„Die Qual erlahme an meinem Stolz“

Bremen_Schiller.jpgAm
27.02.2010 wurde im Bremer Goethetheater Schillers „Die Räuber“
aufgeführt. Es handelte sich bei der Aufführung nicht um eine reine
Reproduktion des Vorbilds, sondern um eine moderne Fassung: Im
Vorfeld befragte die Dramaturgin Gesine Schmidt (Berlin) etwa 30
BremerInnen aus sozialen Bewegungen und verschnitt deren
staatskritische Aussagen und Lebenserfahrungen mit dem Textoriginal.

Neben
der wohl ersten Nennung der „Freien Arbeiter und Arbeiterinnen
Union“ auf einer renommierten Theaterbühne hatte
das Stück noch weitere Überraschungen für die Zuschauer übrig:
Wir
sagen, wir brauchen keine Funktionäre, weil Funktionäre machen den
Willen der Arbeiter kaputt, sieht man ja bei ver.di.“

Großartige
Situationskomik in Bremen

Gerade
zu dieser Zeit macht ein selbstorganisiertes Arbeiterkomitee in
Bremen und Bremerhaven von sich und seinem Widerstand gegen ver.di
und die SPD von sich reden, denen mehr als die Hälfte des
Hafenbetriebsvereins gehört. Genau
diese Vorstandsmitglieder saßen kraft ihres Ticketabonnements in den
Reihen der Zuschauer…

Am
Ende des Stücks – bei Schiller noch bieder konservativ gehalten –
wird durch den Protagonisten des Stücks, Franz Moor, der
jugendliche Amokläufer aus Emsdetten zitiert:
Ich
will Rache“. Schon
in Heinrich Manns „Im Schlaraffenland“ (1900) wird ein
Theaterstück aufgeführt, das einen ähnlichen Plot aufweist, und
dieses Stück über den Freiheitskampf „der Proletarier“ heißt
„Rache!“. Vergleicht
man die literarische Arbeit Manns mit der realen Situation der
Aufführung in Bremen, stellt man fest: Die reiche Schicht der
Zuschauer reagiert in „Rache!“ ähnlich wie im Falle „Die
Räuber“ – sie applaudiert, während auf der Bühne ihr Regime
beendet wird.

Vielleicht
ist das der neue deutsche Hochmut, die reiche Arroganz, oder einfach
die unsensible Wahrnehmung von Menschen, die ihr Leben auf der
Ausbeutung anderer begründen. Mit
dem Satz „Provokation funktioniert nicht“ gibt sich das Urteil
des Bremer „Weser-Kurier“ die gleiche Blöße wie das
unempfängliche Publikum – man hält zusammen in der Oberschicht,
auch wenn dies Unvermögen und bewusste Wahrnehmungsstörung
bedeutet.

Revolutionärer
Ausblick

Strukturell
hebt sich die Bremer Fassung vom Original durch einen abgeänderten
Ausgang ab. Ursprünglich liefert sich der sozialrevolutionäre
Protagonist Karl Moor der Justiz aus, und der Widerstand der Räuber
wird, wenn nicht vollständig gebrochen, so doch in die
Bedeutungslosigkeit verbannt. Der Regisseur Volker Lösch hebt
dagegen dieses Mal die sozialrevolutionäre Komponente hervor und
gibt ihr eine Zukunftschance: Gegen Ende stehen die wütenden Räuber
auf der Bühne und stellen sich vor, wo ihr Aufstand sie hinführen
soll, wobei der in den 68ern verhaftete Vater Moor erschossen wird,
als den Räubern klar wird, dass dieser sich mit seinem
gescheiterten, kompromissgelenkten Schicksal abgefunden hat.

Abgerundet
mit Zitaten von B. Traven, Berichten von Lebenssituationen aus den
ärmeren Vierteln Bremens und einer bunten und angemessen aggressiven
Darstellung, gelingt Volker Lösch und Gesine Schmidt zusammen mit
ihrem Team eine fortschrittliche Darstellung der Schiller’schen
„Räuber“, indem sie die Bremer Räuber der Jetztzeit auf der
Theaterbühne zu Wort kommen lassen.

Marcel
Faust (FAU Bremen)


Informationen
für Interessierte:

Termine:
27.
| 28. April 2010
07.
| 11. | 13. Mai 2010
06.
Juni 2010

www.theaterbremen.de

 

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