Solidarität hilft siegen

Schumacherinnen in Barcelona 1920

Gegen Ende des Ersten
Weltkriegs hatte sich die soziale Lage auch im neutralen Spanien
extrem verschlechtert. Immer mehr ArbeiterInnen schlossen sich der
1910 gegründeten Gewerkschaft CNT an. Beispielhaft für die
Vitalität der jungen Organisation war der – trotz Militäreinsatzes
letztlich erfolgreiche – Streik beim Stromversorger La Canadiense
in Barcelona, der sich 1919 zum Generalstreik ausweitete und 70 % der
Industrieproduktion Kataloniens zum Erliegen brachte.

Der Erste Weltkrieg, der
im Jahr 1914 ausbrach, überraschte ein auf sich selbst fixiertes
Spanien, das weit abseits der Konflikte der europäischen Geschichte
stand. Ein Spanien mit einer Operettenarmee, das 1898 nicht in der
Lage gewesen war, die letzten Reste seines Kolonialreichs zu halten,
und das es seit 1906 nicht geschafft hatte, die Eroberung des Rif
(Marokko) zu Ende zu bringen. Die spanische Außenpolitik war zwar
traditionell eng an die französische gekoppelt. Aber Spanien hatte
aufgrund seiner Schwäche weder in dem von Bismarck aufgebauten
System der militärischen Blöcke mitgewirkt, noch wurde es vom
Frankreich der III. Republik als wichtiger Verbündeter betrachtet.
Daher war Spanien nicht den Automatismen militärischer Bündnisse
unterworfen und sah sich nicht gezwungen, im Jahr 1914 unverzüglich
den Krieg zu erklären. In den Folgejahren sollte die Debatte über
die Notwendigkeit an der Seite der Entente oder der Mittelmächte in
den Krieg einzutreten, das Land tief in zwei Lager spalten, ohne dass
eine der beiden Strömungen in der Lage gewesen wäre, das Land in
den Krieg zu ziehen. Die Anarchisten hingegen vertraten, wie schon in
den spanischen Kolonialkriegen eine pazifistische Haltung, die sie im
April 1915 auf dem Internationalen Friedenskongress in Ferrol neu
formulierten.

Der rasante Aufstieg
der CNT

Die
anarchosyndikalistische Confederación Nacional del Trabajo (CNT),
die im Gründungsjahr 1910 schon 30.000 Mitglieder zählte, rief
bereits ein Jahr später zum Generalstreik auf. In dessen Folge wurde
die CNT 1911 illegalisiert.

Im Jahr 1914 kehrte die
CNT in die Legalität zurück und gewann breite Unterstützung unter
den ArbeiterInnen. Zu der ständigen Arbeit der Organisierung und
Propaganda der anarchistischen Arbeiterbewegung, wie sie seit den
Zeiten der Ersten Internationale betrieben wurde, kam der schwierige
Alltag der spanischen ArbeiterInnen in diesen Jahren des Weltkriegs
hinzu. Das war der Nährboden, auf dem die CNT zur wichtigsten
Organisation der spanischen Gewerkschaftslandschaft wurde – 1919
zählte sie 750.000 Mitglieder. Damit lag sie weit vor der
sozialistischen Unión General de Trabajadores (UGT), die getreu
einer orthodoxen Auslegung des Marxismus, die Bauern im agrarisch
geprägten Spanien außer Acht ließ.

Die Verelendung im Boom

Während der Rest Europas
in Flammen stand, war Spanien durch seine Neutralität eine Oase des
Friedens. Das spanische Bürgertum entdeckte sehr schnell die
Vorteile der einsetzenden erhöhten Auslandsnachfrage. Die spanischen
Rohstoffe und Fertigwaren, die bisher nicht gegen die Konkurrenz der
europäischen Fabriken hatten bestehen können, waren auf einmal
gefragt, um die Kriegsindustrien mit Rohstoffen zu versorgen oder zu
ergänzen. Während die Preise – auch im Inland – explodierten,
wuchsen die Profite der Land- und Industriebourgeoisie exponentiell
an. Auf der anderen Seite aber wurden die Reallöhne durch eine
rasende Inflation immer weiter abgewertet. Dies stürzte auch die
Mittelschicht, die ohne unternehmerischen Profit verblieb und sich
nicht auf wirksame soziale Kampfformen stützte, in extreme Armut. Im
Jahr 1917 hatte sich die soziale Lage in Spanien extrem
verschlechtert. Der konstante Anstieg der Preise für
Grundnahrungsmittel, deren Ankauf sich die kriegsführenden Mächte
gegenseitig streitig machten, und die uferlose Gier eines Bürgertums,
das seine gewaltigen Gewinne weder verteilte noch sie zur
Modernisierung der Industrie des Landes einsetzte, stürzten die
Arbeiterklasse und Teile der Mittelschicht, die sich nun zögerlich
organisierte, ins Elend.

Kein Vertrauen in die
Regierung

Die spanische Bevölkerung
fühlte sich immer weniger durch das Parlament und den Ministerrat
vertreten. Das politische System der konstitutionellen Monarchie, das
1874 eingeführt worden war, lag 1917 am Boden. Bei den Wahlen kam es
zu heftigen Eingriffen und Fälschungen, und ohnehin waren die Frauen
vom Wahlrecht ausgeschlossen. Zudem waren die Parteien von Korruption
durchdrungen.

Abseits der populären
Hoffnungen, erstarkte in der Armee die korporatistische Bewegung
hoher Militärs und Offiziere, die sog. Verteidigungsräte (Juntas de
defensa). Sie forderten für eine größere Unabhängigkeit des
Militärs von der Zivilregierung, eine bessere materielle Ausstattung
und wandten sich gegen den Antimilitarismus der anarchistischen
Bewegung. Der im Jahr in 1917 amtierende ultrakonservative
Kriegsminister Juan de la Cierva sympathisierte mit den reaktionären
Militärs und ihren Forderungen. Das führte zu einem zunehmenden
Kontrollverlust über die Armee sowie letztlich zum Rücktritt der
liberalen Regierung unter García Prieto. Die konservative
Nachfolgeregierung Dato legalisierte schließlich die
nationalistischen Verteidigungsräte, die bis 1923 noch mehrere
Regierungen stürzten und dann die Militärdiktatur Primo de Riveras
unterstützten.

Gescheitert:
Generalstreik als Geburtshelfer der Republik

Die Gewerkschaftsverbände
CNT und UGT traten 1916 in eine Phase der Kooperation ein, um nicht
nur die Arbeits- und Lebensbedingungen der unteren Klassen zu
verbessern, sondern vor allem um die spanische Gesellschaft zu
erneuern und ihre Institutionen zu demokratisieren. Im Sommer 1917
riefen Anarchisten und Sozialisten gemeinsam zu einem Generalstreik
auf, der mit einer Versammlung von Parlamentsabgeordneten der
demokratischen Parteien (Republikaner, Reformisten, katalanische
Nationalisten und Sozialisten) zusammenfiel und auf die Unterstützung
der Verteidigungsräte hoffte. Aber in der Stunde der Wahrheit lösten
die Parlamentarier die Versammlung auf, bevor das anrückende Militär
dies hätte erzwingen können. Die Verteidigungsräte stellten sich
auf die Seite der Monarchie, während das Militär die Streikbewegung
mit Gewalt unterdrückte.

Die Gewerkschaften waren
alleine geblieben. Das Scheitern des Generalstreiks von 1917
überzeugte die ArbeiterInnen davon, dass sie nichts von der
Bourgeoisie erhoffen durften. In diesem Sommer hatten die von der
russischen Februarrevolution verschreckten Mittelschichten Spaniens
ihren eminent konservativen Charakter ebenso offenbart wie ihre
panische Furcht vor einer sozialen Revolution. Der Verlauf der
Ereignisse in Spanien hätte eine deutliche Warnung sein können für
das, was das deutsche Proletariat im Januar 1919 und das ungarische
im März desselben Jahres erwarten sollte.

Die Neuorganisierung in
Branchensyndikaten

Die CNT verstand eher als
alle anderen, dass eine neue Etappe begonnen hatte, und erneuerte
unter der Führung einer neuen Generation von Gewerkschaftern –
darunter Salvador Seguí, Ángel Pestaña und Juan Peiró – den
Syndikalismus tiefgreifend. Auf dem katalanischen Regionalkongress in
Barcelona wurde 1918 die Organisierung der CNT-Mitglieder in
Branchensyndikaten (Bau, Metallurgie, Textil …) beschlossen, die
die alten Berufsverbände (Maurer, Maler, Tischler …) überwanden.

Das Funktionieren des
neuen Syndikalismus und die Treue der ArbeiterInnen zur
anarchistischen Arbeiterbewegung wurden 1919 anlässlich des Streiks
bei der Barcelona Traction, einem aufgrund der Nationalität
seines Mehrheitseigners allgemein als La Canadiense bekannten
Energieunternehmen, auf die Probe gestellt: Eine Gruppe Angestellter
der Rechnungsabteilung hatte eine unabhängige Gewerkschaft
gegründet, die vom Unternehmen nicht anerkannt wurde. Acht ihrer
Vertreter wurde der Lohn gekürzt – und die Betroffenen wurden
gefeuert, nachdem sie gegen diese Ungerechtigkeit protestiert hatten.
Am 5. Februar erklärten sich alle Angestellten der
Rechnungsabteilung, über 100 an der Zahl, mit ihren Kollegen
solidarisch und begannen einen Streik. Sie traten an die
Zivilregierung heran, um diese zum Einschreiten zugunsten der
Beschäftigten zu bewegen; aber anstatt den Ausgleich zu suchen,
entließ die Firma alle Streikenden und die Regierung schickte die
Polizei zum Schutz der Fabrik.

… und die Feuertaufe

Die gefeuerten
ArbeiterInnen wandten sich auf der Suche nach Unterstützung an die
CNT. Die Anarchosyndikalisten gründeten ein Streikkomitee unter
Beteiligung der Angestellten und einiger CNT-Mitglieder. Der
Streikaufruf bei La Canadiense wurde auf die Beschäftigten anderer
Abteilungen ausgeweitet, um die Unternehmensleitung zu Verhandlungen
zu zwingen. Aber die Leitung, die es nun doch akzeptiert hätte, mit
ihren Angestellten zu verhandeln, wollte sich mit CNT-Vertretern
nicht zusammensetzen.

In der dritten Woche
radikalisierte sich der Streik: Die Stromversorgung Barcelonas durch
La Canadiense wurde von den ArbeiterInnen unterbrochen und die Armee
besetzte die Straßen. Am 23. Februar streikten schließlich die
Beschäftigten aller Stromversorgungsunternehmen der Stadt und zwei
Tage später schlossen sich die ArbeiterInnen an, die die Stadt mit
Wasser und Gas versorgten. Die neue Branchengewerkschaft der CNT für
Wasser, Gas und Elektrizität stellte ihr Funktionieren unter Beweis.

Der Armeekommandant von
Katalonien, der den Streik nicht brechen konnte, wollte alle
Elektrizitätsarbeiter zur Armee einziehen, aber die organisierten
Setzer boykottierten die Veröffentlichung des Dekrets, das daher nur
in einer Zeitung der Stadt erschien. Die CNT-Mitglieder missachteten
den Befehl zur Mobilisierung und wurden in das Gefängnis von
Montjuïc gesperrt – das Schicksal war herausgefordert.

Am 14. März stimmte La
Canadiense auf Druck der Madrider Regierung schließlich der
Beendigung des Konfliktes zu, indem das Unternehmen die Forderungen
der Streikenden – Wiedereinstellung der Entlassenen und Anerkennung
der Gewerkschaft – bedingungslos erfüllte. Die CNT hatte gewonnen.

Allerdings blieben fünf
Anarchisten im Gefängnis und die ArbeiterInnen riefen für den 23.
März zu einem erneuten Streik auf, um deren Freilassung zu fordern.
Die Armee rückte wieder aus. Die Regierung verfügte die zeitlich
begrenzte Aufhebung der verfassungsmäßigen Grundrechte, was
jegliche Willkür zuließ und die Freiheit der Bürger stark
einschränkte: In diesen Tagen wurden gegen ein CNT-Mitglied, Miguel
Burgos, erstmals das sog. „Fluchtgesetz“ angewandt, eine Form
außergerichtlicher Hinrichtung. Dieser zweite Streik sah sich also
mit einer stärkeren Repression konfrontiert als der Kampf gegen La
Canadiense und musste Mitte April beendet werden.

Der Auftakt eines
unerbittlichen Kampfes

Aber der CNT war es nicht
nur gelungen, die Forderungen der ArbeiterInnen von La Canadiense zu
durchzusetzen und sich das Existenzrecht als Gewerkschaft zu erobern.
Denn in Reaktion auf die Auseinandersetzungen in Barcelona hatte die
Regierung in Madrid Anfang April 1919 den Achtstundentag für ganz
Spanien eingeführt – ein historischer Sieg, den die CNT mit
enormen Opfern errungen hat.

Der katalanische
Unternehmerverband gab jedoch nicht auf: Im Dezember 1919 holte er
zum Gegenschlag aus und organisierte eine Aussperrung, die 150.000
katalanische Beschäftigte auf die Straße setzte – wer wieder
arbeiten wollte, sollte seinen CNT-Ausweis vernichten. Die Mitglieder
weigerten sich einmal mehr, und am 26. Januar 1920 musste der Verband
nachgeben und alle ArbeiterInnen wieder einstellen, ohne dass auch
nur einer den Gewerkschaftsausweis abgegeben hätte.

Bereits vor dem Barceloner
Generalstreik hatten Unternehmer einen gewissen Bravo Portillo
beauftragt, eine Söldnertruppe zur Ermordung von führenden
CNT-Gewerkschaftern aufzubauen. Wichtige Vertreter der CNT, darunter
Salvador Seguí, wurden in den folgenden Monaten und Jahren von
diesen Handlangern der Unternehmer ermordet. Auf staatlicher Seite
machte die Polizei exzessiven Gebrauch von dem „Fluchtgesetz“;
hunderte Gewerkschaftsmitglieder kamen so ums Leben. Dagegen
organisierten sich in den Reihen der CNT geheime bewaffnete Gruppen –
der vielleicht berühmtesten Gruppe, Los Solidarios, gehörten
u.a. Durruti, Ascaso und García Oliver an –, die später zum
leuchtenden Vertretern der Federación anarquista ibérica (FAI)
werden sollten. Sie gingen zum Gegenangriff auf bekannte Reaktionäre
über und verübten auch Banküberfälle, um die Streikkassen der CNT
zu füllen. Seit 1919 war die gesellschaftliche Lage aufs Äußerste
gespannt, die Revolution war unausweichlich.

Juan Pablo Calero,
Historiker, Publizist und
Mitglied der CNT

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar