Auf der anderen Seite von Hartz IV

Im 1-Euro-Shop (Cartoon: Findus)

Unlängst stellte
Bundesarbeitsministerin von der Leyen drastisch unter Beweis, dass
sie noch immer nicht in ihrem neuen Sachgebiet angekommen ist. Die
Vielzahl an Ein-Euro-Jobs, so die Ministerin, beweise, dass es doch
genug Arbeitsplätze gäbe, wenn man nur die Rahmenbedingungen dafür
schaffe. Das Ganze sollte wohl ein ermahnender Knuff in Richtung
Arbeitgeber werden, die mit der Bereitstellung von Stellen gar zu
geizig wären, offenbarte aber nur, dass sie im Ansatz nicht im Bilde
darüber ist, worum es sich bei den ominösen Ein-Euro-Jobs
eigentlich handelt. Denn mit Arbeitsplätzen, auch und gerade im ganz
schlichten, umgangssprachlichen Verständnis, haben sie bestenfalls
oberflächlich etwas gemein.

In gewisser Weise stellt das Konzept
des Ein-Euro-Jobs eine Art Verknüpfung der Idee einer
Arbeitsmaßnahme mit der einer Fortbildung dar. Allerdings ohne
Entlohnung und irgendeine Qualifikation. Dass heißt, Ein-Euro-Jobs
tragen meist den Charakter eines Kurses, den man jedoch nicht mit
einer Prüfung oder Zeugnis abschließt und der mit einer
„Aufwandsentschädigung“ in Höhe von ein bis zwei Euro pro
Stunde vergütet wird.

Simulierter Arbeitsplatz

Tellerwaschen in der Kantine einer
Behörde, Unkrautzupfen in Parkanlagen, im Kindergarten Märchen
vorlesen – Stellen dieser Art sind es wohl, die man sich landläufig
unter Ein-Euro-Jobs vorstellt. Und es gibt sie wirklich, jedoch
machen sie einen geringen Teil der „Arbeitsgelegenheit“ (AGH)
getauften Maßnahmen aus. Denn die Gesetzesvorgabe, wonach eine AGH
„zusätzlich und gemeinnützig“ sein müsse, ist nur schwer zu
erfüllen. Zuletzt gingen Meldungen durch die Medien, wonach die
Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Schleswig-Holstein Putzdienste in
Pflegeheimen nicht nur durch Ein-Euro-JobberInnen erledigen, sondern
diese sich auch von den Pflegeheimen voll bezahlen ließ. Ein gleich
zweifacher Verstoß: Zum einen darf eine AGH nicht solche Arbeit
verrichten, für die eine „echte“ Arbeitskraft vonnöten ist,
noch darf für die Inanspruchnahme eines Ein-Euro-Jobs ein Entgelt
verlangt werden.

Der andere Typus AGH, der wohl den
Ein-Euro-Job schlechthin darstellt, ist der simulierte Arbeitsplatz.
Und das meine ich nicht ironisch. Es heißt tatsächlich, simulierte
Arbeit. Jede AGH soll nämlich den Langzeitarbeitslosen wieder an
frühes Aufstehen, regelmäßige Tagesabläufe, Zusammenarbeit mit
KollegInnen und das Befolgen von Anforderungen gewöhnen. Und wieder
gebe ich nur die offizielle Lesart wieder, wie sie uns regelmäßig
durch unsere SozialpädagogInnen immer wieder eingebläut wird. Aber
während dies im Zusammenhang mit gärtnerischer Tätigkeit im
Stadtpark als eine Art erwachsenenpädagogischer Anspruch betrachtet
werden darf, beruhen die allermeisten Ein-Euro-Jobs ganz auf diesem
Ansatz.

Das Geschäft mit Hartz IV

Eine regelrechte Industrie ist darum
entstanden, ein kaum noch überblickbarer Dschungel aus eingetragenen
Vereinen und privaten Firmen – meist am Kürzel gGmbH zu erkennen,
das kleine g steht hier für „gemeinnützig“ –, die
ausschließlich davon leben, simulierte Arbeit anzubieten. Ein
offensichtlich lukratives Geschäft.

Insgesamt habe ich mit drei Anbietern
von AGH zu tun bekommen. Dabei handelt es sich um Firmen, die ganz
oder zum großen Teil von Ein-Euro-Jobs leben. Pro AGH erhält der
Anbieter vom Staat ein festes Budget, üblicherweise knapp 500 Euro
im Monat, von denen er die Aufwandsentschädigung an den
Ein-Euro-Jobber entrichtet und Arbeitsmaterialien anschafft. Von der
Differenz lebt dann der Anbieter. Es braucht nicht viel Fantasie sich
auszumalen, an welchem Ende hier zuerst gespart wird: Erst nachdem
eine Person die AGH angetreten hat, werden etwaige Materialien
angeschafft, und diese so preisgünstig wie möglich. Oder es werden
feste Stellen eingespart, die sogenannten Anleiter. Und das hat
Folgen.

In meiner ersten Stelle als
Webdesigner: „Aber davon habe ich überhaupt keine Ahnung“ –
„Das hat hier niemand“, ging es für mich und meine etwa 60
KollegInnen darum, die 30-Stundenwoche irgendwie rumzukriegen, ohne
ganz die Nerven zu verlieren. Denn zu tun gab es … nichts. Für
vier, vielleicht fünf KollegInnen lagen Aufträge zum Bearbeiten
vor, der Rest wurde angehalten, sich „ruhig zu beschäftigen, ohne
die anderen zu stören“. Denn für uns alle gab es genau einen
Anleiter, der notorisch überarbeitet war und sich darauf
beschränkte, die Neulinge mit Trainingsvideos zu füttern, mit denen
sie sich die Grundlagen des Programmierens selbst aneignen sollten,
einmal in der Woche den schimpfenden Kaspar mit puterrotem Gesicht zu
mimen, weil es nicht angehen könne, dass hier manche meinen, den
ganzen Tag PC-Spiele spielen zu können, und gelegentlich hysterisch
zu kichern, wenn er feststellte, wieder einmal drei Tage lang nicht
geschlafen zu haben. Einmal kam ich mit einem echten Auftrag zu ihm,
an den ich durch Bekannte gekommen war: Ein gemeinnütziger Verein in
Hamburg wünschte sich ein neues Layout für seine Homepage. Aber
nein, schüttelte er den Kopf, viel zu anspruchsvoll für uns, die
sollen zufrieden sein mit dem, was sie haben. Und so drehte ich
weiter Däumchen. Immerhin, es gab einen Raucherraum und man konnte
Pause machen, wann man wollte.

Wie man lernt, den Wecker zu stellen

Derartige Extreme sind sicher eher die
Ausnahme, doch sind AGH oft von Leerlauf bestimmt. So bin ich aktuell
als „Multimediahelfer“ mit ca. 30 KollegInnen angehalten, eine
Website über bestimmte Neubausiedlungen im Osten Hamburgs zu
erstellen. Eine Aufgabe, die in der freien Wirtschaft wohl kaum von
mehr als drei Personen innerhalb weniger Wochen erledigt werden
würde. Unser Projekt ist allerdings auf ein ganzes Jahr ausgelegt.
Das und die Tatsache, dass uns nur 14 Computerplätze zur Verfügung
stehen, führt dazu, dass nicht immer jeder und niemand die ganze
Zeit über etwas zu tun bekommt.

Auf Dauer ist es ungemein zermürbend,
stunden- oder gar tagelang nichts Sinnvolles, Vernünftiges oder
wenigstens doch Nützliches zu tun zu haben. Worauf wirklich Wert
gelegt wird, sind pünktliches Erscheinen und jene Art körperlicher
und psychischer Präsenz, die sich im Ausruf „Stets zum Arbeiten
bereit, Chef!“ ausdrückt.

Währenddessen muss man auf die
SozialpädagogInnen achtgeben, die bei Ein-Euro-Jobs in größeren
Firmen zum Repertoire gehören und parallel zur eigentlichen AGH
überprüfen, inwiefern Kollege Langzeitarbeitslos sich integriert
und bemüht: Ob er z. B. bereit ist, seinen Lebenslauf auch zum
vierten oder fünften Mal umzuschreiben, und wie es um seine
„Teamfähigkeit“ bestellt ist. Alle fünf Monate nämlich –
eine AGH dauert in der Regel zehn Monate, häufig werden diese um
abermals zehn Monate verlängert – erstellt der Anbieter einen
Bericht über den Ein-Euro-Jobber fürs Arbeitsamt, der eine den
Kopfnoten (Betragen, Fleiß, Mitarbeit, Ordnung) nicht unähnliche
Beurteilung enthält.

Viele KollegInnen empfinden diese
Bedingungen als herabwürdigend. Unter meinen insgesamt vielleicht
150 KollegInnen, von denen ich etwa ein Drittel näher kennenlernte,
habe ich ein, zwei Personen getroffen, die froh über die AGH waren,
weil sie (nach eigener Aussage) sonst nichts mit sich anzufangen
wüssten. Die meisten jedoch sind in Hartz IV gerutscht, weil sie
ihren Arbeitsplatz verloren haben, als sie Ende 40, Anfang 50 waren
und nun auf dem ersten Arbeitsmarkt etwa so begehrt sind, wie die
berühmte Zeitung von gestern. Solchen Menschen, die oft nicht länger
als anderthalb Jahre arbeitslos sind, und häufig jahrzehntelang
schwer geschuftet haben, braucht man nicht beizubringen, wie man sich
den Wecker stellt oder Pausenbrote schmiert. Gerade in dieser Gruppe
hinterlassen Frust und Erniedrigung durch die AGH ihre Spuren.

Es kommt darauf an, auf welcher
Seite man steht

Und der Erfolg? Bisherigen Studien
zufolge war in der Nachkriegsgeschichte der deutschen
Arbeitslosigkeit noch keine Maßnahme zur Integrierung von
Langzeitarbeitslosen so erfolglos wie der Ein-Euro-Job. Ich selbst
habe keinen einzigen Fall erlebt, wo jemand von uns aus der Maßnahme
in eine echte Vollzeitstelle ausgeschieden wäre. Wenn überhaupt, so
kamen einige in anschließenden Maßnahmen unter, die auf ein, zwei
Jahre befristet und etwas besser bezahlt sind als mit einem
Ein-Euro-Job aufgestocktes Hartz IV. Meine Zeit ist in drei Monaten
um. Ich bin gespannt, ob sie mir mehr eingebracht haben wird, als
einige neue Bekanntschaften und die Erkenntnis, dass sich von Hartz
IV dann gut leben lässt, wenn man Ein-Euro-Jobs anbietet, statt sie
in Anspruch zu nehmen.

Matthias Seiffert

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