Ein Job wie jeder andere auch?

Was als autonomer Zusammenschluss
engagierter Frauen begann, wird heute mit öffentlichen Geldern
finanziert. Zentrale Bereiche der Tätigkeit von Hydra e.V. sind
Gesundheitsprävention, psychosoziale Betreuung und Rechtsberatung.
Die Frauen von Hydra waren u.a. an der Ausarbeitung der
Prostitutionsgesetze beteiligt, die 2002 in Kraft traten und
Prostitution als Dienstleistung regeln. Seitdem ist z.B. die
Schaffung eines angemessenen Arbeitsumfelds für sexuelle
Dienstleistungen möglich.


Direkte Aktion: Ihr habt damals die Diskussion über
Prostitution als Erwerbsarbeit mit angestoßen.

Marion Detlefs: Ja, zu Beginn haben die Gründerinnen
propagiert, Prostitution sei ein Job wie jeder andere. Aus heutiger
Sicht muss diese Aussage differenzierter betrachtet werden. Als
Sozialarbeiterin und Psychoanalytikerin begegne ich in meiner Arbeit
Frauen, denen gegenüber ich eine solche Aussage als zynisch
empfinden würde. Diese Frauen sind so verletzt und enttäuscht. Die
im Verein aktiven Frauen sind natürlich sehr engagiert und haben ein
sehr großes Selbstwertgefühl, auch in Bezug auf ihre Tätigkeit als
Prostituierte. Das sind Widersprüche, mit denen wir umgehen müssen.
Die Möglichkeit, hier genauer hinzuschauen, haben wir uns durch die
frühere Diskussion erkämpft. Heute kann ich über die
Schattenseiten der Prostitution sprechen, ohne zu riskieren, dass
Prostitution im Allgemeinen gleich abgelehnt wird. Ich bin nicht pro
Prostitution, ich bin aber pro Prostituierte.

Die seit 2002 geltenden
Prostitutionsgesetze sind auch ein Verdienst der Aktivitäten der
Frauen von Hydra. Was hat sich dadurch konkret verändert?

Ein zentraler Punkt ist der Wegfall des
Paragrafen Zuhälterei aus dem Strafgesetzbuch. Prostitution wurde
bis dahin geduldet. Verboten war es, Gelder aus Dienstleistungen
Dritter zu ziehen. So funktionieren aber die Bordelle. Das sind
häufig von einzelnen angemietete Wohnungen, die für die
Prostituierten einen praktikablen Arbeitsort darstellen. Die
BetreiberInnen kümmern sich um Miete, Telefon etc. Sie schalten vor
allem auch die Werbung – und tragen damit einen Teil des
finanziellen Risikos. Dafür zahlen die Frauen dann ein Drittel bis
zur Hälfte der Einnahmen. Die Schaffung eines solchen
Arbeitsumfeldes war früher ein Straftatbestand.

Es gibt Stimmen, die das
Prostitutionsgesetz vor allem als Möglichkeit für den Staat sehen,
auch etwas von diesem Umsatz abzubekommen.

Ja, aber das ist ein Irrglaube, der
auch im Gewerbe irgendwie wabert. Die Frauen verkennen, dass sie auch
vor Inkrafttreten der Prostitutionsgesetze steuerpflichtig waren. Die
Tätigkeit galt als sittenwidrig, die Frauen hatten überhaupt keine
Rechte, aber sie waren steuerpflichtig.

Durch den Wegfall des Paragrafen
Zuhälterei können prinzipiell sozialversicherungspflichtige
Angestelltenverhältnisse eingegangen werden.

Mir ist keine einzige Frau bekannt, die
als Prostituierte einen solchen Arbeitsvertrag hat. Es gab Versuche,
Beispielverträge zu formulieren, dabei fehlt es aber an
Ausführungsvorschriften. Wie kann ich als Betreiberin der
Prostituierten vorschreiben, welche Praktiken sie anbieten muss,
welche Männer sie bedienen muss? Da gibt es eine relativ starke
Unsicherheit, was so ein Arbeitsvertrag enthalten soll. Hier zeigt
sich, dass Prostitution eben kein Job wie jeder andere ist.

Die Prostituierten arbeiten also
selbständig?

Ja. Sie zahlen Steuern
und versichern sich selbst. Problematisch ist der Umstand,
dass für die Steuererklärung der Name an die Bordellbetreiberin
herausgegeben werden muss. Das macht die Frauen erpressbar. Dem kommt
gut drei Jahren das Düsseldorfer Verfahren entgegen. Hier wird eine
Vorabpauschale abgeführt. Durch ein Pseudonym im
Dokumentationssystem bleiben die Frauen anonym.

Das Problem ist hier die Höhe der
Vorabpauschale von 30 Euro pro Schicht. Das ist ein totaler Hammer,
weil davon ausgegangen wird, dass die Frauen am Tag Nettoeinnahmen in
Höhe von 120 Euro erzielen. Derzeitig liegt der Durchschnitt, nach
Abzügen, aber bei 30 Euro pro Tag und Schicht.

Das ist extrem prekär.

Dass die Menschen immer weniger Geld
zur Verfügung haben, wirkt sich sehr empfindlich auf das
Prostitutionsgewerbe aus. So drehen die Freier jeden Cent zweimal um,
andererseits steigen immer mehr Frauen in die Prostitution ein. Der
immer kleiner werdende Kuchen muss auf immer mehr Frauen verteilt
werden. Und das macht natürlich immens erpressbar. Zum einen in
Bezug auf den Preis für die sexuelle Dienstleistung, hier entstehen
dann solche menschenentwertende Angebote wie Happy Hour, 100%
Leistung, 50% Preis, Quickie für 5 Euro. Ein enormes Problem wird
hier zunehmend auch die Durchsetzbarkeit von Kondomen.

Aktion zum Internationalen Tag gegen die Gewalt gegen SexarbeiterInnen am 17. Dezember 2010 in San FranciscoGibt es Möglichkeiten, diesen
Entwicklungen entgegenzuwirken?

Gerade in Bezug auf die Lohnspirale
haben wir wenig Wirkmacht. Zum Thema Durchsetzen von Kondomen haben
wir eine Gesundheitsmappe entwickelt, leisten Aufklärungsarbeit,
gehen mit Kondomen ausgestattet in die Bordelle.

Eine Prostituierte aus Sydney hat uns
einmal sehr plastisch beschrieben, wie dort die Sexarbeiterinnen die
Männer, bevor es zur sexuellen Dienstleistung kommt, untersuchen.
Wir fanden das hier überhaupt nicht adaptierbar, viele Krankheiten
und Infektionen sind äußerlich gar nicht sichtbar. Es erschien uns
aber dennoch als ein respektvoller Umgang und ist ein Vorgang des
Bewusstwerdens: Was lass ich da in mich eindringen?

Richtet sich die Aufklärungsarbeit
ausschließlich an die Frauen?

Wir haben uns lange nur an Frauen
gewendet. Dabei haben wir festgestellt, dass sie Kondome benutzen
wollen, es aber nicht durchsetzen können. Es wurde die AG Gesunder
Kunde ins Leben gerufen. Die Frauen gehen teilweise sehr
öffentlichkeitswirksam mit Ganzkörperkondomen bekleidet zu
Veranstaltungen, wo viele männliche Besucher erwartet werden. Die
sind sehr interessiert und nehmen gerne das Informationsmaterial,
natürlich nicht für sich selbst, sondern für Freunde und Bekannte.

Bei Ver.di arbeitet Emilija Mitrovic
seit einigen Jahren zum „Arbeitsplatz Prostitution“. Andere
Initiativen, wie z.B. der Hurenverband S.E.X., haben nur kurze Zeit
existiert. Was ist der Grund dafür, dass sich gerade autonome
Strukturen so schnell wieder auflösen?

Mangelnde Kapazitäten – gerade in
der Prostitution gibt es noch viel weniger Menschen, die sich aktiv
zusammenschließen. Ein wichtiger Grund ist hier vermutlich ein sehr
wirkmächtiger Spaltungsmechanismus von Job und Privatleben. Im Job
passieren keine Gefühle und im Privatleben liebt man den Partner.
Und auch die engagierten Frauen kommen da an ihre Grenzen. Die müssen
ja nebenher auch noch Geld verdienen.

Häufig wird der Kampf gegen
Zwangsprostitution und Menschenhandel ins Feld geführt, wenn es
darum geht, Gesetze wieder zu verschärfen. In diese Richtung geht
auch eine Stellungnahme der Innenministerkonferenz.

Insgesamt erleben wir derzeitig eine
rückläufige Bewegung. Immer wieder geht es darum, dem Thema
Menschenhandel mehr Rechnung tragen, was ja auch sehr wichtig ist.
Nur mündet das dann häufig im Ruf nach stärkeren Sanktionen und
Strafen.

Interview: Linde Müller

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