Krankenhäusern, in der Gastronomie und in der
Reinigungsbranche. Daran ändern auch beinahe absurd anmutende
Kampagnen extrem rechter Splittergruppen nichts, die dafür werben,
dass ein ordentlicher Italiener gefälligst auch den miesesten Job
übernehmen solle.

Rechts
ist da, wo der Daumen links ist?

Zu
einem Rechtsruck gehören jedoch auch stets diejenigen, die ihn
mitmachen. Und hier hat sich auch die italienische Linke nicht gerade
mit Ruhm bekleckert. Nicht nur, dass einige der Verschärfungen des
Einwanderungsgesetzes bereits unter der Mitte-Links-Regierung unter
Prodi eingeführt wurden. Sondern nicht zuletzt mit der Entstehung
der Demokratischen Partei (PD) und einer weiteren Spaltung der
Kommunisten wurde munter dem von der Rechten propagierten Credo des
„Endes der Ideologien“ hinterhergelaufen. Darüber, dass sich
hinter diesem „Ende der Ideologien“ letztlich nichts anderes als
ein vermeintliches Ende aller anderen, nicht aber der rechten
verbarg, las man wenig in italienischen Zeitungen. Umso mehr las man
hingegen über von Ausländern begangene Verbrechen. Dabei wurden
nach Angaben des italienischen Innenministeriums im Jahre 2006
lediglich 26 % der Verbrechen von Ausländern begangen, von welchen
wiederum 70 % kleine Delikte wie Taschen- oder Ladendiebstahl und
lediglich 3 % schwerere Delikte wie Raub waren. Dass die restlichen
74 % aller Straftaten folglich von Einheimischen begangen wurden,
verdeutlicht die wahre Bedeutung von Medienberichten, die jede
einzelne der schwereren von Ausländern begangenen Straftaten über
Seiten hinweg ausschlachten.

Das
Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten: ein verbreiteter
Rassismus, der sich zunehmend in Hetze und Gewalttaten ausdrückte.
Man erinnere sich nur an die Bilder ganzer Kolonnen von Rumänen, die
nach dem Mord an der Ehefrau eines Offiziers in Rom im Frühjahr 2008
mit gepackten Koffern vor Bussen warteten, um in ihr Land
zurückzukehren. Weitere Angriffe, unter anderem auf Camps von Roma,
folgten. Erst nach einem mit Messern verübten Angriff auf einen
jungen, römischen Antifaschisten sah sich auch die PD gezwungen, ein
wenig Farbe zu bekennen und sich als antifaschistisch zu „outen“.

Ein
langer Marsch

Es
sollte an diesem Punkt eines zur Unerträglichkeit mutierten Klimas
sein, dass die Dinge sich zu bewegen begannen. Während von der einen
Seite mit den sog. ronde zunehmend eine Art Bürgerwehren zum
Schutz der Sicherheit im eigenen Viertel organisiert wurde,
mobilisierte die andere im Oktober 2008 erstmals zu einer
landesweiten antirassistischen Demonstration in Rom. Bemerkenswert
hieran war vor allem, dass die Demonstration zunächst allein von
migrantischen Kollektiven, antirassistischen Stadtteilkomitees,
humanitären Organisationen und kleinen Basisgewerkschaften getragen
wurde. Die etablierten, politischen und gewerkschaftlichen
Organisationen wurden wegen ihrer scheinheiligen Politik bewusst
außen vor gelassen.

Es
sollte jedoch noch einige Zeit und der Gelegenheit eines gemeinsamen
Vorgehens auf europäischer Ebene bedürfen, um es bis zum ersten
migrantischen Streik kommen zu lassen. Ein wichtiger Wendepunkt vor
allem nach den Morden in Castel Volturno und den
Auseinandersetzungen in Rosarno, bei denen afrikanische
Saisonarbeiter ihrer Wut über ein Leben geprägt von halb
versklavter Arbeit, untergebracht in leeren Fabrikhallen und in
ständiger Bedrohung durch Strafexpeditionen der lokalen Mafia Luft
machten.

Doch
auch wenn sich die italienische Linke beeilte, direkt mit zu den
Protesten zum 1. März aufzurufen, scheint dies nicht viel mehr als
ein neuerliches Feigenblatt in der eigenen politischen Krise zu sein.

So
wurde die Bewegung lediglich in einigen wenigen Städten wie Trento,
Triest und Modena (von den insgesamt 60 Orten, in denen Proteste
organisiert wurden) tatsächlich zum Streik. Die von unten an die
Führung der großen Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL herangetragene
Bitte, die Aktionen mit der Erklärung eines Generalstreiks offiziell
zu legitimieren, wurden mit Verweis auf den eigenen Streik am 12.
März – in dem es auch um migrantische Belange ginge – ignoriert.
Lediglich lokal deckten einige Basisgewerkschaften den Streik.

Das
hierzu vorgebrachte Argument, migrantische und einheimische
Arbeiterinnen und Arbeiter sollten sich gemeinsam für ihre Belange
einsetzen, mag an sich durchaus gerechtfertigt sein. Im Falle
Italiens wirft es aber dennoch auch berechtigte Zweifel auf. Zwar
leiden migrantische und italienische Arbeiter unter den selben
wirtschaftlichen Bedingungen, sterben auf den selben Baustellen und
in den selben Fabriken und sollten sich gerade jetzt nicht
gegeneinander ausspielen lassen. Doch auf offener Straße umgebracht
werden bislang allein die Migranten. Und gerade die Tatsache, dass
zunehmend Teile der arbeitenden Bevölkerung Parteien wie die
rassistische Lega Nord wählen, spielt den Ball den Gewerkschaften
zu: Es sind nicht die Migranten, die auf die Gewerkschaften zugehen
müssen. Sondern die Gewerkschaften, die den Migranten den Raum zur
Verfügung stellen müssen, sich Gehör zu verschaffen.

Lars
Röhm

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