Mit dem KGB in den Kapitalismus

Titelblatt der Zeitung der Priama Dija. Quelle: http://direct-action.org.ua

Es klingt fast wie aus einem
Spionagekrimi der 1980er Jahre: Bespitzelung, Einschüchterung,
Drohung. Und doch geht es um die heutige Ukraine, um deren Hauptstadt
Kiew, und nicht um irgendeine entlegene Provinz unter der Kontrolle
gestriger KP-Funktionäre.

An der nach dem Dichter Taras
Schewtschenko benannten, renommierten Kiewer Universität weiß sich
die unabhängige Studierenden-Gewerkschaft Priama Dija (Direkte
Aktion) in eine unerwartet heftige Auseinandersetzung mit Rektorat
und ukrainischem Geheimdienst verwickelt.

Seit über einem Jahr engagiert sich
die Gewerkschaft für soziale Bedingungen an ukrainischen
Universitäten. Gemeinsam mit anderen Hochschulgruppen und
Jugendorganisationen wehrte sie sich gegen die Einführung von
Studiengebühren, die Kürzung von Fördergeldern und Stipendien
sowie Pläne, nur Prüfungsergebnisse von gut oder besser als
bestanden zu werten. Viele der von Priama Dija durchgeführten
Protestaktionen galten als erfolgreich und stießen auf Sympathie
unter den Studierenden.

Mit Erfolg macht man sich nicht nur
Freunde. Die Universitätsleitung reagierte mit schroffer Ablehnung
aller erhobenen Forderungen und offener wie verdeckter Repression.
Jeder Vorwand ist gerade recht genug, um mit der Exmatrikulation von
Mitgliedern von Priama Dija zu drohen; als Gewerkschaftsaktivisten
bekannte Studierende haben Hausverbot für zentrale Einrichtungen des
Hochschulgeländes auferlegt bekommen.

Wenngleich letzteres nach ukrainischem
Recht juristisch zumindest zweifelhaft ist, bewegten sich die
Abwehrmaßnahmen der Universitätsleitung noch in Bereichen, mit
denen man wohl rechnen musste. Nicht aber mit dem, was dann folgte.

Der Feldzug des Rektors

Priama Dija-AktivistInnen erhielten
Drohanrufe sowie Besuch von Personen, die sich als Vertreter des
Rektorats oder des universitätseigenen Sicherheitsdienstes ausgaben.
Wenn sie mit ihren Protesten fortfahren, so die Drohung, würde man
dafür sorgen, dass sie von der Uni fliegen und ihre Eltern den
Arbeitsplatz verlieren. Mit gleichen Drohungen wurden Freunde und
Angehörige der Gewerkschafter eingeschüchtert. Wiederholt wurden
AktivistInnen von der Hochschulleitung zu Gesprächen bestellt, in
denen ähnliche Drohungen ausgesprochen wurden.

Immer wieder bestätigten
Uni-MitarbeiterInnen, sie hätten „Druck von oben“ bekommen,
diese oder jenen Kommilitonen gezielt zu benachteiligen. „Die
führen Krieg gegen euch“, wurde ihnen sogar geantwortet. Doch
warum?

In der Ukraine wird der Umbau des
Bildungssystems vorangetrieben. Mittels eines elitären Ansatzes soll
auch das Hochschulsystem kapitalistischen, neoliberalen Vorstellungen
angeglichen werden. Der Schewtschenko-Uni schließlich fällt hierbei
die Rolle des Flaggschiffs zu, sie soll zu einer Elite-Hochschule
umgeformt werden. Protestierende Studierende werden so schnell zur
Staatsaffäre. Der Druck kommt nicht nur von oben, sondern von ganz
oben. Ein leitender Posten an der bedeutendsten Universität des
Landes kann ein hervorragendes Sprungbett in die Politik oder in
einen Aufsichtsrat sein – vorausgesetzt, die erwünschten Reformen
werden reibungslos umgesetzt. Ganz unverhohlen erklärte denn auch
der Dekan der Philosophischen Fakultät, Konverski, in aller
Öffentlichkeit, er werde „jeden fertig machen“, der sich seiner
Karriere in den Weg stellt. Mit dieser Sichtweise steht er sicherlich
nicht alleine da.

Die kommissarische Leitung der
Schewtschenko-Uni obliegt Vize-Rektor Bugrow, der den Kampf gegen die
studentischen Störenfriede zur Chefsache erklärt hat. Nach
Informationen von Priama Dija war Bugrow seit 1989 Offizier des
sowjetischen Geheimdienst KGB, und nach dessen Auflösung 1991 für
den neugeschaffenen Inlandsgeheimdienstes SBU („Sicherheitsdienst
der Ukraine“) tätig. Dies würde in krassem Widerspruch zur
offiziellen Behauptung stehen, dass in leitenden Positionen des
Öffentlichen Dienstes keine ehemaligen KGB-Mitglieder mehr
beschäftigt werden. Andererseits erklärten sich dann die
ungewöhnlich heftigen Repressionen nicht zuletzt aus Seilschaften,
die von der sowjetischen Zeit überkommen sind.

Überraschend wäre dies nicht. In
vielen postsowjetischen Nachfolgestaaten der UdSSR haben sich gerade
solche Strukturen glänzend in den Kapitalismus integriert, die zu
typischen Säulen des Staatssozialismus gehörten. Nicht immer
offiziell, versteht sich. Aber das ist auch nicht nötig und wäre
auch gar nicht immer förderlich. Viel wichtiger ist, dass man sich
kennt, sich versteht, und seine guten Kontakte von früher pflegt. Es
wäre jedenfalls nicht der erste Fall, wo stalinistische Seilschaften
ganz selbstverständlich der neoliberalen Sache dienen.

Matthias Seiffert

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