Sand in die Augen

Sechs Monate lang hat die
vom Arbeitsministerium eingesetzte Pflegekommission verhandelt. Ende
März einigten sich kommunale, private, kirchliche und
wohlfahrtsverbandliche Träger schließlich mit der Arbeitnehmerseite
auf die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in der Pflege.
Glaubt man den DGB-Gewerkschaften, die Mindestlöhne seit Jahren wie
ein Allheilmittel gegen den Wettbewerb mit Dumpinglöhnen anpreisen,
ist die Abwärtsspirale nun auch in dieser Branche gestoppt.

Der Beschluss der
paritätisch von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite besetzten
Kommission fiel einstimmig. Bundesarbeitsministerin Ursula von der
Leyen (CDU) stellte die zügige Umsetzung per Rechtsverordnung
bereits in Aussicht. Für die rund 800.000 Beschäftigten in
Altenheimen und ambulanten Pflegediensten würde demnach vom 1. Juli
an eine verbindliche Lohnuntergrenze von 8,50 Euro in Westdeutschland
und 7,50 Euro in Ostdeutschland gelten. Arbeitgeber, die
Altenpflegekräften derzeit weniger zahlen, müssten die Löhne zum
Stichtag auf dieses Niveau anheben. Zumindest theoretisch, denn
niemand wird das am Ende flächendeckend kontrollieren. Die dafür
zuständige Behörde, der Zoll, wird über Stichproben und die
Verfolgung konkreter Anzeigen kaum hinauskommen. Auch Mindestlöhne
müssen am Ende in den Betrieben erst noch von den Beschäftigten
durchgesetzt werden, etwa per Klage gegen ihre Arbeitgeber.

Ginge es nach den
Vorstellungen der Pflegekommission, soll die Lohnuntergrenze in zwei
Schritten steigen, zum 1. Januar 2012 um ganze 25 Cent auf 8,75 Euro
im Westen und 7,75 im Osten, zum 1. Juli 2013 dann auf neun bzw. acht
Euro. Dass insgesamt nicht mehr heraussprang, ist der Blockadehaltung
privater Betreiber, vor allem aber der tonangebenden Diakonie
geschuldet. Die gewerkschaftliche Verhandlungsmacht in der Branche
ist schwach, nicht zuletzt dank der von Staats wegen eingeräumten
Sonderrechte kirchlicher Arbeitgeber. Erfolgreich wird den
Beschäftigten regelmäßig ihr Streikrecht bestritten (siehe dazu
Seite 1). Mehr als die Hälfte aller Altenpflegekräfte sind bei den
konfessionellen Trägern Caritas und Diakonie beschäftigt.

Dass sich die
Arbeitgeberseite überhaupt verhandlungsbereit zeigte, hat mithin
andere Gründe. Angesichts der vollständigen
Arbeitnehmerfreizügigkeit ab 2011 wollte sie sich derart nur ihrer
derzeitigen Marktposition versichern. Denn auch ausländische
Pflegeanbieter sind an die Lohnuntergrenze gebunden.

Nandor Pouget (GGB
Hannover)

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