Tarife in schwerer See

Containerterminal (Bild: Hilde Rosenkranz)

Container sind ein Symbol des
Exportriesen Deutschland. Wirtschaftsnachrichten werden gerne mit
Containerterminals bebildert, mit großen Umschlaggeräten, die die
eckigen, normierten Kisten transportieren oder den über die
Kaikanten ragenden Containerbrücken. Fast nie im Bild sind die
HafenarbeiterInnen, welche die Van Carriers fahren, die Container auf
den Schiffen löschen oder die Kisten be- und entladen – auch am
Wochenende, bei Wind und Wetter. Sogar wenn in den Hamburger
Strandbars gefeiert und gearbeitet wird,
sind die Containerterminals auf der anderen Elbseite oft hell
erleuchtet.

Im letzten Jahr war es stiller an den
Containerterminals und Autoverladekais. Die globale Wirtschaftskrise
hat in den Seehäfen weltweit, auch in Norddeutschland, zu massiven
Rückgängen in den internationalen Warenumschlägen geführt.
Massenentlassungen und Kurzarbeit sind die Folge. Die Krise wird auch
dafür genutzt, um das Tarifsystem im Hafenbereich zu unterlaufen,
das in lange zurückliegenden Kämpfen etabliert worden war.
Belegschaften, Betriebsräte und Gewerkschaften sind nun mit
Lohndumping und einer Ausweitung von Leiharbeit konfrontiert.

Dammbruch in der Krise

Um über 20% ging 2009 der
Güterumschlag, u.a. bei den Autos, im Hamburger Hafen zurück. Der
Containerumsatz sank gar um 33%. Auch in Bremen und Bremerhaven gab
es einen massiven Rückgang: 20% weniger Container und 40% weniger
Autoumschlag.

Beim Gesamthafen-Betriebsverein Bremen
(GHB) wurden bereits vor einem Jahr 800 befristet Beschäftigte
entlassen, darunter viele teilzeitbeschäftigte Frauen. Der GHB
unterhält einen Pool von HafenarbeiterInnen, meist Männern, die von
Unternehmen bei Bedarf angefordert werden. Gibt es für sie keine
Arbeit, dann werden die GHB-Beschäftigten aus der sog.
Garantielohnkasse bezahlt. Nach diesem Prinzip gleicht der GHB die
Konjunkturschwankungen im Hafengeschäft aus. Der Unterschied zu
Zeitarbeitsfirmen: Die Gesamthafenbetriebsvereine sind nicht
gewinnorientiert und wurden vor Jahrzehnten von staatlichen wie
privaten Hafenbetrieben und den DGB-Gewerkschaften gegründet, um die
Schwankungen in der Arbeitsmenge mit eingearbeiteten Beschäftigten
ausgleichen zu können – eine Absage an das Tagelöhnerprinzip.

Als die EU 2006 durchsetzen wollte,
dass Seeleute zu Dumpinglöhnen ihre Ladungen selber löschen,
demonstrierten tausende HafenarbeiterInnen gegen die „Port Package
II“ genannten Liberalisierungspläne – und hatten Erfolg. „Port
Package II“ wurde nicht umgesetzt. Betriebsräte und ver.di
profilierten sich damals plakativ mit den Protesten. Seitdem ist die
Tarifbindung aber schleichend aufgeweicht worden. Im Bremer Hafen
werden, etwa im großen Distributionslager, wo u.a. die
Tchibo-Produkte vertrieben werden, um die acht Euro Stundenlohn
gezahlt.

Wem gehört der GHB?

Mitte letzten Jahres ist im GHB ein
schwerer Konflikt zwischen dem Betriebsrat und ver.di einerseits und
einem großen Teil der Belegschaft andererseits ausgebrochen. Ursache
ist die drohende Insolvenz des GHB. Da es keine Aufträge gab, aber
die Beschäftigten die Garantielöhne erhalten, drohten die Einlagen
im August 2009 aufgebraucht zu sein. Der von ver.di dominierte
Betriebsrat unter dem Vorsitzenden Peter Frohn und die für die
Bremer Häfen zuständigen ver.di-Funktionäre entschieden sich, mit
der Geschäftsführung über einen Sanierungsplan
zu verhandeln. Funktionäre von ver.di sind
zudem im GHB auf der Arbeitgeberseite vertreten – ver.di ist
Mitglied des Vereins GHB. Umso wichtiger wäre ein Offenlegen,
Transparenz beim Konflikt gewesen. Aber genau das Gegenteil wurde
getan: Die Funktionäre wollten alleine entscheiden, die drohende
Insolvenz war für sie eine größere Gefahr als der Tarifbruch und
Entlassungen.
Die Beschäftigten wurden von vorneherein nicht
einbezogen; sie wurden von dem Sanierungsplan, dem Sozialplan und der
Sozialauswahl völlig überrascht. Nach der Entlassung der 800
befristet Beschäftigten sollten nun auch über
300
unbefristet Beschäftigte Kündigungen oder
Änderungskündigungen erhalten. Der gültige
Tarifecklohn von 14,30 Euro für Hafenarbeit, der auch für die
Bezahlung beim GHB gilt, sollte unterlaufen werden.

In dieser Situation regte sich Protest.
Einige Beschäftigte riefen das Komitee „Wir sind der GHB!“ ins
Leben, dessen Gründung Mitglieder des Komitees rückblickend so
schilderten: „Als einzige Information [über die Kündigungspläne]
hat es einen unauffälligen Aushang in einem Glaskasten am
Betriebsgebäude gegeben … Der Betriebsrat hat auf Anfrage keine
Kopie mit den Unterlagen herausgegeben … Als so langsam klar wurde,
was da auf uns zukommt, haben wir ein Flugblatt gemacht,
Rechtsanwälte angesprochen, und wir haben am 11. Juli zu einer
Gründungsversammlung in … einem bekannten Bremerhavener Lokal
eingeladen. Dort ist das Komitee dann gewählt worden. Geholfen und
unterstützt haben uns dabei die Bremerhavener Arbeitsloseninitiative
und die Linke in Bremerhaven. Wir sind völlig demokratisch
organisiert, wir treten alle für alle auf …“

Das Komitee rief dann zu mehreren
Protestkundgebungen auf, u.a. gegen ver.di und den eigenen
Betriebsrat. Der hatte sich Ende Juni mit dem GHB zwar auf keinen
Sozialplan einigen können, aber das Ergebnis der Einigungsstelle
akzeptiert: 103 Beschäftigte sollten Ende Juli entlassen werden,
weitere 217 bekamen Änderungskündigungen. Sie sollten in Zukunft
nicht mehr in Bremerhaven, sondern in Bremen arbeiten – und zwar
für acht anstatt wie bislang für rund 15 Euro pro Stunde. Das
Komitee griff diesen „Hartz-IV-Sozialplan“ scharf an, der selbst
die Vollzeitarbeiter dazu zwingt, sog. „Aufstocker“-Leistungen
beantragen zu müssen.

Alles für die Firma

Rund 200 Kündigungsschutzklagen gingen
in der Folge beim örtlichen Arbeitsgericht ein. „Das ist in diesem
Umfang neu für uns“, erklärte dessen Sprecher, Michael Grauvogel.
„Mit acht Euro Stundenlohn würde das Bruttogehalt im Bereich des
Arbeitslosengelds liegen“, so Arbeitsrechtler Ortwin Krause, der 50
Beschäftigte des GHB als Anwalt vertritt. „Das ist für die
Betroffenen existenzbedrohend“. Anwalt Krause bemängelte auch die
Verkürzung der Kündigungsfrist auf einen Monat. Und Abfindungen,
die der GHB den entlassenen Mitarbeitern zahlen will, erklärte er
für „haarsträubend niedrig“.

Auf Initiative des Komitees
unterschrieben hunderte Beschäftigte eine Resolution, in der sie den
Betriebsrat zum Rücktritt aufforderten. Dessen Vorsitzender, Peter
Frohn, wies die Kritik zurück. „Ich wollte nicht zugucken, wie das
Unternehmen abgewickelt wird“, so Frohn. Der BR-Vorsitzende ließ
sich soweit auf die Logik der Geschäftsführung ein, dass er sich
gar sogar Sorgen um das Image des Betriebes machte, anstatt um die
Rechte der Beschäftigten: Die Stimmung sei schlecht, der
Krankenstand sei hoch, einige würden sich gar verweigern.

Unterstützung fand Frohn bei Harald
Bethge, dem Bremer Landesfachbereichsleiter Verkehr bei ver.di. Es
sei wichtig, Mitarbeiter schnell und mit verkürzter Kündigungsfrist
zu entlassen, um das Unternehmen handlungsfähig zu halten,
argumentierte dieser. Auch die geringe Abfindung rechtfertigte
Bethge. Sie orientiere sich an der Garantielohnkasse des GHB. Die
könne man nicht komplett für Abfindungen leeren. Schließlich müsse
weiter Lohn gezahlt werden, wenn Unternehmen wegen Auftragsflauten
keine GHB-Leute anfordern. „Es war einfach nicht mehr Geld da“,
erklärte Bethge, ohne auch nur einen Gedanken darauf zu verwenden,
dass die Hafenunternehmen einen Teil ihrer Gewinne in die
Vereinskasse des GHB einzahlen könnten.

Im Windschatten der Krise

Die Notlage dauert auch im Jahr 2010
weiter an. Denn aufgrund ihrer Vereinsstruktur und ihrer Funktion als
Ausgleichspuffer für Auftragsspitzen und -flauten befinden sich die
Gesamthafenbetriebe trotz einer leichten Erholung der globalen
Wirtschaft weiterhin in einer Schieflage. Das liegt beim GHB
Bremerhaven auch an seiner Abhängigkeit von den großen
Autokonzernen Mercedes-Benz und BMW, die gnadenlos die Kosten drücken
wollen – nicht nur bei den Beschäftigten im Konzern, sondern auch
bei der Autoverladung. So kündigte Mercedes-Benz im Sommer 2009 an,
zukünftig alle Aufträge für den Autotransport in einem
internetbasierten Auktionsverfahren neu ausschreiben zu wollen. Mit
den profitorientierten, untertariflichen Leiharbeitsfirmen hätte der
GHB da nicht konkurrieren können. Mercedes-Benz hat sich letztlich
doch für die Fortführung der jahrelangen Zusammenarbeit mit dem GHB
entschieden. In diesem hochprofitablen Bereich flächendeckend auf
Leiharbeit zu bauen, ohne qualifizierte Beschäftigte, wäre ein zu
hohes Risiko gewesen.

Aber in den Betrieben geht weiterhin
die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes um. „Im Windschatten
der Krise versuchen viele Unternehmensleitungen im Hafen- und
Logistik-Bereich, bestehende Tarifverträge zu unterlaufen und
drastische Lohnkürzungen durchzudrücken“, wie der Hafenexperte
Manfred Steglich von der Linkspartei feststellt. „Zur Hilfe kommen
ihnen dabei Zeitarbeitsfirmen …, die im tariffreien Raum agieren
und Lohndumping in reinster Form betreiben. Aber auch das größte
Bremer Hafenunternehmen, die Bremer Lagerhaus, mehrheitlich im Besitz
des Landes, nutzt die Folgen der Krise als willkommene Gelegenheit,
Lohntarife zu drücken oder gar neue Niedriglohngruppen zu
installieren.“ Mit der Bremer Lagerhaus-Gesellschaft (BLG) hatte
ver.di Bremen bereits einen Haustarifvertrag so gut wie unter Dach
und Fach, der vorsieht, dass das Autoverladen künftig mit neun Euro
die Stunde statt wie vorher mit 14 Euro bezahlt wird. Diese
Lohnsenkung sollte auch für die Beschäftigten des GHB gelten.

Doch die erschreckend enge Verbindung
der ver.di-Funktionäre in Bremen und Bremerhaven mit dem SPD-nahen
Management der mehrheitlich staatlichen Bremer Hafenwirtschaft hat in
der Bundestarifkommission Hafen von ver.di einen Dämpfer erhalten:
Mit sieben gegen sieben Stimmen erhielt in der entscheidenden
Abstimmung am 25. März der Antrag keine Mehrheit, den bundesweiten
Hafentarifvertrag aufzuheben. Die Vertreter aus Hamburg und Lübeck
akzeptierten weder den Neun-Euro-Lohn der BLG noch den in den
Verhandlungsrunden ausgehandelten Kompromisslohn von 10,90 Euro. Sie
pochten auf einen bundesweiten Tarifvertrag.

Stets dieselbe Leier

„Alle Eckpunkte sind vom Tisch“, so
Klaus Lindner. Er war Verhandlungsführer von ver.di und hatte in
Bremen mit den Arbeitgebern diese Eckpunkte ausgearbeitet. „Jetzt
ist die BLG am Zug. Sie muss sagen, wie es weitergeht“, erklärte
der ratlose Funktionär und gab erneut freiwillig die Initiative an
das Management ab. „Ich bin riesig enttäuscht“, sagte Manfred
Kuhr, stellvertretender BLG-Vorstandsvorsitzender. „Das was ein
sehr guter Kompromiss. Ich glaube, die machen einen großen Fehler.“
Noch zehn Tage vor Kuhrs Wehklagen hatte der BLG-Vorstandsvorsitzende
Detlef Aden im „Weserkurier“ verkündet, dass die BLG 2009 trotz
Krise Gewinne eingefahren habe: „Wir sind mit dem Ergebnis von 16
Millionen Euro zwar zufrieden, aber eigentlich ist es ungenügend“.
Aden sagte das beliebte Mantra auf, mit dem die Kapitalseite gerne
den Sozialabbau begründet: Die BLG müsse konkurrenzfähig bleiben,
sonst verliere sie Marktanteile, denn „wir können uns nicht nur
über Sparen retten … Wir als Marktführer in einzelnen Segmenten
müssen jetzt imstande sein, attraktive Angebote zu machen, wo unsere
Wettbewerber eher schwach werden.“

Adens Doppelstrategie lautet: Massive
Lohnkostensenkung nach innen, Marktoffensive nach außen. Und
gleichzeitig verzichten die ver.di-Funktionäre in Bremen darauf, den
verstärkten Druck auf die Beschäftigten bei gleichzeitigen Gewinnen
in der Hafenwirtschaft zu skandalisieren. Zum Glück gibt es das
selbstorganisierte, unabhängige Komitee „Wir sind der GHB!“.

Gaston Kirsche (gruppe bricolage)

Internetseite des
Komitees: www.wirsindderghb.de

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