Libertärer Austausch im Zeichen der Repression

Junge und ältere AktivistInnen während eines Workshops (Foto von Leonidas Halkidis) Die
Stadt Zrenjanin in der Provinz Vojvodina versucht seit einigen
Jahren, Investoren in die
„Free Zone
Zrenjanin“, eine der drei Freihandelszonen in Serbien, zu locken.
Im Kulturzentrum der Stadt wurden jedoch
vom
29. bis 31. Oktober 2010 keine Investoren
empfangen, sondern die Teilnehmer und Besucher der fünften

Balkanischen Anarchistischen Buchmesse
(BAB). An den Ständen präsentierten sich Zluradi Paradi aus
Serbien, Sto Citas aus Kroatien, Anarchist Front und Lenka aus
Mazedonien sowie FAO aus Slowenien. Darüber hinaus gab es jede Menge
Möglichkeiten zum Austausch und zur internationalen Vernetzung auch
jenseits der Region und des Mediums „Buch“ – so fanden sich auf
der BAB ein Infoshop aus Novi Sad, das Kollektiv Bahö aus Wien, ein
Vertrieb aus Kroatien, aus Griechenland die Zeitung
Babylonia
sowie die Gruppe
AK-Solidarity und drei Buchverlage: Stasei Ekpiptontes aus Athen
(u.a. mit dem Buch „Fragmente einer anarchistischen Anthropologie“
des Anthropologen David Graeber) und schließlich die Editions des
Etrangers (u.a. mit dem neuen Buch „Texte zur Arbeit und zur
Krise“, welches das „Manifest gegen die Arbeit“ der Gruppe
Krisis beinhaltet, sowohl neuere Texte von Anselm Jappe und Robert
Trenkle) sowie Panoptikon (u.a. mit Texten von und über Michail
Bakunin und Etienne de la Boétie) aus Thessaloniki.

Thematische
Vielfalt in den Vorträgen und Diskussionen

Am
ersten Tag stellte ein Genosse aus Deutschland, der in Novi Sad lebt,
die Anti-Atom-Bewegung in Deutschland vor, besonders im Hinblick auf
die Aktionen gegen den Castor-Transport. Danach wurde thematisch
umgeschwenkt und sich dem schwierigen Thema der Belgrade Pride Parade
gewidmet, insbesondere der Frage, was anders gemacht werden sollte.
Schließlich läuft dieses politisch-kulturelle Zeichen gegen
Homophobie und heteronormativen Sexismus Gefahr, jedes Jahr in einer
faschistischen Machtdemonstration unterzugehen; längst haben sich
die gewalttätigen Ausschreitungen der Rechten am Rande der Parade zu
einem Groß-Event der FaschistInnen etabliert. So stellten sich
mehrere Fragen: Was ist falsch gelaufen, wie kann Solidarität in
diesem Fall praktisch ausgedrückt werden, war das Ergebnis eine
„Kapitulation” gegenüber dem Staat und den Liberalen, sollten
Anarchisten mehr präsent und bereit sein, den 5.000 FaschistInnen
auf der Straße gegenüberzutreten? Fragen, die es bis zur nächsten
Belgrade Pride Parade noch in vielen Zusammenhängen zu klären gilt
– die BAB könnte dazu beigetragen haben. Dieser Diskussion folgte
ein Vortrag eines schon etwas älteren linksradikalen Aktivisten,
einem Mitglied der Gruppe „Praxis“ in den 90er Jahren und
heutigem Mitarbeiter in dem Kulturzentrum, das die Messe beherbergte.
Er referierte über Repression und Widerstand in Ex-Jugoslavien in
den letzten dreißig Jahren aus seiner persönlichen Perspektive und
wagte zudem eine Einschätzung des Problems des Faschismus in Serbien
und dessen Ursprung. Nach einem geschichtlichen Rückblick auf die
Repression, die er als Aktivist in den 90er Jahren erlebt hat, ging
er auf die alltägliche Probleme ein, mit denen er sich heute
aufgrund des neoliberalen Triumphes auseinandersetzen muss,
insbesondere den Angriffen auf die Lebensbedingungen im Zuge von
Entlassungen.

Der
größte gemeinsame Nenner: Die Erfahrung der Gefahr

Überhaupt
Repression und Gewalt – aus allen Ecken Europas wurde über die
Gefahren politischer Aktivität aus Sicht der AnarchistInnen
berichtet. Ein Genosse aus Russland berichtete am zweiten Tag der
Messe sehr ausführlich über die Antifa-Aktivitäten in Russland.
Diesem ersten Thema des Tages folgte denn auch ein
Solidaritätsaufruf für die GenossInnen, die in den Aktionen zum
Schutz des Khimki-Waldes festgenommen wurden, als sie gegen dem Bau
der Autobahn Moskau–Sankt Petersburg demonstrierten. Die
anschließende lebhafte Diskussion bezog alle relevanten Themen ein:
Nazi-Gruppen und ihre Verbindung mit Staat und Polizei,
Antifa-Aktionen und ihre Verbindung zu anderen Kämpfen,
Macho-Verhalten, Homophobie und Identitäts- /Rollen-Themen in
Antifa-Gruppen.

Schließlich
endete die Balkan Anarchist Bookfair mit vier Beiträgen aus
Griechenland über Migration und Krise in Europa, Ernährung und
Energie, die Kämpfe der Zapatistas heute und das Experiment der
Selbstverwaltung in einer besetzten Schule. Wer Griechisch lernen
möchte, kann hier anfangen: http://sxoleio12.wordpress.com.

Leonidas
Halkidis

Die
nächste Buchmesse findet im Frühling 2011 in Skopje, Mazedonien
statt.

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